Start Vogtland HWK-Chef Wagner: Lieber Meister als Master
Artikel von: Sven Günther
01.03.2021

HWK-Chef Wagner: Lieber Meister als Master

Frank Wagner, der Präsident der Handwerkskammer Chemnitz. Foto: HWK

Wagner: Das Handwerk ist krisenfest und systemrelevant

WOCHENENDSPIEGEL:
Handwerk hat goldenen Boden, sagt der Volksmund. Können Sie einem Schüler kurz und knapp erklären, warum es sich lohnt, einen Handwerksberuf zu ergreifen?
FRANK WAGNER:
Weil das Handwerk mit seinen rund 130 Ausbildungsberufen eine riesige Vielfalt bietet. Weil die Arbeitszufriedenheit und das Maß an Selbstverwirklichung im Handwerk höher sind als anderswo. Das bestätigen uns Umfragen.
Weil viele Handwerksbetriebe von Nähe und familiärem Umgang geprägt sind. Und weil Hierarchien im Handwerk flacher sind und Karriereziele viel schneller erreichbar sind als in großen Konzernen. An die Ausbildung kann man einen Fachwirt, einen Meister oder einen Betriebswirt anhängen und kommt damit, wenn man es will, sehr schnell in eine Führungsposition im Handwerk oder wird sogar Unternehmer.
Wer von vorn herein auf einen höheren Abschluss aus ist, kann Lehre, Meister und Ingenieurabschluss in einem angehen.

WOCHENENDSPIEGEL:
Mal ganz ehrlich: Im Handwerk bekommt man dreckige Hände, schwitzt und ist körperlich gefordert. Warum sollte das für Jugendliche attraktiv sein?
FRANK WAGNER
Genau das ist das gängigste Vorurteil gegenüber dem Handwerk. Aber eben ein überholtes Vorurteil: Es gibt nur noch ganz wenige Gewerke, auf die das wirklich zutrifft. In den meisten haben hochmoderne Technologien Einzug gehalten. Da kann ich beim Augenoptiker oder Hörgeräteakustiker anfangen und beim Tischler aufhören.
Computergestützte Arbeitsvorgänge erfordern von Auszubildenden heute hohe Kompetenz und beste Noten. Seit Jahren verzeichnen wir in solchen Berufen sehr hohe oder steigende Zuläufe – Kraftfahrzeugmechatroniker, Elektroniker, Anlagenmechaniker und Tischler sind die Top 4 in unserer Berufsausbildungsstatistik. Und selbst die unter dem Vorurteil vermeintlich dreckigen Handwerke arbeiten mit hochmodernen Maschinen: Multifunktionsbagger mit 3D-Baggersteuerung, ferngesteuerte Mehrzweckverdichter, spezielle Baumesstechnik.

WOCHENENDSPIEGEL:
Die ganze Mühe – und dann wird man mit dem Mindestlohn abgefrühstückt…
FRANK WAGNER
In vielen Gewerken – und vor allem im Baubereich – gelten Tarifverträge. Das ist weit entfernt von Mindestlohn. Letztendlich entwickeln sich aber alle Gewerke des Handwerks seit Jahren weiter. Wer ein Handwerk erlernt, der schaut auch nicht in erster Linie auf den Verdienst. Dort können wir mit vielen Industriezweigen sicherlich nicht mithalten.
Handwerk ist mehr: es fordert individuell die Fähigkeiten und Kompetenzen jedes Einzelnen, es lässt Raum für die eigene Persönlichkeit, für Kreativität und einen Karriereweg, den man so in vielen Industrieberufen nicht einschlagen kann.
Handwerker sind nachweislich die glücklicheren Menschen und wir hätten nicht so viele davon, wenn sich nicht auch im Handwerk gut Geld verdienen ließe. Hier ist alles möglich – sogar ein Studium mit Ingenieurtitel!

WOCHENENDSPIEGEL:
Konkret: Was verdienen Handwerker durchschnittlich in Südwestsachsen?
FRANK WAGNER
Da kann ich nur theoretische Auskünfte geben, da es hier den gesetzliche Mindestlohn, in vielen Bereichen aber tarifliche Mindestlöhne gibt. So liegen wir im Baubereich zum Beispiel bei Einstiegslöhnen von 12,55 Euro, für Maler und Lackierer 13,50 Euro, für Dachdecker 14,10 Euro.
Aber das sind Mindestlöhne – die real gezahlten Löhne sind in vielen Unternehmen höher und steigern sich natürlich auch im Zuge der Berufserfahrung.

WOCHENENDSPIEGEL:
Wünschten Sie sich, dass die Zulassung zu einem Studium selektiv wäre?
FRANK WAGNER
Wir beobachten gerade jetzt in der Pandemie, dass noch mehr Schüler nach der zehnten Klasse lieber in die gymnasiale Oberstufe gehen als in eine Ausbildung. Und die Abiturienten entscheiden sich vermehrt für ein Studium. Ich mache mir große Sorgen, dass die Verunsicherung durch die Corona-Krise dazu führt, dass sich dieser Trend noch verstärkt und sich noch mehr Schulabgänger als schon vor der Pandemie für eine Hoch- oder Fachhochschule entscheiden oder eine weiterführende Schule besuchen, obwohl sie genau die richtigen Bewerber für unsere Ausbildungsstellen wären.
Insofern würde ich mir natürlich stärkere Zugangsbeschränkungen zu einem Studium wünschen, vor allem aber den bewussteren gesellschaftlichen Dialog, dass die berufliche Zukunft in Deutschland auch in der beruflichen Ausbildung liegt. Dass das Handwerk besonders krisenfest und systemrelevant ist, haben sicherlich viele Menschen im letzten Jahr mitbekommen.