Start FDP-Fraktion droht mit Klage gegen neues Infektionsschutzgesetz
Artikel von: Sven Günther
21.04.2021

FDP-Fraktion droht mit Klage gegen neues Infektionsschutzgesetz

Abgeordnete der FDP-Fraktion im Bundestag planen im Eilverfahren beim Bundesverfassungsgericht gegen das neue Infektionsschutzgesetz zu klagen. Unter ihnen der Vorsitzende der sächsischen Liberalen, Frank Müller-Rosentritt. Foto: FDP

Profitiert die FDP von der Corona-Pandemie?

Von Sven Günther
Die sächsischen Liberalen sind im Aufwind. Bei den Wählern liegt die FDP konstant über der Fünf-Prozent-Hürde. Der neuen Vorsitzende gibt Gas. Frank Müller-Rosentritt. Bundestagsmitglied. Unternehmer. Der ehemaliger Banker (u.a. Baden-Baden, New York, Dresden ) spielt auch Flügelhorn bei den Heidelbachtal Musikanten aus Drebach im Erzgebirge.

Er ist bissig, scheut sich nicht, die Regierenden scharf zu kritisieren und gegen deren Entscheidungen gerichtlich vorzugehen. Beispiel: Das Infektionsschutzgesetz. Müller-Rosentritt: “Wir werden heute über alle unsere Änderungsanträge im Bundestag namentlich abstimmen lassen. Dann kann jeder Bürger sehen, wei die gewählten Abgeordneten zu den einzelnen Punkten stehen. Wenn die Anträge abgelehnt werden, kann man dem Gesetz nicht zustimmen und muss – aus Respekt vor unseren individuelen Grundrechten – die Rechtmäßigkeit in Karlsruhe prüfen lassen.”

Dem WochenENDspiegel gab er dieses Interview.

WOCHENENDSPIEGEL:
Seit Monaten steigen die Umfrageergebnisse der sächsischen FDP, zuletzt haben sie sogar die SPD im Freistaat überholt. Sind sie ein Corona-Krisen-Profiteur?

FRANK MÜLLER-ROSENTRITT:
Was für eine böswillige Frage und noch völlig falsch dazu! Die FDP profitiert ganz sicher nicht von der Corona-Krise. Wir profitieren von unseren vernünftigen Ansichten und der katastrophalen Gesamtbilanz der Bundes- und Landesregierungen rund ein Jahr nach Beginn der Pandemie.
Ich sage leider, weil auch ich mir wünschen würde, dass wir ebenso sicher und verantwortungsvoll wie ziel- und lösungsorientiert durch und aus dieser Pandemie herauskommen! Regierungen müssen aus Erfahrungen klug werden. Leider spiegeln sich in zahlreichen Verordnungen und Gesetzesentwürfe dieser Erkenntnisprozess nicht wider.
Die Regierungen – sowohl im Land als im Bund – versagen momentan nahezu überall – beim Impfen, bei der Beschaffung und Zulassung von Schnelltests, bei der Ausstattung der Schulen mit moderner Informationstechnologie und Luftreinigungsanlagen und ganz dramatisch bei der Auszahlung der dringend benötigten Finanzhilfen für die von den Schließungen betroffenen Unternehmungen oder Soloselbständige.
Während die Bürgerinnen und Bürger weiter einseitig mit oft unverhältnismäßigen Grundrechtseinschränkungen belastet werden und der Regierung nach einem Jahr Pandemie nichts Klügeres einfällt als Schließen, suchen die Bürger nach einer politischen Kraft, welche die Erkenntnisse der Wissenschaft in Ihre Lösungen einfließen lässt sowie Verantwortung und Freiheit clever miteinander kombiniert. Das sind wir Liberale, denn für uns sind Freiheit und Verantwortung zwei Seiten der gleichen Medaille. Dies wird eben auch zunehmend von der Bevölkerung in Umfragen honoriert.

WOCHENENDSPIEGEL:
Kein Wunder. Sie können Dinge versprechen, die Sie nicht umsetzen müssen. Von außerhalb des Landtages lässt es sich gut schimpfen.

FRANK MÜLLER-ROSENTRITT:
Es geht nicht darum, zu schimpfen und unsachlich zu kritisieren. Es geht um Fakkten
Sowohl bei uns im Freistaat als auch in ganz Deutschland wurden unbürokratische und wirksame Wirtschaftshilfen versprochen, die schnell ausgezahlt werden sollten. Eingelöst wurde das nicht. Hier hat es seitens des Bundeswirtschaftsministeriums und bei Minister Altmaier schwere Fehler gegeben. Die FDP fordert jetzt seit einem Jahr, die Liquiditätshilfen schnell und unbürokratisch über die Finanzämter auszuzahlen. Bei denen liegen die Daten nämlich schon vor. Die Unternehmer, die Mittelständler vor allem, die in den letzten Jahren kräftig Steuern gezahlt und viele soziale Projekte in diesem Land erst möglich gemacht haben, müssen jetzt davon profitieren, indem man ihnen einen Teil dieser Steuern zurückerstattet. Hier geht es um Existenzen!
Die Unternehmerinnen und Unternehmer waren Jahrzehnte durch Ihre Steuerzahlungen mit der Gesellschaft solidarisch, jetzt dürfen Sie erwarten, dass es auch die Gesellschaft mit ihnen gleichtut. Die Langzeitschäden für die Wirtschaft und die betroffenen Menschen werden gravierend sein, wenn die Regierung nicht endlich handelt und vor allem Fehler korrigiert. Es ist eine Schande, dass den Unternehmen das Wasser bis zum Hals steht. Oder denken wir an die Freiberufler, die sich in existenziellen Nöten befinden. Manche sagen: Der FDP ist die Wirtschaft wichtiger als die Gesundheit. Das stimmt nicht. Aber es muss gelingen, wirksamen Gesundheitsschutz mit dem Überleben unserer Wirtschaft zu verbinden. Vergessen wir nicht: Unternehmer sind auch Arbeitgeber und Steuerzahler. Ewig können wir uns ein Leben auf Pump nicht leisten. Neben der ökologischen gibt es auch eine finanzielle Nachhaltigkeit. Unsere Kinder und Enkelkinder werden es uns danken.

WOCHENENDSPIEGEL:
Ich bleibe dabei: Leicht zu sagen, wenn man nicht in der Verantwortung steht.

FRANK MÜLLER-ROSENTRITT:
Es hilft ein Blick über die Grenzen. Während die Menschen in anderen Ländern dieser Welt dank klugem Regierungshandeln Familie und Freunde treffen, Sport treiben sowie Restaurants, Strände, Opernhäuser oder Theater besuchen dürfen, fällt unserer Regierung nach fünf Monaten Dauer-Lockdown nichts Besseres ein, als weiter auf ein “Zu-Hause-Bleiben” und undifferenzierte Verbote zu setzen. Die Methoden der Pandemie-Bekämpfung erinnern mehr an das Mittelalter, als an das 21. Jahrhundert. Ich vermisse Mut, Innovation und Verstand. Dadurch gelingt es der Politik ja erkennbar immer weniger, unsere Bürger mitzunehmen, transparent und nachvollziehbar zu entscheiden.
Aber gut, in Berlin wird in die Entscheidungen kaum der Bundestag als Volksvertretung einbezogen. Stattdessen entscheiden die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs der Länder hinter verschlossenen Türen oder wenn es nun nach der Regierung und der Mehrheit Union und SPD geht, die Regierung bald allein. Wir haben nach der ersten Phase der Pandemie, die tatsächlich ungewöhnliche Entscheidungen nötig gemacht hat, immer gesagt: Die Debatten und Entscheidungen gehören ins Parlament, allemal wenn es um Einschränkungen fundamentaler Grundrechte geht! Es ärgert mich als Liberalen schon, wenn manchmal anklingt, Grundrechte seien eher so etwas wie eine Gnade, die der Staat gewährt. Nein, die Politik muss Einschränkungen gut begründen. Grundrechte heißen nicht umsonst Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Sie gelten für alle und schützen die Bürgerinnen und Bürger vor einem allzu übergriffigen Staat – auch in der Krise, denn genau für solche Zeiten wurden sie verfasst.

WOCHENENDSPIEGEL:
Wie könnte es aus Ihrer Sicht besser laufen?

FRANK MÜLLER-ROSENTRITT:
Einiges wurde schon erwähnt. Es ist jetzt entscheidend, dass der Staat, Bund und Land ihre Hausaufgaben machen: Impfkoordination, Entschädigungen, klare Öffnungsperspektiven schaffen. Es kann doch jeder sehen, dass die bisherige Strategie gescheitert ist. Wir haben als FDP-Bundestagsfraktion bereits im letzten Jahr im Bundestag einen Antrag für einen Sieben-Stufen-Plan, also für schrittweise Öffnungsperspektiven, eingebracht, dem mehr zugrunde liegt als ausschließlich der Inzidenzwert, der mit dazu beiträgt, dass wir aus dem Lockdown gar nicht mehr herauskommen. Es macht doch einen Unterschied ob es in Bärenstein einen Clusterausbruch gibt, weshalb man ja nicht Aue die Schulen schließen muss. Es macht einen Unterschied, wieviel Menschen bereits geimpft worden oder ob ich durch mehr Tests auch mehr Fälle entdecke, aber der Quotient aus positiv Getesteten im Verhältnis zur Anzahl der Getesteten kann sogar geringer werden.

WOCHENENDSPIEGEL:
Wie bewerten Sie konkret die Impfstrategie des Freistaates?

FRANK MÜLLER-ROSENTRITT:
Welche Impfstrategie? Das, was hier in Sachsen geboten wird, kann man nicht Impfstrategie nennen. Es gibt immer wieder Unklarheiten bezüglich ausreichender Impfdosen, zahlreiche Dosen bleiben unverimpft, während es genügend Impfwillige aller Altersgruppen gibt, die auch spontan dankbar über eine Impfung wären. Worauf wartet die Regierung denn noch? Warum nutzt sie nicht die vorhandene Infrastruktur und bringt mit digitalen Mitteln endlich Koordination und Tempo in die Sache. Die Haus- und Fachärzte haben noch Kapazitäten, allerdings nicht ausreichend Impfstoff. Wenn man auf jedem Amt eine Wartemarke ziehen muss, wieso ist dann nicht auch eine digitale Warteliste zum Impftermin für alle Sachsen möglich? In anderen Ländern bekommen die Bürgerinnen und Bürger vom Staat digital einen Terminvorschlag.

WOCHENENDSPIEGEL:
Das Impfen in den Haus- und Facharztpraxen hat bereits begonnen, doch noch immer liegt Deutschland im internationalen Vergleich hinten. Was könnte helfen, bis endlich genug Impfstoff verfügbar ist?

FRANK MÜLLER-ROSENTRITT:
Deutschland macht beim Impfen und flächendeckenden Testen zu geringe Fortschritte. Es müssen alle Möglichkeiten zur Beschleunigung des Impfens ausgeschöpft werden, z.B. durch die Auflösung von Impfreserven, die zeitliche Streckung von Erst- und Zweitimpfung sowie die noch stärkere Einbeziehung niedergelassener Ärztinnen und Ärzte.

WOCHENENDSPIEGEL:
Dem normalen Bürger ist mit den Abstands- und Hygieneregeln, die sich z.T. von Landkreis zu Landkreis unterscheiden, die Übersicht verloren gegangen, was ist erlaubt und was nicht. Sind bundeseinheitliche Regelungen, wie im neuen Infektionsschutzgesetz vorgesehen, dann nicht gut und sinnvoll?

FRANK MÜLLER-ROSENTRITT:
Wichtige Entscheidungen, insbesondere über die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger, müssen im Parlament, im Deutschen Bundestag getroffen werden. Prinzipiell begrüßt meine Fraktion, dass die Bundesregierung endlich ein Konzept vorlegt, welches bundeseinheitlich klar die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen einzelner Maßnahmen beschreibt. Das ist in jedem Fall besser als unregelmäßig stattfindende informelle Treffen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten, deren Ergebnisse die Parlamente nur zur Kenntnis nehmen und die Bürgerinnen und Bürger kaum verstehen.

WOCHENENDSPIEGEL:
Doch bei der vorgelegten Novellierung des Infektionsschutzgesetzes haben Sie Bedenken?

FRANK MÜLLER-ROSENTRITT:
Ich hege große Zweifel, ob die enthaltenen Maßnahmen wirksam und verhältnismäßig sind. Ich denke, eine Reihe von Maßnahmen würde einer verfassungsrechtlichen Prüfung kaum standhalten, da Sie unverhältnismäßig sind und ihnen schlicht die Grundlage fehlt.

WOCHENENDSPIEGEL:
Zum Beispiel?

FRANK MÜLLER-ROSENTRITT:
Nächtliche Ausgangssperren tragen so gut wie nicht zur Bekämpfung der Pandemie bei. Mehrere Gerichte haben sie bereits wieder aufgehoben. Die 7-Tage-Inzidenz ist als alleiniger Maßstab für Schutzmaßnahmen ungeeignet. Die 100er-Inzidenz ist politisch und nicht epidemiologisch begründet. Bevor es zu Schließungen von Außenbereichen, Geschäften, öffentlichen Einrichtungen oder der Schulen kommt, Ausgangssperren und Kontaktsperren selbst mit engsten Verwandten verhängt werden, braucht es zusätzliche Indikatoren. Etwa die Einbeziehung der Testkapazitäten und den Anteil der Positivbefunde, die Belastung des Gesundheitswesens vor Ort und den aktuellen Impffortschritt. Die Erfahrungen aus über einem Jahr der Pandemiebekämpfung müssen stärker berücksichtigt werden. Beispielsweise gehen vom Einzelhandel bei den bestehenden Schutzmaßnahmen kaum Infektionsrisiken aus.

WOCHENENDSPIEGEL:
Sie wollen also die Geschäfte schnellstmöglich wieder öffnen?

FRANK MÜLLER-ROSENTRITT:
Ich möchte, dass unter Minimierung des Ansteckungsrisikos wieder ein Stück Normalität in den Alltag einkehrt. Dabei sind testbasierte Öffnungskonzepte eine Perspektive, um soziale und wirtschaftliche Schäden zu reduzieren. Es gibt bereits innovative Hygienekonzepte. Erste Modellprojekte, wie z.B. in Augustusburg, sind mit strengen Regeln und hohen Auflagen angelaufen. Wir brauchen mehr davon, doch so etwas ist im neuen Infektionsschutzgesetz nicht vorgesehen. Damit ist auch weiterhin die Möglichkeit eingeschränkt, die Wirksamkeit von alternativen Schutzvorhaben in der Praxis zu erproben.

WOCHENENDSPIEGEL:
Wer nachweislich geimpft oder negativ getestet ist, soll auch mehr Freiheiten haben?

FRANK MÜLLER-ROSENTRITT:
Dem Entwurf des Infektionsschutzgesetzes fehlt eine gesetzliche Klarstellung für Geimpfte. Der Gesetzgeber darf diese Frage deshalb nicht länger ignorieren. Wer nicht mehr ansteckend ist, sollte seine Grundrechte wieder zurückbekommen. Für geimpfte und genesene Personen sollten nur zwingend erforderliche Einschränkungen gelten. Leichte Freiheitseinschränkungen wie eine Maskenpflicht und Einhaltung der Abstandsregeln sind bei einer entsprechenden Notwendigkeit durchaus hinnehmbar. Alles weitere sind unnötige Eingriffe in die Grundrechte, die sich nicht mehr begründen lassen. Somit wären auch Fußballspiele oder Musikproben für negativ getestete möglich.

WOCHENENDSPIEGEL:
Was stört Sie am dem zu beschließenden Gesetz am meisten?

FRANK MÜLLER-ROSENTRITT:
Die im Entwurf enthaltene Verordnungsermächtigung für die Bundesregierung ist zu weitreichend und nicht genau genug bestimmt. Ab einer 7-Tage-Inzidenz von 100 soll die Regierung per Verordnung und ohne weitere Einbindung des Parlaments von den Regelungen, die der Deutsche Bundestag beschlossen hat, in jede Richtung abweichen können. Gerade wenn es um die Einschränkungen von Grundrechten und Freiheiten geht, ist das aus Sicht der Freien Demokraten eine Unmöglichkeit.

WOCHENENDSPIEGEL:
Was empfehlen Sie der Bundesregierung?

FRANK MÜLLER-ROSENTRITT:
Nach der gescheiterten „Osterruhe“ raten wir, nicht erneut so unvorbereitet ein so weitreichendes und komplexes Gesetzesvorhaben anzugehen. Es müssen Expertinnen und Experten gehört werden, etwa im Rahmen einer öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss. Debatte ist niemals Selbstzweck sondern immer ein Instrument der Qualitätssicherung.

WOCHENENDSPIEGEL:
Werden Sie der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes trotz ihrer geäußerten Bedenken zustimmen?

FRANK MÜLLER-ROSENTRITT:
Wir werden im parlamentarischen Verfahren Änderungsanträge einbringen. Denn die öffentliche Beratung von Gesetzesinitiativen im Parlament ist das beste Instrument zu deren Qualitätssicherung. Ohne Änderungen, in der vorliegenden Form ist der Entwurf für die Fraktion der Freien Demokraten und für mich persönlich auf keinen Fall zustimmungsfähig.