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Artikel von: Sven Günther
11.02.2022

Keimzeit und der falsche Kinski

Keimzeit veröffentlicht die 13. Langspielplatte „Kein Fiasko“. Die Band ist am 17. Dezember in Freiberg und am 26. August in Plauen zu hören. Foto: Bernd Brundert

Keimzeit und “Kein Fiasko”

Von Sven Günther
Region. Jetzt, genau in dem Moment, in dem Norbert Leisegang diese Zeilen singt, denkt man an das, woran man in den ganzen Jahren noch nie gedacht hat: Jaaaa, da ist schon eine gewisse Ähnlichkeit. Die stechenden Augen, das markante Kinn, der charismatische Mund…

Kinski und Leisegang. Der laute Schauspieler und der leise Sänger. Ein Song der neuen Keimzeit-Platte „Kein Fiasko“ thematisiert die physiognomische Analogie…

Eine eingesungene Suggestion? Eine wahre Begebenheit? Leisegang lächelt das vermeintliche Kinski-Grinsen, sagt: „Eine wahre Begebenheit ist es nicht, aber es gab hin und wieder den Fall, dass ich mit Schauspielern verwechselt worden bin. Auch mit Klaus Kinski. Naja, die Berlinale ist ja bei mir um die Ecke und so kam mir die Idee zu diesem Lied.“

Ideen. Unzählige scheint Leisegang im Kopf zu haben. Der Keimzeit-Kinski prägt – wie gewohnt – die 13 Songs der neuen Platte.

Wer bei der vorletzten Scheibe „Das Schloss“ abdrehte, für den wird auch „Kein Fiasko“ ein Fiasko.
Wer aber bei Songs wie „Lieblingsakkord“, „Wieviel von deiner Liebe“ oder „Geht schief“ Beinzucken, Fingerschnippen und Kopfwippen bekommt, an 9×9 Meter Holzparkett denkt, für den wird „Kein Fiasko“ eine Platte, bei dem er das Volumen auf „Max“ dreht.

Kein Zufall. Die Produzenten Moses Schneider („Das Schloss“) und Andreas „Spatz“ Sperling („Kein Fiasko“) haben ähnliche akustische Vorstellungen, favorisieren im Studio Bandaufnahmen und nehmen nicht etwa Instrumente einzeln auf, um sie später zusammenzumischen. Norbert Leisegang: „Ich bin ein Freund davon, dass wir die Songs komplett einspielen. Wenn man live gut funktioniert, ist das die bessere, authentischere und dazu eine zeitsparende Variante.“
Dadurch klingt auch das 13. Keimzeit-Album so, wie die meisten Fans es sich wünschen. Ein warmer, weicher Sound, der auf eine unbestimmbare Art und Weise aufregend beruhigend wirkt, Zuhörer träumend tanzen lässt.

Ein gelungenes Stück Keimzeit-Geschichte nach überraschend kurzer Zeit. Von „Auf einem Esel ins All“ (2015) bis „Das Schloss“ (2019) vergingen vier Jahre. Jetzt sind es nur zwei. Coronabedingt? Norbert Leisegang: „In der Tat. Dadurch, dass wir kaum Konzerte spielen konnten, hatte ich mehr Zeit, neue Songs zu schreiben, hatten wir auch mehr Zeit und freie Termine, sie einzuspielen.“
Aufgenommen im „Käsestudio Wiesenhagen“ von Andreas „Spatz“ Sperling waren die Stücke schon Mitte letzten Jahres fertig, wurden von BlackPete in den Ballsaal-Studios Berlin abgemischt. Francisca Drechsler und Antje Warnecke sorgten wieder für feine Haptik und gelungene Illustration von Cover und Booklet.

Jetzt können die Fans die Neuerscheinung „Kein Fiasko“ in die Hände nehmen, den Songs lauschen und Fragen stellen.

Das Lied „Manchmal“ wurde von Andreas „Spatz“ Sperling geschrieben, der es auch singt. Ein Erstlingswerk?

Norbert Leisegang: „Ja. Wir wussten schon immer, dass er gut schreiben und singen kann, er ein Mensch von großer Inspiration ist. Spatz hat uns den Song vorgestellt und wir spürten sofort, dass er von Herzen kommt. Was könnte besser auf eine Keimzeit-Scheibe passen?“

Wie schon bei „Das Schloss“ ist auch jetzt der Titelsong ein Kinderlied. Absicht?

Norbert Leisegang: „Nein, das ist nicht bewusst geschehen. Aber natürlich fließen in die Lieder meine Gedanken, meine Erinnerungen, meine Gefühle ein. Wer kennt nicht die Situation, dass er als Kind Kummer hatte, von den Eltern getröstet wurde und feststellen durfte, dass der Kummergrund kein Fiasko war.
Wenn ich über die Frage nachdenke, muss ich aber gestehen, dass es schon immer wiederkehrende Motive von mir gibt, die in Variationen auf unseren Platten auftauchen. Vielleicht ist die neue Scheibe ein Art Vervollkommnung der Keimzeit-Themen.
Ich habe eben meine Sprache, meine Handschrift, die sich nur schwer ändern lässt. Aber das garantiert auch, dass der, der eine CD von Keimzeit kauft, auch Keimzeit auf die Ohren bekommt.“

Wobei bei „Thronräuber“ Oldschool-Gitarrensound im Hintergrund zu hören ist…

Norbert Leisegang: „Stimmt. Mir ist aufgefallen, dass die alten Rock‘n‘Roll-Helden langsam aber sicher von neuen abgelöst werden. Ich wollte ich mich diesem Thema widmen, da wir ja früher selbst an den Stühlen gerüttelt haben. Inzwischen – ich sage es mit einem Lächeln – wird an uns gerüttelt, sind wir es, die den Platz für Jüngere freimachen müssen. Irgendwie eine Tragikomödie..“

Komödiantisch wird es beim Titel „Alles durcheinander“, der im Booklet mit „Alles Durcheinendar“ überschrieben ist…

Norbert Leisegang: „Bislang ist diese Pointe nur wenigen aufgefallen. Aber es gibt ja die Sduite enier elingshcen Unvirestiät, luat der es eagl ist, in wlehcer Rienhnelfoge die Bcuhtsbaen in eniem Wrot sethen. Das enizg wcihitge dbaei ist, dsas der estre und lzete Bcuhtsbae am rcihgiten Paltz snid. Der Rset knan ttolaer Bölsdinn sien, und du knasnt es torztedm onhe Porbelme lseen… Ich finde das faszinierend.“

Und das Intro zu diesem Song herrlich komisch?

Norbert Leisegang: „Ja, es ist ein Gag und wir finden es lustig, auf der Platte zu lassen, wie wir uns bei diesem Song anfangs verspielt hatten.“

Inklusive Lars Kutschke, der anstelle von Martin Weigel (inzwischen in der Band „Großes Handgemenge“) die Keimzeit-Gitarre bedient. Welchen Einfluss hat er?

Norbert Leisegang: „Lars und Martin sind erstklassig Gitarristen und ich bin froh, dass Lars Kutschke wieder bei uns ist. Wie alle anderen Bandmitglieder bringt auch er sich in die Songs ein, ist ein Super-Jazz-Gitarrist, der aber auch Rock und Pop erstklassig beherrscht.“

Zurück zum Anfang. Im Kinski-Verwechslungs-Song „Berlinale“ gibt es einen Dialog, der an das Zwiegespräch mit Martin Weigel im Keimzeit-Song „Der fliegende Teppich“ erinnert. Nur diesmal singt Leisegang allein. Warum das eigentlich? Der Sänger überlegt, nickt dann kurz und meint: „Jetzt, genau in dem Moment, in dem Sie es sagen, denke ich: Jaaaa, dass hätte man auch als Duett machen können…“