Start Erzgebirge Exklusiv-Interview mit Helge Leonhardt
Artikel von: Sven Günther
12.01.2022

Exklusiv-Interview mit Helge Leonhardt

Helge Leonhardt, der Präsident des FC Erzgebirge Aue, gab dem WochenENDspiegel als einziger Zeitung vor dem Start ins Spieljahr 2022 dieses Interview. Foto: Fotoatelier Lorenz

Es zählt nur die Mission Klassenerhalt

Aue. Er druckst nicht herum, spricht Klartext, legt den Finger in die Wunde. Helge Leonhardt. Präsident des FC Erzgebirge Aue. Fabrikant. Macher. Entscheider. Dem WochenENDspiel gab er als einziger Zeitung vor dem Start in das Spieljahr 2022 dieses Interview.

WOCHENENDSPIEGEL:
Am Samstag bestreiten die Auer „Veilchen” das erste Punktspiel im neuen Jahr. Was erwarten Sie vom Team beim Tabellenführer FC St. Pauli?
HELGE LEONHARDT:
Dass es mit Mut, Kollektivität, eisernem Willen und höchster Mentalität auf den Platz geht.

WOCHENENDSPIEGEL:
Vorletzter Tabellenrang, wichtige Leistungsträger fallen aus, zuletzt die 0:5-Pleite im Test bei Dynamo. Was tun, um zurück in die Spur zu finden?
HELGE LEONHARDT:
Sich anders präsentieren als in Dresden.

WOCHENENDSPIEGEL:
Die Erwartungen ins Experiment mit Trainer Aleksey Shpilevski haben sich nicht erfüllt, der Wechsel von Pascal Testroet zur Konkurrenz nach Sandhausen löste Kopfschütteln aus. Haben Präsident und Vorstand Fehler gemacht?

HELGE LEONHARDT:
Wir und auch ich waren überzeugt von der Idee des Trainers. Sie ging nicht auf und er kapitulierte dann auch selbst.

Zu Pascal Testroet etwas ausführlicher: Die Entscheidung, „Paco” wechseln zu lassen, liegt mir jetzt noch im Magen. Warum?
Erstens: Hauptgrund ist, dass es nicht gelang, adäquaten Ersatz zu finden, der ins Spielsystem des damaligen Trainers passte. Die Verpflichtungen von Antonio Mance und anderen, die auf Shpilevskis Wunschliste standen, konnten in keinster Weise überzeugen. Heißt: Die Aufgabe wurde nicht erfüllt.
Zweitens: Der Grund für Pascal, den FC Erzgebirge zu verlassen, war ein persönliches Gespräch mit dem damaligen Trainer: Er würde nicht in dessen neues Spielsystem passen. Zu dem Zeitpunkt hatte „Paco” weder eine Trainingseinheit noch ein Trainingsspiel absolvieren können, weil er in Quarantäne war. Daraufhin wandte sich der Stürmer mit dem Wunsch zu wechseln an den Verein, da er in dieser Konstellation keine Chance für sich selbst sehe. Das wurde dann noch mal eingehend von allen Beteiligten diskutiert und letztendlich hat der Verein dem Wechsel zugestimmt.

Aus jetziger Sicht war es ein Fehler, „Paco” ziehen zu lassen. Ich hätte damals nicht zustimmen sollen. Denn er ist sportlich fit und strahlt auf dem Platz immer Gefahr aus, egal bei welchem Spielsystem. Zum anderen war es psychologisch in der Außenwirkung falsch, den Wechsel zu befürworten, unabhängig davon, ob die Sache zwischen den Parteien eskaliert wäre. Obendrein war es politisch brisant, weil „Paco” bei den Fans beliebt war und echte Verdienste hat, die im Kopf der Menschen und auch bei mir hängengeblieben sind. Dies erinnert mich an unsere Vereinsgeschichte, als große Typen wie Mothes, Kern, Juskowiak, König, Sylvestr oder Köpke gingen. Alle besitzen große Anerkennung, ja sogar Legendenstatus. Und wenn man dann keinen Ersatz findet, weint man umso mehr und ist doppelt enttäuscht. Und solange das der Fall ist, wie jetzt bei Testroet, wird die Wunde offen bleiben und bluten, bis jemand da ist, der diesem Anspruch annähernd gerecht wird.

In der Quintessenz ist festzustellen, dass es aus jetziger Sicht ein Fehler war. Als erster Mann im Verein übernehme ich dafür die Verantwortung.

WOCHENENDSPIEGEL:
Kommt noch kurzfristig Verstärkung für den Klassen-Kampf?
HELGE LEONHARDT:
Wir sind dran. Aber es geht ausschließlich um Qualität, nicht um Quantität.

WOCHENENDSPIEGEL:
Was stimmt Sie optimistisch, am Ende der Saison überm Strich zu stehen?
HELGE LEONHARDT:
Meine Erfahrung, die ich in den letzten sieben Jahren als Präsident machen konnte. Und, dass wir in diesen Jahren immer wieder schwerste Situationen meistern mussten und gemeinsam gemeistert haben. Ich vertraue hier auf hohe Eigenverantwortung und Kollektivität.

WOCHENENDSPIEGEL:
Junge Spieler wie Antonio Jonjic, Anthony Barylla oder Nicolas Kühn haben durchaus Akzente gesetzt. Sie sind auf gutem Weg?
HELGE LEONHARDT:
Die Jungs sind sportlich zu führen und weiter zu entwickeln. Das ist der Auftrag ans Trainerteam. Dann werden sie noch besser und großartige Fußballer.

WOCHENENDSPIEGEL:
Kann die ernste Lage Kräfte freisetzen?
HELGE LEONHARDT:
Ja, wenn die Leistungsträger vorangehen und sich ausschließlich auf die Sache, den Fußball, konzentrieren. Es zählt ausschließlich die Mission Klassenerhalt.

WOCHENENDSPIEGEL:
Wie meistert der Verein die Herausforderungen der Pandemie?
HELGE LEONHARDT:
Die schwierige Lage zwingt uns zu ständigem Restrukturieren, um den Verein in der Bahn zu halten. Das ist ein enormer Kraftakt, den man mit Sorgfalt und Energie bewältigen muss.

WOCHENENDSPIEGEL:
Was können Sponsoren, Mitglieder und Fans dafür tun?
HELGE LEONHARDT:
Vertrauen, durchhalten und geben, was sie können beziehungsweise wollen, ohne dass wir Ansprüche erheben. Demut geht vor Fordern!

WOCHENENDSPIEGEL:
Am 22. Januar gastiert Schalke 04 in Aue, doch unter Corona-Bedingungen wird es kaum das erhoffte Fußballfest für die Zuschauer sein dürfen. Für Sie dennoch ein besonderes Duell der Kumpelvereine?
HELGE LEONHARDT:
Nicht mehr, denn ohne Zuschauer fehlt die Seele. Wir spielen nur wie alle anderen es Geldes wegen an trostlosen Spieltagen ohne Zuschauer.

WOCHENENDSPIEGEL:
Zu diesem Heimspiel erscheint das Auer Stadionmagazin mit seiner 500. Ausgabe unterm Namen Veilchenecho. Wie wichtig bleiben gute, alte, gedruckte Stadionhefte in digitalen und Pandemie-Zeiten?
HELGE LEONHARDT:
Unersetzbar, denn es sind Klassiker. Sie schreiben Geschichte.

Interview: Olaf Seifert