Start Erzgebirge Veronika Bellmann (MdB, CDU) spricht Klartext
Artikel von: Sven Günther
19.05.2016

Veronika Bellmann (MdB, CDU) spricht Klartext

Veronika Bellmann. Foto: DBT/ von Saldern
Veronika Bellmann.
Foto: DBT/ von Saldern

 

Veronika Bellmann: Isolation durch Übermoral

Durch die Asylantenkrise ist auch die im Freistaat seit Biedenkopf so erfolgreiche CDU ins Trudeln geraten, die Parteibasis macht Rabatz. Für die Region Freiberg sitzt seit 2002 Veronika Bellmann im Deutschen Bundestag, kümmert sich – soweit dort überhaupt möglich – sehr engagiert um den Bürger. Zur aktuellen Lage führte mit der Eppendorfer Christdemokratin unser Mitarbeiter Steffen Ulbricht folgendes Interview.

Frau Bellmann, seit 18 Monaten ist der Flüchtlings-bzw. Asylantenansturm auf Deutschland auch in Ihrem Wahlkreis das Thema Nr. 1. Welche Fragen und Forderungen der Bürger erreichen Sie dazu in Ihrem Büro?

Die Mittelsachsen sind grundsätzlich gastfreundlich und hilfsbereit, insbesondere denjenigen Flüchtlingen gegenüber, die unsere Rechts- und Werteordnung akzeptieren. Aber sie sind dennoch verunsichert. Die Sorge um Identitätsverlust und Überfremdung des Landes hat viele Bürger erfasst, auch wenn derzeit  nur wenige Migranten und Flüchtlinge in unseren Kommunen ankommen.
Da ist einerseits eine große Mehrheit der Bürger, die den gesellschaftlichen Frieden und die innere Sicherheit in Gefahr, das Land gespalten, die Politik zerstritten und die Bundesrepublik mit ihrer Übermoral in Europa isoliert sieht.
Da sind andererseits aber auch die Bürger, die keine Alternative zur bedingungslosen Willkommenskultur und offenen Grenzen für alle sehen.
Zwischen diesen Optimisten und den Pessimisten gibt es aber auch noch die Realisten. Sie sehen im Zuzug von Menschen aus  fremden Kulturkreisen zwar große Risiken für die innere Sicherheit aber dennoch auch Chancen für das Wirtschaftswachstum, Arbeitskräftebedarf und Demografie.
Unisono fordern die meisten Menschen, die schnellere Abschiebung von straffällig gewordenen Migranten und Wirtschaftsflüchtlingen. Sie fordern aber auch mehr zu tun für die Sicherheit der Bürger, z.B. strenge Grenzkontrollen, mehr Polizeipräsenz, eine durchschlagskräftigere, schnelle und gerechte Justiz,  eine Integrationsobergrenze und die Durchsetzung der deutschen Leitkultur bei denen die hier bleiben. Außerdem verlangen die Leute vor allem eine offene Debattenkultur ohne Schaum vor dem Mund, die Kritiker nicht gleich in die Rechtsextremistenschublade verbannt oder mundtot zu machen versucht.  Im Übrigen sollen wir dafür sorgen, dass die Verantwortung für das Gemeinwohl in unserem Staat nicht auf der Strecke bleibt, sich die Menschen im eigenen Land nicht fremd fühlen.

Was sagen Sie denjenigen, die grundsätzlich keine Moslems hier haben wollen? In der nahen tschechischen Republik sind die in dieser Hinsicht ja eins mit Staatspräsident Zeman und Premier Subotka – alles Sozialdemokraten …

Dass die osteuropäischen Länder sich nicht zu ihren wirtschaftlichen und sonstigen politischen Problemen auch noch religiöse oder ethnische Konflikte ins Land holen wollen, kann ich einerseits gut verstehen. Anderseits geht es zumindest bei den Kriegsflüchtlingen größtenteils um eine zeitweilige Schutzmaßnahme. Da wäre die Aufnahme eines gedeckelten Flüchtlingskontingents i.S. eines Mindestmaßes an europäischer Solidarität und der Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention schon geboten. Deshalb bin ich sehr gespannt, wie sich diese Länder zu den neuesten Vorschlägen eines EU-Asylrechts mit neuen Verteil – und Sanktionsmechanismen für Flüchtlinge verhalten.
In Deutschland erlaubt unser Grundgesetz  keine religiöse Quotierung und auch keine generelle Ausgrenzung aufgrund einer bestimmten Religionszugehörigkeit, wohl aber die Möglichkeit der Gefahrenabwehr i.S.v. Überforderung. Hier scheiden sich die politischen Geister in der Bewertung, wann Deutschland überfordert ist. Der bayerische Ministerpräsident sieht diese Grenze bei 200.000 Migranten pro Jahr. Die Bundeskanzlerin will von einer Obergrenze nichts wissen, so wie sie ohnehin nichts von nationalen Lösungen hält.
Notwendig ist deshalb ein weithin hörbares Signal dahingehend, dass auch die Kräfte Deutschlands bei der Aufnahme von Flüchtlingen begrenzt sind.  Sie betrifft weniger Unterkunft, Versorgung als die Integration in den Arbeitsmarkt, die Bildungs- und Sozialsysteme, eben die Gesellschaft insgesamt.

Dank der  neuen Politik Österreichs und der mazedonischen Grenztruppen konnte die Balkanroute nahezu dicht gemacht werden. Doch wird nun wieder ein Ansturm über Italien kommen – was denken Sie?

Sich einerseits mit stark zurückgehenden Flüchtlingszahlen zu rühmen, aber anderseits Länder entlang der Balkanroute wegen der Grenzschließung zu kritisieren, ist meines Erachtens zynisch. Schließlich verhalten sie sich EU-bezogen gesetzes- bzw. vertragstreu und wollen Chaos und Überforderung im eigenen Lande vermeiden. Es ist die originäre Aufgabe der EU-Mitglieder, für einen wirksamen Schutz der EU-Außengrenzen zu sorgen. Dass diese Länder die nationale Reißleine ziehen, ist absolut nachvollziehbar.
Inzwischen lassen sich die Schlepper immer neue Wege einfallen, um den Flüchtlingen ihr letztes Geld aus der Tasche zu ziehen. Nach der geschlossenen Balkanroute versuchen sie nun Flüchtlinge über die östliche Mittelmeerroute oder über Spanien, Tunesien, Libyen oder Ägypten nach Italien zu bringen. In Libyen sollen über 100.000 Menschen auf ihre Weiterfahrt warten. Aber das Mittelmeer ist nicht der einzige Weg, um nach Europa zu kommen. Zunehmend kommt aber auch die östliche Landroute wieder ins Spiel über Russland, die Ukraine und Polen mit den Zielen Deutschland, Frankreich, Skandinavien. Deshalb errichten jetzt auch die Letten wieder Grenzzäune.

Das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei beinhaltet einen Pferdefuß, die Visafreiheit. Kommt die allen Ernstes?

Es ist besorgniserregend, dass sich die EU  bei dem notwendigen Außengrenzschutz von  Staaten wie der Türkei abhängig macht. Das hätte allenfalls der Plan B sein dürfen. Plan A muss für die EU-Außengrenzensicherung eine Lösung auf europäischem Boden sein und vor allem die Region zu stabilisieren sowie die Lager dort, also auch im Libanon und Jordanien.
Das Abkommen zwischen der EU und der Türkei birgt bei nur wenigen Vorteilen, die Gefahr der permanenten politischen Rücksichtnahme auf die türkische Regierung, sogar bei evidenter Verletzung von Grund- und Menschenrechten. Die sind ja in diesen Tagen nicht zu übersehen. Erdogan, auch Sultan vom Bosporus genannt, will einen islamischen Staat, ein neoosmanisches Großreich, der seine Macht auf drei Kontinente inklusive Europa ausbreiten kann. Und ausgerechnet in den Händen dieses Mannes liegt nun der größte Teil der Steuerung  der Flüchtlingsströme in die EU und vor allem nach Deutschland.
Die EU-Kommission hat schon mal die Empfehlung dafür ausgesprochen und wegen der noch fehlenden Kriterien sowas wie einen Türkenrabatt eingeräumt. Und Deutschland hat mit dem Vorschlag einer sog. „Suspendierungsklausel“ gleich noch eins obendrauf gesetzt. Also erstmal die Visafreiheit einführen und wenn dann irgendwas in dem Land, wo acht Millionen Türken nicht fälschungssichere biometrische Pässe besitzen nicht stimmt, wieder aussetzen. Als wenn das so einfach ginge.
Jetzt könnte die Visafreiheit nur noch verhindert werden, wenn wider Erwarten EU-Parlament und die Vertreter der Mitgliedsstaaten im EU-Rat mehrheitlich mit NEIN stimmen.

Früher schloss die CDU Koalitionen mit den Grünen aus, jetzt geht man in BaWü sogar eine Juniorpartnerschaft ein. Verliert die CDU ihre Seele?

Die CDU muss Wahlergebnisse akzeptieren. Dadurch blieb ihr in Baden-Württemberg nichts anderes übrig als nahezu gleich starker Partner noch halbwegs selbstbewusst in eine Koalition mit den Grünen zu gehen. Die viel größeren Probleme hat die Union, weil sie durch den vermeintlichen Modernisierungskurs und einen Linksdrift ihre bürgerlich-konservative Identität aufgibt und damit rechts der Mitte Platz für andere macht. Es war jahrzehntelang erklärtes Ziel der Union, alle politischen Anstrengungen zu unternehmen, damit sich rechts von ihr keine neue Partei etablieren kann. Die  CDU muss deshalb ihre nach wie vor gültigen Grundsätze christlich-demokratischer Programmatik in ihrer Politik wieder sichtbar machen. Wir müssen unsere Wähler auf der Grundlage einer erkennbaren christlichen Orientierung mit Botschaften zur Leitkultur, zur Bedeutung von Verantwortung und Freiheit, zur sozialen Marktwirtschaft, zur inneren Sicherheit, zur Familie, zum Lebensschutz und zum Patriotismus ansprechen.

Im Ergebnis der Wahl in SaAn hätte die CDU bequem mit der AfD regieren können. Statt dessen agiert man nun mit Wahlverlierern. Wird eine schwarzblaue Koalition in absehbarer Zeit kommen, zumal sie von vielen Sachsen gewünscht wird?

Wie ich schon sagte, eine der Voraussetzungen des Entstehens der AfD ist die Tatsache, dass die CDU rechts Platz gemacht hat. Im Übrigen war die AfD im Sommer 2015 nach ihrer Spaltung politisch erledigt. Erst die umstrittene Flüchtlingspolitik verschaffte ihr wieder erheblichen Zulauf, den sie nun aufrecht zu erhalten versucht, in dem sie hinsichtlich des Islam den Finger in die Wunde legt. Das habe ich im Übrigen schon Ende 2014/Anfang 2015  getan, als ich den Satz von Bundespräsident a.D. Wulf und Kanzlerin Merkel: „Der Islam gehört zu Deutschland“, widerlegt habe. Damals war die AfD dazu noch nicht viel zu hören.
Nun hat die AfD selbst gesagt, sie wolle in der Opposition zeigen, dass sie Realpolitik kann und nicht nur auf wenige Themen fokussiert ist. Man wird sehen, ob sie dafür genügend innerparteiliche Stabilität, programmatische Verlässlichkeit und Fleiß mitbringt. Es ist ja im linken Spektrum alles schon mal dagewesen. Geschichte wiederholt sich nicht, aber es gibt manchmal erstaunliche Parallelen. Solange Grüne und PDS/Linke als Schmuddelkinder galten, mit denen man nicht koalieren konnte, stärkten sie indirekt die Union. Jetzt bewirkt die AfD das Gegenteil von dem was sie eigentlich will – sie eröffnet neue Optionen für Rote, Grüne, Liberale in Ampel oder Kenia-Koalitionen. Ob das den politisch mitdenkenden AfD-Wählern klar ist?  Vermutlich nicht, denn über die Hälfte sind ja Protestwähler, denen es egal ist, was sie mit ihrer Stimme bewirken, solange es gegen „ die da oben“ geht.
Grundsätzlich sind Alternativen eben doch nicht immer Alternativen, auch wenn sie so heißen.