Start Das Volk vergessen!
Artikel von: Sven Günther
23.02.2023

Das Volk vergessen!

Das Wendedenkmal steht in Plauen, das Zukunftszentrum Deutsche Einheit und Europäische Transformation wird in Halle gebaut. Foto: Stadt Plauen

Zukunftszentrum ohne Volk

Region. Blob, blob, blob. Wie Seifenblasen sind sie zerplatzt, die Träume von einem Mega-Bau in Plauen/Leipzig. Keine 200 Euro Millionen Euro Investition für die Städte in Sachsen, keine 200 – vom Bund finanzierten – Arbeitsplätze, keine 40 Millionen Euro, die jährlich in das Projekt fließen. Das “Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation” wird auf dem Ribeckplatz in Halle gebaut und nicht auf dem Plauener Neustadtplatz.

Ganz Südwestsachsen hätte vom Zukunftszentrum profitiert, weil hier Arbeitsmarkt, Handel, Gastronomie und Freizeiteinrichtungen gestärkt worden wären.
Die unterlegenen Oberbürgermeister bleiben fair, gratulieren anständig. Kritik kommt u.a. von Yvonne Magwas, der Vizepräsidentin des Bundestages und CDU-Wahlkreisabgeordneten des Vogtlandkreises, die es von der Jury respektlos findet, dass Plauen nicht einmal besucht worden ist.

Hier ein Kommentar von Sven Günther

Kein Gefühl

Ich bin bekennender Ostdeutscher. Auf meinem linken Ringfinger ist „Made in GDR“ tätowiert. Nicht, weil ich mir die alten Zeiten zurückwünsche, sondern weil ich in der DDR aufgewachsen bin, meine Wurzeln dort liegen und mich die „Geht-nicht-gibts-nicht-Mentalität“ geprägt hat.

Ich weiß, wie eine Karo in der Lunge pfiff, sehe Paraden eines Hans-Ulrich Grapenthin vor mir und erkenne die meisten DDR-Hits nach wenigen Takten.
Mir ist das bange Gefühl vertraut, wenn man mit einer MZ ES 150 zu schnell in der Kurve war, finde den Benzinhahn im Trabant und habe den Geruch von „Action“ noch in der Nase.
Wir haben leere West-Zigarettenschachteln gesammelt, Kaba-Dosen als Deko aufgestellt und noch heute kann ich mich daran erinnern, mit welch einmaligen Duft Westpakete nach dem Öffnen unsere Wohnungen fluteten.
Natürlich weiß ich auch, dass Dinge in der DDR falsch und verurteilungswürdig waren, dass man hätte vieles anders und besser machen können.
Aber bei mir ganz persönlich stellt sich ein überwiegend gutes Gefühl ein, wenn ich an die Zeit von Polytechnischer Oberschule und Trabant denke.

Auf das Gefühl hat sich die Mehrheit der 15 Jurymitglieder bei der Entscheidung über den Standort des Zukunftszentrums Deutsche Einheit und europäische Transformation nicht verlassen.

Bestimmt gibt es viele gute Gründe, warum es in Halle gebaut wird. Sicher können die Befürworter ganz rational erklären, warum sie ihr Kreuz hinter dem Namen der Händelstadt gemacht haben.

Hätte man aber nicht Kopf, sondern Bauch entscheiden lassen, hätte es nur einen richtigen Standort geben können: Leipzig und Plauen, die Städte, die untrennbar mit den Ereignissen im Herbst 1989 verbunden sind.

„Wenn ihr‘s nicht fühlt, ihr werdet‘s nicht erjagen“, schrieb Goethe im Faust. Wer nicht mehr spürt, wie Ostdeutsche fühlen, muss sich nicht wundern, wenn er von ihnen nicht mehr verstanden wird.

Als wir 1989 auf die Straßen gegangen sind, dröhnte der Ruf „Wir sind das Volk“ in die SED-Zentralen. Deshalb wäre es richtig gewesen, heute das Volk zu fragen, wo das Zukunftszentrum Deutsche Einheit und Europäische Transformation gebaut werden soll, wenn man schon 200 Millionen Euro dafür ausgeben will. Auf Halle wäre niemand gekommen…