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Artikel von: Judith Hauße
27.09.2019

Frag uns, ihr seid die Letzten

Henriette Kretz erzählt Schülern von ihren Kindheitserlebnissen während des Holocausts. Foto: Nicole Schwalbe

Wie fühlt sich ein 8-jähriges Mädchen, welches vor der Waffe eines Soldaten flieht und durch zwei Schüsse weiß, dass es nun auch noch seine Eltern verloren hat? Mit solchen und ähnlichen Fragen beschäftigten sich am letzten Mittwoch zwei zehnte Klassen der Oberschule Neukirchen im lebendig gewordenen Geschichtsunterricht. „Ich dachte, als ich die Straße hinunter um mein Leben rannte und schließlich in einem Gebüsch Schutz suchen konnte, dass ich der einsamste Mensch auf dieser Welt war“, antwortete Henriette Kretz, eine der letzten Zeitzeugen, die ihre Geschichte als Jüdin im Zweiten Weltkrieg erzählte. Ihre Geschichte sei nur eine von vielen, denn es waren etwa sechs Millionen Juden in der Zeit des Holocausts ermordet worden, so auch ihre Familie.

„Mit welchem Gefühl kommen Sie nach Deutschland?“, wagte sich nach dem Zeitzeugnis einer der Schüler vor. „Ganz normal, ihr tragt doch keine Schuld“, antwortete Kretz. Die 85-Jährige hatte Gefängnis und Ghetto überlebt, saß ein halbes Jahr im dunklen Keller, immer in der Angst, entdeckt zu werden und ihr Leben zu verlieren, weil sie Jüdin war. Allein dem Umstand, dass ihr Vater Arzt war, war es zu verdanken, dass sie sowohl das Gefängnis, als auch das Ghetto überlebte und die Deportation ins Konzentrationslager umgehen konnte. „Ich habe Ausgrenzung erlebt, das, was ihr heute Mobbing nennt“, erzählte Kretz. „Wenn junge Menschen heutzutage Hakenkreuze malen und den Hitlergruß auf offener Straße zeigen, weil sie glauben, eine Diktatur würde sie glücklich machen, ist das sehr gefährlich. Gebt Acht, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.“  sch