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Artikel von: Sven Günther
25.02.2022

Fragen & Antworten

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. Foto: photothek.net/Sächsische Staatskanzlei

Vom Schmuddelkind zum Musterknaben in Sachen Corona

Von Sven Günther
Region. Seit 2017 ist er Ministerpräsident des Freistaates Sachsen und Landeschef der CDU. Michael Kretschmer. 46 Jahre alt. Verheirateter Familienvater (zwei Söhne). Diplom-Wirtschaftsingenieur. Görlitzer.
Er war von 2002 bis 2017 Mitglied des Bundestages, von 2005 bis 2017 Generalsekretär der Sächsischen CDU.
Aktuell erlebt er eine der schwierigsten Phasen seines politischen Lebens. Soll es eine Impfpflicht für medizinisches Personal geben? Welche Gründe gibt es dafür, dass Sachsen aktuell niedrige Inzidenzwerte vorweisen kann? Gibt es Entscheidungen, die Sie bereuen?
Diese und andere Fragen beantwortet Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer in einem großen Interview. Darin erfahren Sie auch, wie der CDU-Politiker und Ministerpräsident zu verbalen Hass-Attacken im Internet und zur Streitkultur im Allgemeinen steht, was ihm Hoffnung für die nächste Landtagswahl macht und warum er bei den meisten Auftritten unter freiem Himmel eine grüne Jacke trägt.

WOCHENENDSPIEGEL:
Sachsen hat sich in Sachen Corona vom Schmuddelkind zum Musterknaben entwickelt. Macht das Virus was es will oder wie erklären Sie diese Umkehrung?

MP MICHAEL KRETSCHMER:
Das Virus ist sehr dynamisch. Sachsen war im Spätherbst extrem stark betroffen. Die Situation war sehr ernst. Auf den Intensivstationen war mitunter kein Bett mehr frei, schwerstkranke Menschen mussten in andere Bundesländer ausgeflogen werden. Dass es noch schlimmer kommt, haben wir abwenden können, weil wir auf unsere Mediziner und Fachleute gehört, und als erstes Bundesland frühzeitig gehandelt und entschlossen gegengesteuert haben. Die Wellenbrecher-Maßnahmen waren hart und nicht populär. Aber dies war der richtige Weg, um Leben zu retten, einen Kollaps der Kliniken bei uns zu verhindern und um auf die herannahende Omikron-Welle vorbereitet zu sein.

WOCHENENDSPIEGEL:
Die Landräte bitten Sie, sich dafür einzusetzen, dass die Impfpflicht für medizinisches Personal überdacht wird. Was antworten Sie ihnen?

MP MICHAEL KRETSCHMER:
Ich finde es sehr bedauerlich, dass es nicht gelungen ist, mit dem Bund ein gemeinsames Verständnis zu erzeugen, die sektorale Impfpflicht um drei Monate zu verschieben. Dies hätte Klarheit gebracht, welche Personen wirklich betroffen sind. Auch Petra Köpping hat hier viele Gespräche geführt: Wir stärken den Gesundheitsämtern der Kreise und der kreisfreien Städte den Rücken. Sie müssen dieses Bundesgesetz vollziehen, aber mit Maß und Mitte. Das bedeutet, dass die Versorgungssicherheit die allergrößte Priorität hat und sich die Pflegekräfte und das medizinische Personal nicht vor den Kopf gestoßen fühlen. Auch diese Frauen und Männer haben die vergangenen zwei Jahre in dieser Pandemie-Bekämpfung schwierigste Dinge erlebt. Ihnen gilt unser aller Respekt. Ich möchte nicht, dass diese Frauen und Männer jetzt in großer Angst um ihren Arbeitsplatz und um ihre Zukunft leben müssen. Ich habe in den vergangenen Tagen eine ganze Reihe von Gesprächen geführt. Ich bin dankbar für die offenen Worte der Diakonie Sachsen, der Krankenhausgesellschaft, auch der Ärzteschaft, die alle dafür geworben haben, dass wir eine Lösung finden, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter in diesem Bereich arbeiten können.

WOCHENENDSPIEGEL:
Gibt es von Ihnen getroffene Entscheidungen, die Sie heute bereuen?

MP MICHAEL KRETSCHMER:
Die flächendeckenden Schulschließungen in der Anfangszeit der Pandemie waren nicht gut. Das war ein Fehler. Das ist zu Recht von vielen Seiten kritisiert worden, von den Eltern und von Fachleuten. Das haben wir korrigiert. Schulen und Kitas bleiben so lange wie nur irgend möglich geöffnet. Das ist gut für unsere Kinder und im Sinne der Familien. Dabei geht es auch um Bildungsgerechtigkeit.

WOCHENENDSPIEGEL:
Sehen Sie mit Sorge, dass die Fähigkeit der Menschen, unterschiedliche Standpunkte zu diskutieren, immer mehr abnimmt, stattdessen Beleidigungen und Diffamierungen an der Tagesordnung sind?

MP MICHAEL KRETSCHMER:
Zunächst einmal: Die große Mehrheit bei uns hält sich an die Maßnahmen. Die allermeisten Menschen gehen respektvoll miteinander um. Das heißt nicht, dass alle immer einer Meinung sind. Man kann unterschiedlicher Meinung sein und dennoch vernünftig miteinander umgehen, einander zuhören und an Kompromissen arbeiten und für Lösungen streiten. Oder manchmal nur eine andere Meinung aushalten. Dann gibt es eine Minderheit, die nicht an einer wirklichen Diskussion interessiert ist, die andere beleidigen und diffamieren. Einige versuchen sogar, unsere Gesellschaft und unsere Demokratie, unser friedliches Zusammenleben zu zerstören. Sie bedrohen in der vermeintlichen Anonymität des Netzes andere Menschen, verbreiten Hass und Hetze, machen die Institutionen des Staates verächtlich, rufen zu Gewalt auf. All das ist nicht hinnehmbar. Das geht so nicht. Wer diese Grenzen überschreitet, muss damit rechnen, dass Polizei und Justiz dies entschlossen verfolgen.

WOCHENENDSPIEGEL:
Wünschten Sie sich manchmal in Zeiten zurück, in denen nicht jedweder Blödsinn via Facebook massenhaft verbreitet werden konnte?

MP MICHAEL KRETSCHMER:
Es ist heute sehr einfach, sich nur im eigenen Meinungsspektrum zu bewegen und dort auch immer extremere Inhalte angezeigt zu bekommen. Gerade in sozialen Netzwerken entstehen Filterblasen sehr schnell auch ohne viel eigenes Zutun. Umso wichtiger ist Aufklärung. Es muss weiterhin das Bewusstsein dafür geschärft werden, nach welchen Mechanismen soziale Netzwerke funktionieren und wie sich Meldungen auf ihre Qualität prüfen lassen. Mir ist es wichtig die Weichen zu stellen dafür, dass solche Plattformen sich nicht destruktiv auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt auswirken. Außerdem gilt es, die Betreiber mehr in die Verantwortung nehmen.

Typisches Outfit! Ministerpräsident Michael Kretschmer in grüner Jacke beim Besuch des zweiten Skilanglauf-Weltcup in Dresden (2019). Foto: Sächsische Staatskanzlei

WOCHENENDSPIEGEL:
Wäre es nicht richtig, die Anbieter sozialer Plattformen genauso haftbar zu machen, wie Herausgeber von Zeitungen?

MP MICHAEL KRETSCHMER:
Soziale Plattformen sind nur sehr eingeschränkt mit Zeitungen und Zeitschriften vergleichbar. Der Herausgeber einer Zeitung hat ganz andere Einflussmöglichkeiten auf den Inhalt seiner Beiträge als der Anbieter einer sozialen Plattform. Weil das so ist, müssen Verantwortlichkeit und Haftung auch unterschiedlich bewertet werden. Das bedeutet aber keinesfalls, dass das Internet ein rechtsfreier Raum ist. Die Kanäle müssen offensichtlich strafbare und rechtswidrige Inhalte von sich aus löschen. Es gibt zudem eine Meldepflicht für die Anbieter. Im Übrigen geht es darum, dass strafbare Handlungen im Internet konsequent verfolgt werden. In Sachsen haben wir erst vor kurzem beim Landeskriminalamt eine neue Spezialeinheit zur Bekämpfung von Internet-Extremismus eingesetzt.

WOCHENENDSPIEGEL:
„Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“, sagte Sepp Herberger. Für Sie heißt es nach der Bundestagswahl ist vor der Landtagswahl. Was macht Ihnen Hoffnung, dass die CDU in Sachsen besser abschneiden wird?

MP MICHAEL KRETSCHMER:
Dass die Union nicht überzeugend war, hat seinen Ausdruck in der Bundestagswahl gehabt. Die Wähler haben der CDU nicht das Mandat gegeben. Deswegen ist es dringend notwendig, neue Konzepte zu entwickeln und dafür zu werben. Das tun wir. Und wir haben uns sortiert und neu aufgestellt. Es gibt mit Friedrich Merz einen klugen und erfahrenen Strategen an der Spitze der Bundes-CDU. Auch deshalb bin ich insgesamt sehr zuversichtlich.

WOCHENENDSPIEGEL:
Ein wenig Trivialität zum Schluss: Wie viele grüne Jacken haben Sie eigentlich oder tragen Sie immer die gleiche, wenn Sie Außentermine wahrnehmen?

MP MICHAEL KRETSCHMER:
Die Jacke mit dem „So geht sächsisch“-Logo trage ich sehr gern. Auch deshalb, weil ich so bei meinen Terminen regelmäßig auch auf unsere Imagekampagne aufmerksam machen kann. Der Politik wird heute oft abgesprochen, das Beste für die Regionen und die dort lebenden Menschen zu wollen. Ich empfinde das anders und mache mit Überzeugung Politik in und für Sachsen – und ich will den Namen unseres Freistaates auch nicht denen überlassen, die am lautesten schreien.