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Artikel von: Sven Günther
31.03.2023

Hansi-Heike Lerche und der Wald

Forstamtsleiterin Hansi-Heike Lerche spricht im WochenENDspiegel-Interview über den Wald im Vogtland und ihren Ruhestand
Forstamtsleiterin Hansi-Heike Lerche spricht im WochenENDspiegel-Interview über den Wald im Vogtland und ihren Ruhestand. Foto: Ellen Liebner

Der Wald ist ihre Heimat


Vogtland. Sie lächelt, wenn sie auf ihren Vornamen angesprochen wird. Hansi-Heike. Wer kommt den auf diese Kombination? „Meine Eltern“, lacht Hansi-Heike Lerche, die seit 50 Jahren im Wald des Vogtlands arbeitet, 17 Jahre den Forstbezirk Adorf (27.000 Hektar, 14 Reviere) leitet und sagt: „Sie wollten unbedingt einen Jungen haben und gaben mir kurzerhand den außergewöhnlichen Vornamen. Inzwischen nennen mich alle nur Hansi…“
Alle, das sind vor allem die Kollegen im Forst, in dem sie seit 1973 arbeitet. Jetzt geht sie in den Ruhestand. Kaum jemand kennt den Wald so gut wie sie, kaum jemand hat ein solch ausgeprägtes Gespür für Flora und Fauna, kann die Lage realistisch einschätzen. Dem WochenENDspiegel gab sie dieses Interview

Hat sich der Wald erholt?

WOCHENENDSPIEGEL:
Wenn ich an meine Jugend und den Wald denke, sehe ich Braun. Rein optisch hat sich unser Wald doch deutlich erholt oder trügt der Eindruck?

HANSI-HEIKE LERCHE:
Ich kann natürlich nur für den Wald im oberen Vogtland sprechen. In dem sieht man heute Grün in alles Facetten, sodass Laien ihn als gesund bezeichnen würden. Lassen Sie es mich so formulieren: „Einerseits hat sich der Wald verändert und andererseits hat er sich von den Immissions-Schäden des letzten Jahrhunderts deutlich erholt.
Verändern konnte er sich durch die geänderten Rahmenbedingungen. Die seit 1991 praktizierte naturnahe Waldbewirtschaftung, der Anspruch an die Gewährleistung der Gleichrangigkeit der Waldfunktionen (Schutz-, Nutz- und Erholungsfunktion) und die Integration ökologischer Bewirtschaftungsprinzipien in die forstliche Bewirtschaftung haben sichtbare Spuren hinterlassen.
Dazu kommt, dass die von Fichten dominierten Wälder von der Vermeidung von waldschädlichen Emissionen, der Verbesserung der Luftqualität und der seit 35 Jahren regelmäßig durchgeführten Kalkungen profitieren.

WOCHENENDSPIEGEL
Kann man das nur sehen oder auch messen?

HANSI-HEIKE LERCHE
Die Stabilisierung der Waldökosysteme (Waldbestände und Waldböden) kann nicht nur visuell wahrgenommen, sondern auch datenbasiert bewiesen werden,

Klimawandel schädigt den Wald

WOCHENENDSPIEGEL
Also alles im grünen Bereich?

HANSI-HEIKE LERCHE
Nein. Die augenscheinlich vitalen Waldbestände im oberen Vogtland leiden zunehmend unter den Auswirkungen des Klimawandels. Jahrhundertstürme, Schneebruchereignisse und zuletzt die Trockenjahre 2018/2019 schwächen die Waldökosysteme und Folgeschäden durch Borkenkäfer und andere Schädlinge tun das Übrige.

WOCHENENDSPIEGEL:
Sie sind seit 50 Jahren im Wald unterwegs. Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Flora.

HANSI-HEIKE LERCHE
Grundsätzlich positiv. Die Artenvielfalt hat zugenommen, die Vermischung der Baumarten geht voran und es gibt eine vielfältige Strauch- und Bodenvegetation. Der Wald ist strukturell immer besser aufgestellt, weil er horizontal und vertikal wächst, es unterschiedliche alte Bestände gibt. Dadurch kommt es zu einer Verbesserung der Vitalität, einem guten Nadel- bzw. Blattbestand.
ABER: Der Waldumbau muss weitergehen, Laubholz und Weißtanne müssen hinzukommen und die natürliche Verjüngung der Mischbaumarten muss gefördert werden.
Wichtig ist auch, die vom Borkenkäfer befallenen Bestände schnell zu sanieren, die Waldkalkung fortzuführen und rechtzeitig Pflegeeingriffe zur Stabilisierung, Mischungsregulierung und Qualitätserzeugung vorzunehmen.

Hansi-Heike Lerche in ihrem Forstamt, aus dem sie sich jetzt in den Ruhestand verabschiedet. Foto: Ellen Liebner

Umbaus des Waldes

WOCHENENDSPIEGEL:
Zu den Tieren: Gibt es zu viel Wild oder zu wenig Jäger?

HANSI-HEIKE LERCHE
Eine schwierige Frage, die ich nicht pauschal beantworten kann. Maßgeblich für die Beurteilung ist immer das von der Gesellschaft vorgegebene Ziel der Waldbewirtschaftung, insbesondere im staatlichen Wald.
Und hier ist der klare gesetzliche Auftrag, den Wald für die Herausforderungen des Klimawandels zu stabilisieren und anzupassen. Überbordende Wildschäden (Verbiss oder Schälschäden) verhindern bzw. verzögern den dabei dringend notwendigen Waldumbau mit Baumarten der natürlichen Waldgesellschaften (wie z. B. Rotbuche, Bergahorn oder Weißtanne) usw. verursachen hohe Kosten für Schutzmaßnahmen und führen dauerhaft zu Stabilitäts- und Qualitätsverlusten.
Die konkrete regionale Situationseinschätzung wird im Rahmen von Vegetationsgutachten vorgenommen und daraus resultieren Maßnahmen für das Jagdmanagement.
Aber die reine Feststellung viel Schaden = viel Wild = zu wenig Jäger ist nicht so in den Raum zu stellen. Auch wenig Wild kann bei hohem Störpotential seiner natürlichen Lebensweise Schäden verursachen.

WOCHENENDSPIEGEL:
Wie kann man die Situation klären?

HANSI-HEIKE LERCHE
Es geht nur gemeinsam. Es müssen gemeinsame und revierübergreifende Wildtier- und Jagdmanagementkonzepte, die an die
regionale Situation angepasst sind, erstellt werden.
Man muss Gemeinsamkeiten und unterschiedliche Ziele akzeptieren, miteinander statt übereinander reden. Die Aus- und Weiterbildung der Jäger ist eine wichtige Voraussetzung für jagdlichen Erfolg und saubere, vorbildliche Jagdausübung.
Wichtig ist meiner Meinung nach auch, Prädatoren wie Wolf und Luchs als natürliche Feinde zu dulden.

Lieber Wald und Natur statt Tokio

WOCHENENDSPIEGEL:
Viele Menschen sehnen sich im Urlaub nach Natur und Ruhe. Reisen Sie im Umkehrschluss gern ins Zentrum von Kairo, Tokio oder Peking?

HANSI-HEIKE-LERCHE
Obwohl ich das besondere Flair von Großstädten (Kultur, Geschichte, Architektur) bei regelmäßigen Kurzbesuchen genieße, erkunde auch ich im Urlaub eher die Natur- und Landschaftsschönheiten verschiedener Länder. Aber auch innerhalb unserer Heimat entdecke ich immer wieder kleine „Naturwunder“. Der forstliche Blick über den Tellerrand ist wichtig und gerade im Urlaub lässt sich manches entdecken. Gezielte Reisen in pulsierende Großstädte stehen momentan nicht auf dem Urlaubskalender.