Start Erzgebirge EHV-Manager Rüdiger Jurke: Vögel & Visionen
Artikel von: Sven Günther
28.04.2020

EHV-Manager Rüdiger Jurke: Vögel & Visionen

Schauen Sie sich das Foto genau an. Fotograf Robert Hesse hielt einen Augenblick fest, der die Dynamik des Handballs zeigt. Wir sehen Bengt Bornhorn, der den Ball gefangen und sich blitzschnell gedreht hat. Der Kreisläufer des EHV Aue setzt zum Fallwurf an, schwebt schon einige Zentimeter in der Luft, während ein Eisenacher Verteidiger zu Boden sinkt, der andere nicht mehr eingreifen kann. Schaut man genau hin, sieht man im Hintergrund Ladislav Brykner schon jubelnd die Arme seitwärts stecken. Er weiß: Auf Bornhorn ist Verlass. Mit 119 Treffern liegt er Torgleich mit seinem EHV-Kollegen Adrian Kammloth auf den Plätzen sieben und acht der Torschützenliste der 2. Handballbundesliga, hat einer Wurfeffektivität von 79,33 Prozent. Foto: Robert Hesse

EHV: Zugänge, Abgänge & Pläne

Von Sven Günther
Lößnitz. Kennt man Axel Hacke, weiß man um dessen Hang zu Tieren. Der Autor (Süddeutsche Zeitung) und Versprecher-Sammler (Der weiße Neger Wumbaba) frönt der Fauna, vermittelt erstaunliche Einblicke (Hackes kleines Tierleben) und blättert als Inspiration für manche Geschichte gern in Brehms Tierleben. Dort hat der Tierforscher, Brehm, niedergeschrieben, wie die Vögel rufen. „Ure ure ure uru uru uru uru“, schreit die Wildtaube, „Keiäkek kaiki kliwrä Kjiikgik“ die Saatgans.
Kommen wir zu Rüdiger Jurke, den Manager des Handball-Zweitligisten EHV Aue. Der vernimmt wahrscheinlich hin und wieder das zarte „zerretetet/zi-zi-zirr“, wenn er in die Natur lauscht, was er jetzt oft machen kann, weil die Saison abgebrochen wurde. Jurke verrät: „Tatsächlich sind mir in meiner Freizeit die Vögel aufgefallen, inzwischen überlege ich, mir eine App zu kaufen, mittels derer ich Vogelstimmen zuordnen kann.“

Eine Verlustigung neben konzentrierter Arbeit. Der Manager ist Mitglied einer Kommission der Handball-Bundesliga, die festlegen soll, wann die neue Spielzeit gestartet wird. Jurke: „Seit 25 Jahren das erste Mal, dass ich so etwas mache. Aber es gab ja auch 50 Jahre lang keinen Saisonabbruch.“
Das Corona-Virus stoppte 2020 auch die harten Jungs in der 2. Liga. Essen und Coburg steigen auf, Krefeld geht runter und Wilhelmshaven, Fürstenfeldbruck, Großwallstadt und Dessau steigen auf. „Ich freue mich vor allem für Dessau, weil es dann ein weiteres Ost-Derby gibt“, sagt Jurke und schaut auf die Abschlusstabelle, die den EHV auf Rang 13 zeigt. Er nickt: „Platz 13. Klassenerhalt und vor Dresden. Wir sind im Handball nach DHfK Leipzig die Nummer 2 in Sachsen. So kann es bleiben.“
Ginge es nach dem EHV-Manager, würde die Mission Klassenerhalt 2020/2021 mit 19 Mannschaften und wohl drei Absteigern im Oktober beginnen. Jurke: „Ich denke, dann hätte man die notwendige Planungssicherheit, könnte dann bis zum Jahresende durchziehen.“

EHV-Manager Rüdiger Jurke. Foto: Manja Gehlert

Die Mannschaft dafür steht. Vier Spieler verlassen den EHV. Benas Petreikis wechselt nach Nettelstedt. Austris Tuminskis durfte schon in der Saison zum türkischen Erstligisten Besiktas JK Istanbul wechseln. Und das in einer Phase, in der ihn die Auer aufgrund von Verletzungen hätten gut gebrauchen können. Jurke: „Wir hatten unser Wort gegeben, dass er wechseln kann, wenn ein entsprechendes Angebot kommt. Und wir waren Männer genug, uns daran zu halten.“
Eine Frage des Anstands, der bei den Erzgebirgern eine tragende Rolle spielt. „Zu 90 Prozent aller Spieler, die uns verlassen haben, ist unser Verhältnis noch immer gut“, sagt Jurke stolz und sagt: „Das wird ganz sicher auch bei Ladyslav Brykner so sein, der einfach die Trainingsbelastung nicht mehr geschafft hat, zu Plauen-Oberlosa geht.“
Klar war auch, dass die Verträge mit Keeper Vilius Rasimas und Rechtsaußen Sebastian Naumann nicht verlängert werden. Jurke: „Alle hätten einen würdigen Abstand vor unserem grandiosen Publikum verdient. Das ging jetzt leider nicht. Aber wir wünschen ihnen alles Gute auf ihren weiteren Wegen.“
Neue Spieler gehen ihre weiteren Wege jetzt in Aue. Nach der Schulterverletzung von Torhüter Erik Töpfer lieh der EHV Anadin Suljakovic (21) vom Erstligisten HSG Wetzlar aus, der sich in Liga 2 entwickeln soll.
Dazu verpflichtet der Verein den 22-jährigen, 1,91 m großen und 95 kg schweren Goncalo Ribeiro Union Leoben (Österreich). Sein Handball-Einmaleins lernte er bei Benfica Lissabon. Weitere Stationen waren Pontault-Combault in Frankreich und Champions-League-Teilnehmer HC Metalurg Skopije. Er spielte 27 Mal für die Junioren-Nationalmannschaft Portugals. Ribeiro erhält einen Zweijahresvertrag; beginnend mit der kommenden Saison. Jurke: „Goncalo war letzte Woche mehrere Tage zum Probetraining und hat uns überzeugt. Ich denke, er wird mit Sebastian Paraschiv und Julius Schroeder die Lücke schließen, die Benas hinterlassen wird. Wir freuen uns auf ihn, und er sich auf Aue!“

Bereits vor der Corona-Krise waren sich Maximilian Lux und der EHV Aue einig, dass der gebürtige Pegnitzer ab der neuen Saison 2020/21 für den EHV Aue auf Torejagd geht. Der 24-jährige Linkshänder spielte bereits für die Erstligisten HC Erlangen und HSG Wetzlar. In der letzten Saison stand er beim Tabellen-Zweiten der Liga Nord-West, dem VfL Eintracht Hagen, unter Vertrag. Dort erzielte er in 24 Spielen 127 Tore – davon 35 Siebenmeter. Der 1,81 m große Rechtsaußen hat beim EHV Aue einen Zweijahresvertrag unterschrieben.
„Wir waren uns schon vor der Corona-Krise mit Maximilian einig. Wir haben die Leistungen von Max über Jahre hinweg verfolgt und freuen uns, dass es nun geklappt hat. Er wird mit Eigengewächs Felix Roth das Duo auf Rechtsaußen bilden“, so Jurke. Dem Mananger bleibt jetzt die Zeit, sich um eine Alternative auf Halbrechts zu kümmern, wo meist Gabriel De Santis agiert. Jurke: „Gerade jetzt sind Verpflichtungen schwierig. Sie müssen uns sportlich weiterbringen und in den finanziellen Rahmen passen.“

Ein finanzieller Rahmen, der noch nicht fix ist. Sponsoren könnten wegen der Corona-Krise in Schwierigkeiten kommen, sich aus dem Sport zurückziehen. Jurke: „Wir wünschen allen unseren Partnern, dass sie diese Phase gut überstehen, dass ihnen der Staat so gut es geht hilft.“
Auch der EHV hat Unterstützung beantragt. Geld ist aber noch nicht auf dem Konto. Der Manager: „Natürlich hilft uns das Kurzarbeitergeld und natürlich sind wir auch nicht der Nabel der Welt. Aber der EHV Eisenach hat schon staatliche Hilfe von 30.000 Euro überwiesen bekommen.“

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Beim EHV helfen aktuell die Fans! Nachdem die Fahrt der Fans nach Hamburg ausfallen musste, wurden die anfänglichen Stornokosten nach geschickten Verhandlungen von Petra Bärtl (Petra´s Reiseinsel in Aue ) mit dem Hamburger Hotel „Motel One Am Michel“ großzügigerweise erlassen. Darauf hat Frau Bärtl reagiert und mit allen Teilnehmern gesprochen, ob diese bereit wären, die Stornokosten, die fällig geworden wären, für den Verein zu spenden. Die meisten der Fans waren damit einverstanden. So kam eine stolze Summe von 5.969 EUR zusammen.

Rund 10.000 Euro wären es, wenn die Dauerkartenbesitzer nicht von ihrem Recht Gebrauch machen würden, das Geld für die fünf ausgefallenen Spiele zurückzufordern. Jurke: „In Anbetracht der wirtschaftlich schwierigen Lage – Ausfälle in den Bereichen Ticketing, Catering, Sponsoreneinnahmen oder Einnahmen zu Veranstaltungen wie dem Lößnitzer Salzmarkt – wäre es mehr als ein Zeichen bzw. eine Geste unserer Fans, wenn diese den Verzicht auf die Rückvergütung als Spende; als ihren Anteil am Erhalt des EHV Aue sehen würden. Das wäre für uns eine enorme Hilfe. In der Hoffnung, dass unsere EHV Aue-Fans den Ernst der Lage erkennen und uns helfen, haben wir auch bisher auf fiktive Spiele oder den Verkauf von zusätzlichen Paketen verzichtet.
Allerdings haben wir uns noch etwas ausgedacht: jeder Dauerkartenbesitzer, der auf die Rückerstattung verzichtet, erhält vom EHV Aue die berühmte EHV-Salami oder eine Flasche EHV-Sekt. Und wenn er es wünscht, werden diese von einem Spieler, dem Trainer oder mir persönlich vorbei gebracht.“

Vielleicht hat der Manager dann schon seine neue Vogelstimmen-App und kann auf dem Weg zu den Fans den einen oder anderen Ruf zuordnen, was ihn glücklich machen würde. Hacke schreibt: „Glück! So ruft es der Grünspecht mit weittragender Stimme, einem großen Gelächter ähnlich, das manche, wie Brehm, ‚Glüh glüh glüh glück glück glück-glückglück‘ hören…“