Start Zwickau Das Nazi-Drama hinterm Pechstein-Bild
Artikel von: Sven Günther
19.05.2022

Das Nazi-Drama hinterm Pechstein-Bild

Pechsteins Gemälde „Die Brücke“ ist vom 21. Mai bis 11. September in den KUNSTSAMMLUNGEN zu sehen. Foto: Stadt Zwickau

 

Neuer Pechstein im Museum

Zwickau. Schauen Sie sich das Gemälde genau an. Sie sehen einen echten Pechstein! Das Werk wird vom 21. Mai bis 11. September in den KUNSTSAMMLUNGEN ZWICKAU gezeigt, repräsentiert eines der bedeutendsten Kapitel im Leben wie Schaffen des Künstlers.
1921 malte Max Pechstein (1881–1955) das 80 mal 100 Zentimeter große Bild mit Ölfarben auf Leinwand. Fast 100 Jahre später konnte es 2020 mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Hermann Reemtsma Stiftung und der Ernst von Siemens Kunststiftung für die KUNSTSAMMLUNGEN ZWICKAU Max-Pechstein-Museum angekauft werden und ist nun Teil der Sonderausstellung „Seegewohnheiten. Max Pechstein: Fotografie“.

Das Drama hinterm Bild

Der Berliner Sammler Carl Steinbart erwarb das Werk beim Künstler. Nach dem Tod Steinbarts 1923 gelangte das Gemälde über die Galerie Lutz & Co. an das Ehepaar Karl und Gertrud Neuhof in Berlin. Nachdem 1939 Karl Neuhof, ein Jude, der als Getreidekaufmann in einer jüdischen Firma arbeitet, seine Stellung verliert, verschlechtert sich auch die finanzielle Situation der Eheleute, die sich zudem als Kommunisten im Widerstand gegen den Nationalsozialismus engagieren, rapide.
Sie bringen Werke, darunter auch die „Brücke“, aus ihrer kleinen Kunstsammlung, darunter Arbeiten von Kolbe, Kaus und Sintenis zu Otto von der Heyde, der auch mit Werken der sogenannten „entarteten“ Künstler handelt. Peter Neuhof wird vorsorglich vom Vater als Zeuge mitgenommen.
Regelmäßig suchen sie beide im Folgenden die Galerie auf und erkundigen sich nach etwaigen Verkäufen – ergebnislos. Noch sei das Bild nicht verkauft, so von der Heyde, der entsprechend
auch kein Geld an die Familie zahlt. Im Februar 1943 werden Gertrud und Karl Neuhof von der Gestapo verhaftet. In Briefen, die Karl Neuhof an seinen Sohn Peter aus der Haft bis in den Herbst 1943 hinein schreibt, geht es immer wieder um das Bild.

Auch Gertrud Neuhof treibt die Hinhalte-Taktik von der Heydes um. Wiederholt sucht Peter Neuhof von der Heydes Galerie auf. Karl Neuhof wird im November 1943 im KZ Sachsenhausen ermordet. Anfang 1944 wird Gertrud Neuhof der Prozess gemacht. Sie kommt frei, wird aber wenig später erneut verhaftet und ins KZ Ravensbrück gebracht, wo sie bei Kriegsende auf dem Todesmarsch befreit wird.

Von der Heyde behauptet inzwischen, das Bild sei zusammen mit der Galerie ein Opfer der Bombardierung im November 1943 geworden. Unmittelbar nach Kriegsende, Mutter und Sohn haben ihr Bild noch immer nicht vergessen, eröffnet Otto von der Heyde eine neue Galerie und präsentiert die „Brücke“ im Verkaufsraum, was Peter Neuhof sieht. Der Galerist erklärt, es handele sich um ein Duplikat.
Schließlich verschwindet das Bild. Was Gertrud und Peter Neuhof zu diesem Zeitpunkt nicht wissen: Es hat längst neue Besitzer in Ingeborg und Gottfried Sello gefunden, die sich für den
Expressionismus begeistern, nichts von der Herkunft des Bildes ahnen und sich mittlerweile in Hamburg niedergelassen haben. Wie deren Sohn Thomas Sello angibt, hatten die Eltern das 1939
oder danach angekaufte Gemälde von Otto von der Heyde einlagern lassen, um es vor den Bomben des Krieges zu schützen. Ingeborg und Gottfried Sello – auch er ist jüdischer Herkunft – waren im April 1945 aus Berlin geflohen.

In Hamburg eröffneten sie bereits wenige Monate später im Dezember 1945 die „Galerie der Jugend“, die bis 1951 besteht und sich auf die Kunst des Expressionismus fokussiert. Die „Brücke“ bleibt bis 2020 in Familienbesitz. Peter Neuhof sieht das Gemälde erst 1997 im Rahmen der über das Pechstein-Archiv vermittelten Einladung Thomas Sellos wieder und erhält von ihm wenig später unaufgefordert eine freiwillige Ausgleichszahlung, die er gleichermaßen überrascht wie dankend akzeptiert.

Zwischen Peter Neuhof und Thomas Sello besteht nunmehr seit Jahren ein freundschaftlicher Kontakt. Im Frühjahr 2019 bekräftigt Peter Neuhof, dass weder durch ihn noch seine Familie Ansprüche auf das Gemälde erhoben werden.

Quell: Autobiografie Peter Neuhof: Als die Braunen kamen. Eine Berliner jüdische Familie im Widerstand
Gestapo verhaftet…