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Artikel von: Redaktion
09.11.2015

Ein deutscher Novembertag

Viele Ereignisse verbiinden sich mit dem 9. November. Collage: Alice Jagals/ Esther Stosch_pixelio.de
Viele Ereignisse verbinden sich mit dem 9. November. Collage: Alice Jagals/ Esther Stosch_pixelio.de

Vor Monatsfrist gab´s Lobeshymnen aus allen möglichen Politikerkreisen ob einer vollzogenen Einheit, am 3. Oktober 1990 schriftlich fixiert, nun im Volke angekommen, vielleicht hier und da noch mit diesen und jenen kleineren notwendigen Nachbesserungen. Im Volke angekommen – der 3. Oktober. Dem deutschen Volk eigen, schicksalhaft behaftet, scheint gar ein anderes Datum – von wem zu welchem Zeitpunkt auch immer bewusst oder unbewusst ausgewählt, sei dahin gestellt: Die Rede ist vom 9. November, von den Segen oder Unsegen bringenden Tagen um dieses Datum herum, die stets mit dem Streben nach irgendeiner Einheit in Verbindung stehen.

In Erinnerung aus dem Geschichtsunterricht und jüngstem erleben sind sechs Ereignisse, die unmittelbar mit dem 9. November – laut Wetteraufzeichnungen übrigens zumeist ein trister Novembertag – verbunden werden, die da wären:

– Das „Edikt von Potsdam“, erlassen von Friedrich Wilhelm am 9.11.1685, erlaubte allen in Frankreich verfolgten Hugenotten, sich in Deutschland niederzulassen, später auch den Geist des Fortschritts von Europa diesseits des Rheins zu verbreiten.

– Am 9.11.1848 wird der deutschen Parlamentariers Robert Blum in Wien erschossen – das Symbol des Scheiterns der Märzrevolution, dem ersten Versuch, eine Demokratie in Deutschland Fuß fassen zu lassen.

– Das Abdanken von Kaiser Wilhelms II. und das Ausrufen der ersten Deutschen Republik (Weimarer Republik) am 9.11.1918 zum Ende des schrecklichen Ersten Weltkrieges und nach einer opferreichen Novemberrevolution.

– Mit dem gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsch am 9.11.1923 machten die Nazis erstmals international auf sich aufmerksam, die Macht in Deutschland ergreifen zu wollen. Es war zugleich Hitlers erster Versuch (unter anderen auch Görings), sofort und mit aller Gewalt die Führung im Lande zu übernehmen. Der Putsch endete Dank der Entschlossenheit der bayrischen Landespolizei sehr schnell und sehr blutig.

– Mit den Pogromen vom 9.11.1938 begann die systematische Verfolgung und Vernichtung der Juden in Deutschland und später ganz Europa Der Opfer des Nationalsozialismus wird noch heute an diesem Tage begangen.

– Mauerfall am 9.11.1989 als Ergebnis innen- wie außenpolitischer Unfähigkeit der SED-Elite. Das SED-Politbüro kann sich in stundenlangen Besprechungen auf keine neue Führung einigen. Die CSSR unterbindet die Einreise von noch an der Grenze ausharrenden 1000er DDR-Bürger zur Weiterreise in die Prager BRD-Botschaft bzw nach Ungarn. Der italienische Journalist Carlo Ehrmann fragt auf der Pressekonferenz zur „Lage der Nation“: „Was gibt´s Neues in punkto Reiseverkehr?“ Günter Schabowski, eigentlich irgendein Mitglied des Politbüros, weder Innen- noch Außenminister, antwortet: „Die Grenzen sind geöffnet – ab heute, ab jetzt.“ Amtlich heißt es später, 0.02 Uhr kapitulierten die Grenzer, alle Übergänge in Berlin sind offen. Und es soll später heißen: Die Ostdeutschen haben in einer friedlichen Revolution ihren Willen durchgesetzt, die deutsche Einheit.

Heuer gilt es, dazu vielleicht doch ein Wort mehr zu verlieren. Stalinisten und Reformisten in der damaligen Führungsriege verweigerten sich gegenseitig eine mögliche Zukunft, wie es eigentlich das Neue Forum, der Konziliare Prozess, die Bewegung Demokratie jetzt beziehungsweise das Gros der DDR-Bevölkerung gefordert haben: eine sozial-demokratische Grundordnung mit marktwirtschaftlichen Bedingungen. Genauer: frei konvertierbare Währung, Reise- und Meinungsfreiheit implizit freie Wahlen und Parteienvielfalt. An oberster Stelle stand jedoch der Tatbestand, die selber hergestellten Produkte aller Branchen, also aus Industrie, Landwirtschaft sowie Wissenschaft, Forschung und Technik, die vorwiegend ins kapitalistische Ausland, vornehmlich in die BRD (65 Prozent !!), exportiert wurden, auch selbst konsumieren zu können ohne schwarz getauschte Devisen einsetzen oder lange Wartezeiten in Kauf nehmen zu müssen. Wesentlich wichtiger war den Menschen, diese genannten Güter zu einem realen Marktpreis selber international zu handeln.

Denn Beispiele waren und sind hinreichend bekannt, wie auf ostdeutscher Seite mit Fleiß, Können und Akribie im Billiglohnland die Werte für andere Länder, im speziellen den westdeutschen Landen, entstanden. Unter anderem Strumpfhosen aus Oberlungwitz für Kunert. Hergestellt für 0,08 DM auf ostdeutschen Maschinen – die bis 1989 und auch darüber hinaus Weltniveau bedeuteten, ebenso ein Exportschlager waren – und von Kunert verkauft für 2,80 DM.

Die Reihe kann beliebig fortgesetzt werden mit Waren des täglichen Bedarfs oder sgn. Luxusgütern. Angefangen bei Waschmaschinen, Fernsehgeräten, Teppichen und Gardinen bis hin zu Kosmetikartikeln und Reinigungsmitteln. Ganze Schweine- und Rindermast- und Schlachtanlagen sowie landwirtschaftliche Einrichtungen waren reine Abgeber in den Westen. Weitere Betriebe, die als „NSW“-Lieferanten nur BRD-Export-Aufgaben zu erfüllen hatten, lieferten Wurst und Butter, Getreide und Süßigkeiten. Genauso wie viele Konfektionsfirmen, die ausschließlich z.B. für Neckermann und Quelle produzierten.

Der allergrößte Irrtum ist die Mär von der Revolution – der friedlichen Revolution. Sie begann erstens in Plauen und nicht in Leipzig oder Dresden. Sie begann mit Polizeieinsatz, Hubschrauber und Wasserwerfer. Und da Revolution und friedlich zusammenpassen wie Wasser und Feuer ist auch der Ausgang erklärbar. Das Volk hat seinen Unmut kundtun dürfen. Die Fäden waren bereits gezogen, das Vorgehen der Treuhand längst konzipiert.

Geblieben ist nach allen Bemühungen der Einheit immer noch das Billiglohnland. Längst weg sind die überwiegend hochmodernen Maschinen inclusive der anlagen und Werke, die sie einst produzierten.

Aber zurück zur Geschichte, zurück zu den Tagen um den 9. November, zurück zum Jahrhunderte langen Mühen um eine Einheit. In den ersten November-Tagen von 1792 ersetzten Mainzer und Franzosen den alten Beamtenapparat durch eine sogenannte „Allgemeine Administration”, proklamierten die Mainzer Republik. Deren Vereinigung mit Frankreich bzw Abspaltung scheiterte im März 1793.

9.11.1806 – Napoleon wütet in Deutschland. Nach hartem Kampf fällt die Festung in Magdeburg. Scharnhorst und Yorck geraten in Gefangenschaft. Blücher gelingt der Rückzug. Das Erste Deutsche Reich, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, endet durch die Eroberung Napoleons, es wird aufgelöst. Mittels staatlicher Reformen sollen soziale Veränderungen nach französischem Vorbild erfolgen.

Im November 1813 vermittelt Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein – noch vor Jahresfrist vor Napoleon I. geflohen – als politischer Berater von Zar Alexanders I. das preußisch-russische Bündnis – die spätere DSF lässt grüßen.

Die in Frankfurt am Main tagende Bundesversammlung (Bundestag), ein ständig tagender Gesandtenkongress und das zentrale Bundesorgan des deutschen Bundes, trat am 5. November 1816 zum ersten Mal zusammen. Es stand als erste Aufgabe, ein Grundgesetz für den Bund zu schaffen, das Eckpunkte der auswärtigen, inneren und militärischen Verhältnisse beinhalten sollte.

Zum hundertsten Geburtstag Friedrich Schillers, am 9.11.1859, gründet sich der „Deutsche Nationalverein”. Schiller, mit 17 anderen Ausländern wie Washington, Pestalozzi oder Klopstock 1792 von der französischen Nationalversammlung mit der Unterschrift von Danton zu französischen Ehrenbürgern ernannt, löste indirekt mit seinem Gedankengut damit eine unvergleichliche Volksbewegung aus. Ein Festredner soll damals gesagt haben, Schiller habe die Deutschen im Reich der Dichtung zu einer einigen Nation gemacht.

Der Reichstag weist am 7./8. November 1875 den Versuch der Reichsregierung ab, eine gegen die Sozialdemokratie gerichtete verschärfte Fassung des § 130 des Strafgesetzbuches einzubringen, die besagt: „… wer in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise verschiedene Klassen der Bevölkerung gegeneinander aufreizt oder wer in gleicher Weise die Institute der Ehe, der Familie oder des Eigentums öffentlich durch Rede oder Schrift angreift, wird mit Gefängnis bestraft …”. Dieser Antrag war die Reaktion der Regierung auf den Gothaer Vereinigungs-Kongreß der beiden sozialdemokratischen Parteien zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands. Im „Gothaer Programm” heißt es nämlich: „… die Arbeit ist die Quelle allen Reichtums und aller Kultur … Die Befreiung der Arbeit erfordert die Verwandlung der Arbeitsmittel in Gemeingut der Gesellschaft …“

Die grauen Herbsttage des Jahres 1923, weitverbreitete Not und Arbeitslosigkeit, währende Fesseln des Versailler Vertrags, die damit verbundenen wesentlichen Gebietsabtretungen an Polen und Frankreich und damit einhergehende wirtschaftlichen Verluste sowie die Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich schaffen in der Weimarer Republik mehr und mehr ein explosives politisches Klima. Nicht selten arten diese Verhältnisse in bürgerkriegsähnliche Zustände aus.

Vom 13. bis 15. November 1959 verabschiedet die Sozialdemokratische Partei Deutschlands in Bad Godesberg ihr Grundsatzprogramm – das Godesberger Programm. Es bestätigte den längst vollzogenen Wandel der SPD von einer sozialistischen Arbeiterpartei hin zu einer Volkspartei. Es hat bis heute in seinen Grundzügen Geltung und beinhaltet die Akzeptanz privaten, jedoch am Gemeinwohl zu orientierenden Eigentums an Produktionsmitteln. Sein erster Satz lautet: „Die Sozialisten erstreben eine Gemeinschaft, in der jeder Mensch seine Persönlichkeit in Freiheit entfalten und als dienendes Glied der Gemeinschaft verantwortlich am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben der Menschheit mitwirken kann.“ Und: „Der Sozialismus ist eine dauernde Aufgabe – Freiheit und Gerechtigkeit zu erkämpfen, sie zu bewahren und sich in ihnen zu bewähren.“ 1989 durch das Berliner Programm abgelöst und gänzlich dem Sozialismus abgeschworen, sind derartige Töne jüngst wieder zu hören.

Der Oktober und November 1962 geht vielbedeutend in die deutsche Geschichte ein. Die Zeitschrift Der Spiegel berichtet über die schlechte Lage der Bundeswehr, gegenüber dem Warschauer Pakt nicht abwehrfähig zu sein und dass ein Angriff nur mit Hilfe westlicher Atomraketen abgewehrt werden könne. Daraufhin, der sogenannten Spiegel-Affäre, traten mehrere Minister zurück. Auch Franz Josef Strauß, der damalige Verteidigungsminister, der zunächst beteuerte hatte, mit der Affäre nichts zu tun zu haben. Auf Druck der FDP musste Adenauer schließlich selbst einen bindenden Termin für seinen eigenen Rücktritt aus dem Regierungsamt festlegen.

Der große Hoffnungsträger der deutsch-deutschen Annäherung, Bundeskanzler Willy Brandt, hat es geschafft. Nach zähem Ringen und seinem legendären Erfurter besuch wird am 7. November 1972 der Grundlagenvertrag mit der DDR paraphiert. Er stellt das Verhältnis der beiden deutschen Staaten auf die Grundlage gutnachbarlicher Beziehungen.

Ebenfalls im November 1972 begannen nach langjährigen Sondierungen zwischen den Machtblöcken NATO und WARSCHAUER PAKT die Vorbereitungen für die „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ in Helsinki.

Ein ehemaliger Erster Sekretär der Bezirksleitung der SED von Ost-Berlin, zur Wende zum Sekretär des ZK der SED für Informationswesen ernannt, begeht den für ein Volk folgenschweren vermeintlichen Fehler: Am Abend des 9. Novembers 1989 verliest Günter Schabowski live im DDR-Fernsehen, die Nachricht zu einer neuen Reiseregelung. Die von Seiten des Innenministeriums und der Staatssicherheit formulierte Nachricht beinhaltete lediglich, dass fortan Bürger der DDR Privatreisen ins Ausland auch ohne Vorliegen von bis dato notwendigen Reiseanlässen und Verwandtschaftsverhältnissen beantragen können. Diese werden ab sofort kurzfristig und ohne Einschränkung für jedermann erteilt. Über alle Grenzübergangsstellen der DDR könne auch eine ständige Ausreise in die BRD erfolgen.

Der italienische Journalist Carlo Ehrmann hakte nach, ab wann die neue Regelung gelte. Schabowski antwortete: „Das tritt nach meiner Kenntnis… ist das sofort, unverzüglich.“ Diese Nachricht verbreitete sich schneller als jedes Lauffeuer und wurde sofort in die Tat umgesetzt – und später umgedeutet. Völlig überfordert und von der Situation überrumpelt öffneten Offiziere der Passkontrolle und der Grenztruppen der DDR am Ost-Berliner Grenzübergang Bornholmer Straße jegliche Absperrungen und lösten damit eine Kettenreaktion an den gesamten Übergängen zunächst in und um Berlin, kurz nach Mitternacht an der innerdeutschen Grenze aus. Trunken dieses Zustandes waren alle im Osten der Republik gereiften Vorhaben plötzlich passé, setzte das große Vergessen ein.

9.11.2001: Das Anti-Terror-Paket, eigentlich als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 gedacht und beschlossen, legt den Grundstein für weitere die demokratische Freiheit auch der Bundesbürger einschränkende Gesetze. Ohne größere öffentliche Diskussion und gegen jegliche Einwände von Juristen und Datenschützern erfolgen seither drastische Einschränkungen einst – zum Beispiel in November-tagen erkämpfter – demokratischer Rechte und Freiheiten, wird die Grauzone zwischen Verdacht und Beweis strafbarer Aktivitäten für den Staat sehr großzügig gehalten.

Ob und welche Parallelen und Dispute es zwischen den einzelnen November-Tagen in den jeweiligen Epochen gibt, das mag jeder für sich selber klären. Es soll hierbei auch einige Überlegungen geben, die von den Zahlen neun und elf ausgehen – die magischen Zahlen der Templer, zu deren Nachkommen auch die Freimauerer gehören, die bekanntlich in führenden Positionen ob neutralen Denkens Entscheidungen im Sinne des Volkes treffen oder dahingehend beeinflussen – Leute wie Friedrich Wilhelm, Friedrich Schiller, Robert Blum, Gerhard Johann David von Scharnhorst, Hans David Ludwig Yorck von Wartenburg, Gebhard Leberecht von Blücher, Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein, Zar Alexanders I., Willy Brand, Günter Schabowski?

von Udo Hentschel