Start Erzgebirge In jeder Krise steckt auch eine Chance
Artikel von: Redaktion
11.08.2021

In jeder Krise steckt auch eine Chance

Ines Hanisch-Lupaschko. (Foto: TVE)

Interview mit Ines Hanisch-Lupaschko, Geschäftsführerin des Tourismusverbands Erzgebirge e. V. (TVE)

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Die Pandemie hat die Tourismusbranche voll getroffen. Wie bewerten Sie die Unterstützung seitens der Politik?

INES HANISCH-LUPASCHKO:
Rund 4,8 Millionen Touristen und knapp 13,5 Millionen Übernachtungen weist die Statistik für Sachsen im Jahr 2020 aus. Das bedeutet 43 Prozent weniger Ankünfte von Übernachtungsgästen und 35 Prozent weniger Übernachtungen als 2019. Die sächsische Tourismusbranche ist 2020 von den Auswirkungen der Corona-Pandemie hart getroffen worden. Die Ankünfte- und Übernachtungszahlen entsprechen ungefähr dem Niveau von vor 20 Jahren.
Der Tourismus als Wirtschafts- und Standortfaktor hat im Erzgebirge einen sehr bedeutenden Stellenwert. Mit 3,2 Millionen Übernachtungen erreichte die Destination im Jahr 2019 ihren bisherigen Höhepunkt und bleibt damit die übernachtungsstärkste Flächendestination in Sachsen.
Als klassische Querschnittsbranche – egal ob Gastgewerbe, Hotellerie, Einzelhandel, Dienst­leister oder Zulieferer wie regional Produzierende und Handwerksbetriebe – es gibt kaum einen Wirtschaftszweig, der nicht vom Tourismus profitiert und damit ein wichtiger Arbeitsplatzgenerator ist. Die wichtigsten Kennzahlen wurden durch das deutsche Wirtschaftswissenschaftliche Institut für Fremdenverkehr an der Universität München (dwif) für das Jahr 2018 erhoben. Daraus nur diese Fakten:
– 793,1 Millionen Euro Umsatz/Wertschöpfung
– durchschnittliches gewichtetes Primäreinkommen pro Kopf in Höhe von 18.583 Euro
– 20.360 Beschäftigte im Tourismus (Bezieher eines Primäreinkommens)
(Quelle: dwif consulting, Wirtschaftsfaktor Tourismus für die Region Erzgebirge 2018)

Zunächst war der Start ins Jahr 2020 vielversprechend, nach dem ersten Lockdown von Mitte März bis Mitte Mai hat die Einstellung beziehungsweise Reduzierung der Geschäftstätigkeit massive Einbrüche zur Folge. Im Sommer 2020 verzeichneten wir eine hohe Nachfrage, im August und September sogar über dem Rekordjahr 2019. Die Reiseverbote seit Anfang November 2020 führen zwangsläufig zu erneuten drastischen Rückgängen bis Mitte des Jahres 2021.
Die Unterstützungen für die Branche waren und sind vielfältig: Landes- als auch Bundesprogramme von Soforthilfedarlehen, November- und Dezemberhilfen bis zum Programm der Überbrückungshilfen III.
Auf Landesebene gab es enge Abstimmungen zwischen Politik, Fachverbänden und Leistungsträgern, sodass schnell und zielführend unterstützt werden konnte. Wir als Tourismusverband Erzgebirge hatten in dieser Zeit einen noch intensiveren Kontakt zu unseren Mitgliedern, das Ohr also ganz nah an den Leistungsträgern, um ­Herausforderungen auf Bundes- und Landesebene zu spiegeln und gemeinsam Lösungen auf den Weg zu bringen. In jeder Krise steckt auch eine Chance. Wir sind sowohl Impulsgeber und Netzwerker für unsere Mitglieder, Partner und Leistungsträger. Wichtige Themen sind Digitalisierung und Produktentwicklung – besonders auch mit Blick auf die Ausrichtung des Erzgebirges als Ganzjahresdestination und der angestrebten Zertifizierung als nachhaltiges Reiseziel.

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Sie feiern in diesem Jahr 30 Jahre Tourismusverband Erzgebirge. Wie fällt die Bilanz aus? Was ist gut gelaufen, was hätte besser funktionieren können?

INES HANISCH-LUPASCHKO:
Am 23. Februar 1991 in Scharfenstein gegründet, blickt der Tourismusverband Erzgebirge e. V. auf eine sehr erfolgreiche Entwicklung zurück. Gemeinsam mit seinen Mitgliedern und Partnern setzt sich der TVE als Dachorganisation für die überregionale Vermarktung der Reiseregion Erzgebirge ein. In den vergangenen drei Jahrzehnten zählte das Erzgebirge insgesamt circa 76 Millionen Übernachtungen und rund 25 Millionen Gästeankünfte, dabei erzielte man vor allem 2019 einen Rekord hinsichtlich der Gästezahlen.
Einst nur als „das Weihnachtsland” bekannt, hat sich die Region zum ganzjährigen Reiseziel mit verschiedensten Facetten entwickelt.
Die 2011 entwickelte Dachmarke „Erlebnisheimat Erzgebirge” vereint Produkte in Kultur, Handwerkskunst, Freizeitspaß für Familien oder jede Menge Aktivangebote, ob Sommer oder Winter. Geehrt wurde die Region im Juli 2019 mit dem UNESCO-Welterbe-Titel. Doch auch Produkte wie der Qualitätswanderweg Kammweg Erzgebirge-Vogtland oder der Stoneman Miriquidi wurden in den Vorjahren ausgezeichnet, erhielten so besondere Aufmerksamkeit. Hinter dem Verband stehen insgesamt 371 Mitglieder, ohne deren Engagement und Mitarbeit keine Tourismusarbeit möglich wäre. 80 starke Kommunen stehen uns zur Seite. Wir erachten es als sehr wichtig, dass der Tourismus als Solidargemeinschaft verstanden wird und alle an einem Strang ziehen. Kommunen und Landkreise, Partner sowie alle Leistungsträger sind wichtige Säulen für eine nachhaltige Entwicklung des Tourismus in der gesamten Region.
Als sehr wertvoll erweisen sich die Kooperationen mit namenhaften Partnern, wie Fleischerei Richter, AHORN Hotels & Resorts, Wendt & Kühn, Freiberger Brauhaus GmbH, Erzgebirgssparkasse, Ernst F. Ullmann e. K. und anderen, die wichtige Impulse in den Bereichen Produktentwicklung und Vertrieb setzen. Urlaub in Deutschland und im regionalen Umfeld ist durch die Pandemie wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt. Der Wunsch nach aktiver Erholung in der Natur sowie ein stärkeres Bewusstsein für Regionalität und Nachhaltigkeit lassen ländliche Destinationen wie das Erzgebirge profitieren.

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Beschleicht Sie ein mulmiges Gefühl, wenn Sie an den Plessberg schauen, wo ein Lift nach dem anderen gebaut wird, während am Fichtelberg…?

INES HANISCH-LUPASCHKO:
Wir arbeiten sehr gut mit unseren tschechischen Partnern zusammen und verfolgen beide das Ziel, den Ganzjahrestourismus weiterzuentwickeln. Als Ursprungsregion der Nachhaltigkeit liegen die strategischen Schwerpunkte auf der Qualität in Form von Nachhaltigkeit und einer wertebasierten Produktentwicklung. Die touristische Inwertsetzung des UNESCO-Welterbes Montanregion Erzgebirge/Krusnohorí sowie die Forcierung der Qualifizierung im Bereich Digitalisierung haben ihren Platz gefunden. Dabei ist die Balance der drei Säulen der Nachhaltigkeit ein besonderes Anliegen, es geht also nicht um qualitatives Wachstum, sondern die Wertschöpfung der Region als (Er)lebensraum zu steigern.
Eine intakte Natur und Landschaft schaffen die Voraussetzung für attraktive Angebote für Gäste und ebenso für die Bewohner der Region. Umgekehrt kann der Tourismus durch bewuss­tes Reise- und Freizeitverhalten zum Schutz der Natur beitragen. Für beide Aspekte müssen Naturräume und Ressourcen trotz sportlicher oder touristischer Nutzung schonend behandelt werden.
Sanfter Tourismus wird den zunehmenden Qualitätsansprüchen von Gästen gerecht, sichert die Wettbewerbsfähigkeit der Destination und damit auch aller Partner und
Leistungsträger. Nachhaltigkeit, Regionalität und Genuss sind wesentliche Bestandteile und haben durch die Pandemie noch mal deutlich an Stellenwert gewonnen.

WOCHENENDSPIEGEL:
Lässt sich schon jetzt erkennen, ob wegen des Welterbetitels mehr oder andere Touristen ins Erzgebirge kommen?

INES HANISCH-LUPASCHKO:
Im Jahr 2019 hat die Ernennung der Montanregion Erzgebirge/Krusnohorí zum UNESCO-Welterbe große Aufmerksamkeit gebracht, und das weltweit. Wie keine andere Region leben die Menschen im Erzgebirge die Tradition vom Bergbau und das Bewusstsein für Regionalität und damit verbunden für die hier typischen Produkte. Das Erzgebirge steht außerdem für Nachhaltigkeit, Ressourcenschutz und Umweltbewusstsein. Der Welterbetitel verpflichtet zum Werterhalt und zur Wissensvermittlung.
Eine statistische Erfassung, ob mehr Gäste wegen des Welterbetitels ins Erzgebirge reisen, gibt es nicht. Aus Gesprächen heraus geht aber immer wieder hervor, dass zunehmend kulturinteressierte Gäste in die Region reisen. Die Reaktionen von Gästen bestärken uns vor allem in der Einzigartigkeit der Landschaft, der Herzlichkeit der Menschen und der wunderschönen Natur.
Eine zentrale Rolle bei der Vermittlung erzgebirgischer Geschichte und Geschichten spielen Gästeführer, Gastgeber sowie Mitarbeiter/innen in Tourist-Informationen und touristischen Einrichtungen. Sie pflegen den direkten Kontakt mit dem Gast. Wir als TVE bieten ihnen zur Weiterbildung und Qualifizierung verschiedene Workshops zur Vermittlung von entsprechendem Know-how an. Im Mittelpunkt stehen dabei verschiedene Zukunfts- und Servicethemen, aber auch zielgerichtete Angebote zur Weitergabe des Welterbe-spezifischen Wissens.

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Was sind die Ziele für die nächsten Jahre?

INES HANISCH-LUPASCHKO:
Auf den Erfolgen der vergangenen 30 Jahre wird sich der TVE nicht ausruhen, sondern die Entwicklung der Destination gezielt vorantreiben. Wir als Tourismusverband Erzgebirge sind sowohl für unser Mitglieder und Partner als auch für die Leistungsträger ein wichtiger Impulsgeber. Unsere wichtigsten Themen sind aktuell die Digitalisierung, die Produktentwicklung – hier auch im Hinblick auf die Ausrichtung des Erzgebirges als Ganzjahresdestination – und Nachhaltigkeit. Wir müssen im ständigen Kontakt und Austausch bleiben und unsere Stärken und Kräfte bündeln, um gemeinsam aus dieser Krise herausgehen zu können.
Angebote, welche emotional erlebbar und authentisch sind, werden wir auch in Zukunft gemeinsam mit unseren Leistungsträgern entwickeln. Wir freuen uns besonders, dass im Juli die BLOCKLINE an den Start gegangen ist. Das Bike-Abenteuer für die ganze Familie erstreckt sich auf insgesamt 140 Kilometer Strecke im Osterzgebirge. Dabei locken drei spannende Runden kleine und große Fahrradfahrer auf eine Expedition in die unberührte Natur zwischen dem Spielzeugdorf Seiffen und der Wintersportstadt Altenberg. Atemberaubende Portale aus Holz weisen den Weg durch immer neue Landschaften – beeindruckende Panoramen, enge Täler, tiefe Wälder und viel Wasser machen die BLOCKLINE zu einem echten Highlight.