Start Vogtland IHK-Studie: Bürokratismus und das Gefühl der Chefs
Artikel von: Sven Günther
10.02.2021

IHK-Studie: Bürokratismus und das Gefühl der Chefs

Wir sehen zwei dicke Aktenordner, prall gefüllt mit Dokumenten. Rund fünf Kilogramm schwer. Inhalt: Die Beantragung von Fördermitteln für die Sanierung der 500 Meter kurzen Scheibnerstraße in Annaberg-Buchholz. Foto: Sven Günther

Einfach öfter die Ohren aufsperren…

Von Sven Günther
Region. “Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen…” Goethes Faust spricht den Satz zu Assistent Wagner, um ihn von der favorisierten rhetorischen Überredungskunst abzubringen…

Was sie fühlen, wenn es um das Thema Bürokratie geht, fragten jetzt Experten der IHK 14 Unternehmer aus Mittelsachsen und legten die Studie den Politiker auf den Tisch.
Die Branchen: Industrie, Einzelhandel, IT, Verkehr, Finanzen, Bau und Hotellerie. Die Firmengrößen: sechs hatten unter 50, vier zwischen 50 und 150, zwei zwischen 150 und 250 Mitarbeiter. Zwei befragte Chefs sprachen für jeweils über 250 Mitarbeiter.

Die IHK-Spezialisten erklären gleich vorab: Die Studie ist nicht repräsentativ. Sie soll dem Mittelstand eine Stimme geben, einen Querschnitt darstellen. Ein Gefühl vermitteln…

Nur in einer Passage wird es konkret: bei den Kosten für die Umsetzung bürokratistischer Auflagen. Die wurden von den Inhabern mit 184.000 Euro pro Jahr angegeben.
184.000 Euro bei 14 Unternehmen. Die IHK vertritt in Südwestsachsen rund 80.000 Unternehmen, von denen rund 5000 mehr als zehn Angestellte gaben.
Bundesweit hatte sich der Normenkontrollrat mit den Auswirkungen beschäftigt, festgestellt, dass die Kosten für die Umsetzung von Regelungen und Gesetzen 5,7 Milliarden Euro höher liegen als noch 2011.

Wie teuer neue Gesetze in Sachsen sind, lesen Sie hier.

Das Hauptziel der Studie lag darin, die Stimmung in der Wirtschaft in Sachen Bürokratie zu ermitteln. Das Ergebnis: “Fast alle Teilnehmer dieser Studie kritisieren die Sinnhaftigkeit von staatlich induzierten Statistik- und Meldepflichten. Oftmals werden diese Meldungen als Ärgernis angesehen, da sie zeitraubend und kostspielig sind. Außerdem konnten die befragten Unternehmen selten einen Nutzen an den hervorgehenden Daten erkennen und das Gefühl einer auferlegten Pflicht ohne Mehrwert ist omnipräsent.”

So wird gefragt, ob es wirklich so viele per Gesetz vorgeschriebene Betriebsbeauftragte geben müsse. Die wären:

Sachverständiger für Beleuchtungsanlagen
Betriebsarzt
Datenschutzbeauftragter
Brandschutzbeauftragter
Ersthelfer
Fachkraft für Arbeitssicherheit (Sicherheitsingenieur, -techniker, -meister)
Gleichstellungsbeauftragter
Sabotageschutzbeauftragter
Fachkundiger für Leitern und Tritte
Schwerbehindertenbeauftragter
Sicherheitsbeauftragter

Dazu kommen branchenspezifische Sachverständige z.B. für Asbest, Gewässerschutz, Tierschutz, Abfall oder Druckluft.

Auch in der Kritik: Die Vielzahl von Daten, die gemeldet werden müssen. Prof. Dr. Viktor Mayer-Schönberger, ein Berater der Bundesregierung, wird in der Studie zitier: “85 Prozent der Daten, die in Europa gesammelt werden, werden nicht ein einziges Mal genutzt.”

Nicht genutzt, aber doch gefordert! Die bürokratistischen Auflagen, gerade bei der Vergabe von Fördermitteln, sind inzwischen so hoch, dass Anträge erst gar nicht gestellt werden. Es sei zudem ein unverhältnismäßiger Nachteil, für geringe Förderquoten Wettbewerbsinformationen wie z. B. Parameter der Herstellung preiszugeben zu müssen.

Die Rangliste der Ärgernisse:

1. Sinnhaftigkeit einzelner staatlich induzierter Statistik- und Meldepflichten
2. Kosten- und Zeitaufwand für staatlich induzierte Meldepflichten
3. Doppelte Datenabfrage bzw. verschiedene Definitionen
4. Verbesserungspotential Digitalisierung bzw. störende Medienbrüche
5. Sinnhaftigkeit des Betriebsbeauftragtenwesens
6. Wunsch nach digitaler Vernetzung
7. Aufwand bei Fördermittelanträgen nicht in Relation zur Fördersumme
8. Unsicherheit beim Datenschutzgesetz.

Hans-Joachim Wunderlich, Hauptgeschäftsführer der IHK Chemnitz fasst zusammen: „Die Studie zeigt, dass Statistik- und Meldepflichten für Unternehmen oftmals zu einem Mehraufwand führen, der zeitraubend und kostspielig ist. Außerdem ist nicht immer zu erkennen, zu welchem Zweck die Daten erhoben werden. Zudem sieht die Hälfte der Befragten erhebliches Verbesserungspotential bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Die letzten Monate unterstreichen nochmal, dass hier Politik und Verwaltung dringend handeln müssen! Durch den Abbau unnötiger Bürokratie kann ein wichtiger Konjunkturimpuls – ohne Kostenaufwand – erfolgen. Corona schafft auch neue Ideen und Pragmatismus, den wir nutzen müssen.”

Einige Aussagen der befragten Firmenchefs:

“Der leitende Bauunternehmer muss inzwischen teilweise Aufgaben des Zolls und der Bundespolizei übernehmen.“ Marcel Rauchalles, kaufmännischer Leiter der VSTR Rodewisch AG

“Die Behörden erlassen neue Verordnungen, auf die die Wirtschaft nicht vorbereitet ist, was sich schlussendlich durch erhöhten bürokratischen Aufwand und damit verbundene Faktoren zum Nachteil für die Firmen entwickelt.” Andrea Gerlach, Inhaberin der Goldschmiede Gerlach & Berger

“Lieber wenige, aber verlässliche Zahlen, als viele geschätzte.”
UND
“Die Portale (der öffentlichen Verwaltungen, d. Red.) sind in einem katastrophalen Zustand“. Mike Siegel, Geschäftsführer der HERSIEG GmbH

“Früher hat man die Fragebögen per Post zugeschickt bekommen, die wurden kopiert und jemand hat die Informationen übertragen. Heute druckt man sich den Bogen selbst aus und überträgt es oder gibt es irgendwo ein.“
UND
“Wenn es um kleine Projekte (bei Fördermittelanträgen, d. Red) geht von 5.000-10.000EUR, da hat man oft den gleichen Aufwand wie bei einer halben Million Euro.“ Ulf Ender, Dipl. Ingenieur beider Grünperga GmbH

“Normalerweise erfasst das kein Mensch so, wie die das haben wollen.“ Michael Wiegner, Geschäftsführer, SWG GmbH

“Es gibt Phasen der absoluten Ohnmacht und Momente wo man sagt ‚Wofür das Ganze?‘“
UND
“Jeder Unternehmer ist bestrebt, Arbeitssicherheit an oberste Stelle zu setzen und Unfälle zu vermeiden, aber das Ausmaß des Beauftragtenwesens ist ein Eingriff in die unternehmerische Freiheit.“ Claudia Kloppe, Geschäftsführerin der SF-Automotive

“Ein Leiterbeauftragter bzw. der Aufwand für diesen Posten ist überflüssig und zu viel, da reicht an manchen Stellen auch der gesunde Menschenverstand.“
UND
“Die Sicherheit der Mitarbeiter ist wichtig, Datenschutz, Arbeitsschutz, etc., aber Aufwand-Nutzen muss in Relation stehen. Quasi jedes neue Gesetz erfordert einen neuen Beauftragten.“ Tino Petsch, Vorstand der 3D-Micromac AG

Fazit:

Wenn Ihr’s nicht fühlt, Ihr werdet’s nicht erjagen… Vielleicht sollten Politiker VOR der Verabschiedung neuer Gesetze ihre Ohren öfter in den Firmen aufsperren…

Hier geht es zur Studie