Start Erzgebirge Sind Innungen noch zeitgemäß, Herr Böttcher?
Artikel von: Redaktion
30.09.2017

Sind Innungen noch zeitgemäß, Herr Böttcher?

Der Lauterer Steffen Böttcher ist Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Erzgebirge. Er hat seinen Sitz in der Kreisstadt Annaberg und wirbt für ein breites organisieren der Handwerksbetriebe. Foto: KHS

Zum Thema Innungen sprach der Wochenspiegel Erzgebirge mit Steffen Böttcher, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Erzgebirge.

WochenSpiegel Erzgebirge: Facebook, WhatsApp, Twitter, Innungen…Irgendwie scheint das letzte Wort aus der Zeit gefallen zu sein. Oder sind Innungen noch modern?

Steffen Böttcher: Gegenfrage: Was wird bei Facebook, WhatsApp, Twitter getan? Es werden Interessen und Standpunkte bekundet und vertreten, Meinungen ausgetauscht, kommuniziert…Genau das wird auch in Innungen getan, eben nur fachspezifisch. Insofern passt es schon, außer vielleicht, dass das Wort Innungen noch ein deutsches Wort ist…

WocheSpiegel Erzgebirge: Immer wieder beklagen Handwerker die überbordende Bürokratie. Ist nicht die Innung auch nur eine bürokratische Institution?

Steffen Böttcher: Jede Institution ist im Kern bürokratisch und wird fordern ja auch nicht die Abschaffung der Bürokratie, sondern deren Auswüchse!

In den derzeitigen „Regeln” steckt zu viel Praxisfernes, sich Widersprechendes, eines Betrachtens mit gesundem Menschenverstand nicht Standhaltendes bis hin zu pauschal Kriminalisierendem. Eine Innung ist eine fachspezifische Interessensvertretung, ohne die es noch mehr (sinnlose) Bürokratie geben würde.

WochenSpiegel Erzgebirge: Warum sollte man sich für einen Job/eine Lehre in einem Innungsbetrieb entscheiden?

Steffen Böttcher: Das ist eine Glatteisfrage! Natürlich wird auch in Nichtinnungsbetrieben eine solide Ausbildung gewährleistet. Aber es ist eine der ureigensten Aufgaben der Innungen, sich auch um die Ausbildung zu kümmern.

Viele haben einen Ausbildungsbeauftragten, der in Prüfungskommissionen mitwirkt. Durch das fachbezogene Wirken der Innungen, das regelmäßige Treffen und Schulungen, hat in manchen Punkten der Innungsbetrieb mit unter einen Vorsprung.

Das Hauptargument ist jedoch die Interessensvertretung! Eine Innung hat es schon sehr schwer, der Einzelne noch schwerer!

WochenSpiegel Erzgebirge: Würden Sie sich von der Politik wünschen, dass man die Innungen mehr unterstützt, zum Beispiel das Ausufern der Ein-Mann-Handwerks-Firmen eindämmt?

Steffen Böttcher: Das ist kein Wunsch an die Politik, es ist eine verfassungsgemäße Pflicht der Politik und diese Pflicht müssen wir zukünftig viel stärker einfordern.

Der Staat hat die handwerklichen Angelegenheiten in eine Selbstverwaltung des Handwerks überführt. Damit diese auch ausgeübt werden kann, hat der Staat auch Pflichten. Das hat erst einmal gar nichts mit der Eindämmung von Ein-Mann-Betrieben zu tun.

Die Innungen mit ihren Landes- und Bundesverbänden stehen für die Durchsetzung der fachspezifischen Belange. Dazu kommt natürlich, dass durch die Kleinteiligkeit des Handwerks und die fehlende Lobby es das Handwerk viel schwerer hat, die Belange überhaupt erst einmal zu Gehör zu bringen und im besten Fall Änderungen zu bewirken.

Wenn die Automobilindustrie mit deutschlandweit ca. 900.000 Beschäftige hustet, verfällt das ganze Land in einen (manchmal blinden) Aktionismus. Dies würden wir uns im Handwerk mit seinen deutschlandweit ca 5 Millionen Beschäftigten zumindest zu einem Teil manchmal wünschen.