Start Jägerzwist: „Wie ein Schlag ins Gesicht“
Artikel von: Andre Kaiser
04.01.2017

Jägerzwist: „Wie ein Schlag ins Gesicht“

Die Ausbeute einer Drückjagd im Forstbezirk Neudorf vor zwei Monaten. Foto: André Kaiser

Wald oder Wild?

Erzgebirge. Kennen Sie dieses Gefühl – man blickt in die Ferne, weit und breit nur Wiesen und Wälder. Absolute Stille. Lediglich der Wind säuselt durch die Blätter der Bäume, so dass die Ohren einzig und allein das Rauschen des Waldes vernehmen – den Atem der Natur. In der Ferne grast eine Herde – Hirsche und Hirschkühe mit ihren kleinen Kälbern in völliger Abgeschiedenheit. Sie wähnen sich in Sicherheit. Plötzlich hallt ein dumpfer Laut über das gesamte Land hinweg – der Brunft-Ruf eines ausgewachsenen Hirsches – ein atemberaubendes Naturschauspiel, welches man in Naturparks oder bestimmten Naturschutzgebieten, aber auch gegenwärtig noch in freier Natur inmitten unseres Erzgebirges beobachten kann.

Karsten Bergner, Vorsitzender der Hegegemeinschaft Erzgebirge.
Foto: privat

Der Natur ihren Lauf lassen und nur behutsam eingreifen, der hierzulande größten Wildart ihren Lebensraum lassen und sie nicht beunruhigen – das wünscht sich die Hegegemeinschaft Erzgebirge und deren private Jäger, die dieses Erlebnis von ihrem Hochstand aus nur all zu gut kennen. Den Großteil der sächsischen Wälder bewirtschaftet jedoch der Sachsenforst, eine Behörde des Freistaates. Ihm liegt, wie immer wieder betont wird, ebenfalls das Wild am Herzen, allerdings in entsprechend angemessener Population, da eben die Waldbewirtschaftung und der Umbau auf Mischwald im Vordergrund stehen. Gerade junge Bäume würden durch das hungrige Wild arg in Mitleidenschaft gezogen werden. Aus diesem Grund wird über einen Zeitraum von drei Jahren hinweg ein Abschussplan erstellt, den es zu erfüllen gilt.

Da dieser jedoch laut Sachsenforst von den einzelnen Jägern kaum zu erfüllen sei, müssen in einem bestimmten Zeitraum sogenannte Drückjagden durchgeführt werden, auch in den Wintermonaten Januar und Februar, wo die Tiere aufgrund von Nahrungsmangel ihren Stoffwechselhaushalt auf ein Minimum reduzieren, um Energie zu sparen.

 

Unethisch und tierschutzverachtend

„Unethisch und tierschutzverachtend“ prangert die Hegegemeinschaft die Jagdmethoden an und machte dies auch in Dresden bei der Landesregierung publik, indem sie dort im Sommer 2015 eine mit 8.000 Unterschriften gesammelte Petition übergab, in der Hoffnung, sie könnte damit zum Wohle des Rotwilds im Erzgebirge etwas bewegen. Nach langem Warten dann die Ablehnung, welche einem Schlag ins Gesicht der Hegegemeinschaft gleichkam. Sieht sie sich doch zunehmend in ihrer Aufgabe, „die Bedürfnisse der Wildtiere an ihren Lebensraum und die Nutzungsansprüche des Menschen in diesem Lebensraum auszugleichen“, enorm eingeschränkt.

“Immer extremere Jagdmethoden”

„Wir haben zahlreiche Anstrengungen, um die Akteure im jagdlichen Alltag zur Einhaltung von Gesetzten, zur Wahrung biologischer Grundpfeiler und zu einer Lebensraum-angepassten und artgerechten Bejagung anzuhalten, unternommen“, erklärte hierzu Karsten Bergner in einer öffnetlichen Stellungnahme. Der Vorsitzende der Hegegemeinschaft Erzgebirge: „Viele Jäger beherzigen diese Anliegen gern und versuchten, einen gemeinsamen Weg zu gehen. Immer wieder kam es aber auch zu Spannungen. Vor allem die Jagdverantwortlichen der Landeswälder, die durch den Staatsbetrieb Sachsenforst bewirtschaftet werden, gingen eigene Wege. Diese Wälder sollen zu großen Teilen Wild-leer geschossen werden. Begründet wird dies mit erhöhten Wildschäden, durch die waldbauliche Zielvorstellungen nicht schnell genug in die Praxis überführt werden können. Money rules, heißt das wohl auf Neudeutsch! Ohne Kenntnis von Bestandeshöhen, Lebensraumnutzung, Raum-Zeitdynamiken etc., wurde das Rotwild vor allem durch staatliche Jäger hart verfolgt. Die bereits allgemein bekannte und durch die Hegegemeinschaft angesprochene wissenschaftliche Erkenntnis, dass extremer Jagddruck zu massiven Wildschäden führt und somit ein Teufelskreis entsteht, wurde als Dummschwätzerei abgetan. Man greift zu immer extremeren Jagdmethoden.“

“Wildschäden hausgemacht”

Gegenwärtig ist Hauptjagdsaison, zu welcher der Staatsbetrieb Sachsenforst wieder verstärkt auf Rotwild Jagd macht, die nächsten Male bereits am 24. Januar im Bereich Elterlein/ Grünhain durch den Forstbetrieb Neudorf und am 28. Januar im Bereich Schindelbach  durch den Forstbetrieb Marienberg.
Bergner: „Erlegte Kälber, die teilweise noch im August beim mütterlichen Alttier saugen, haben Gewichte, die eine Fleischverwertung nicht unbedingt sinnvoll machen. Die Alttiere, sofern sie nicht gleich mit umfallen, erleiden durch die verlorenen Kälber und die somit nicht abgesaugte Milch unsagbare Schmerzen bis hin zu schweren Entzündungen der Milchleisten. Man schießt auf alles, was sich bewegt, auch auf trächtige Muttertiere. Mich schaudert es beim Gedanken, dass, wenn diese aufgebrochen werden, sich in ihnen noch der Fötus bewegt. Ein weiterer tierschutzverachtender Umstand, der einfach nicht interessiert. Auch im nahrungsarmen, kalten Monat Januar wird auf die bereits tragenden Tiere Jagd gemacht, teilweise mit Hunden und Treibern. Ethisch zu verachten und dem Wald nicht dienlich, da das Wild zu dieser Zeit den Stoffwechsel nach unten gefahren hat, um Energie zu sparen. Um den durch die Jagd verursachten Energieverlust auszugleichen, muss das Wild fressen. Wenn nicht gefüttert wird, bleiben nur Knospen und Rinden. Die viel gescholtenen Wildschäden – hausgemacht! Bitte unterstützen Sie die Anliegen der Hegegemeinschaft, indem Sie sich in unserer Online-Petition eintragen: https://www.openpetition.eu/petition/online/rotwild-im-erzgebirge-braucht-deine-hilfe“