Start Chemnitz "Kein Larifari!" - Der Chemnitzer Unternehmer Prof. Dr.-Ing. E.h. Hans J. Naumann im Interview
Artikel von: Sven Günther
11.02.2018

“Kein Larifari!” – Der Chemnitzer Unternehmer Prof. Dr.-Ing. E.h. Hans J. Naumann im Interview

Unternehmer Prof. Hans J. Naumann kritisiert die Politik und Kanzlerin Angela Merkel scharf. Fotos: Niles Simmons

Chemnitz. Der Satz aus dem Mund des ehemaligen Oberbürgermeisters Dr. Peter Seifert klang im ersten Moment wie ein Anachronismus. Der Sozialdemokrat lobte Prof. Hans J. Naumann dafür, dass er die Tugenden der Chemnitzer Fabrikanten weiterführt. Ein SPD-Mann, der einen Fabrikanten positiv bewertet? Das versteht man erst, wenn man Naumann, den Chef der NILES-SIMMONS-HEGENSCHEIDT Werkzeugmaschinengruppe, kennt.

Der Gelobte erhielt letzten Monat den renommierten Richard-Hartmann-Mittelstandspreis mit Medaille, ist Unternehmer mit Leib und Seele. Seine Firma beschäftigt an zwanzig Standorten rund 1.500 Menschen, rangiert laut METALWORKING INSIDERS‘ REPORT auf Platz 32 weltweit und Platz 10 in Deutschland. Das Unternehmen erwirtschaftete 2016 rund 380 Millionen Euro Umsatz. Aus dem ehemaligen „Großdrehmaschinenbau 8. Mai“ in Chemnitz wurde ein Vorzeigebetrieb, der Hauptsitz der NSH Gruppe.

Die NSH Gruppe fertigt Spezialwerkzeugmaschinen für fünf Industriezweige: Luft- und Raumfahrtindustrie, Automobil- und Truckindustrie, Werkzeug- und Formenbau, Eisenbahn- und Metroindustrie sowie Maschinenbauindustrie. Diese Diversifikation ist in der deutschen Werkzeugmaschinenindustrie einmalig und dadurch entstanden, dass Naumann seine Unternehmensgruppe nicht von einem Industriezweig abhängig machen wollte.

Naumann sponsert in Kultur, Sport und Soziales, engagiert sich in 39 Organisationen und ist ein Fabrikant mit Grundsätzen: Groß verdienen zieht Großzügigkeit nach sich! Immer mit den Füßen auf dem Boden bleiben. Langfristig planen, Auswirkungen von Entscheidungen überdenken. Letztes vermisst er und wirft das vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrer Regierung vor, was im Interview mit dem WochenENDspiegel deutlich wird.

Er ist Unternehmer mit Leib und Seele, Großsponsor in Kultur, Sport, hilft sozialen Einrichtungen und engagiert sich in 39 Organisationen.
Prof. Dr.-Ing. E.h. Hans J. Naumann, Aufsichtsratsvorsitzender und Mehrheitsgesellschafter der NILES-SIMMONS-HEGENSCHEIDT Gruppe, kritisiert im Gespräch mit WochenENDspiegel-Chefredakteur Sven Günther die Politik scharf.

Was werfen Sie den Politikern vor?
Es macht mir große Sorgen, dass unter Frau Merkel die industrielle Produktion immer weiter zurückgeht. Es gibt Leute, die Frau Merkel unterstellen, dass sie das absichtlich macht. Zu denen gehöre ich nicht. Ich denke, die Bundeskanzlerin überblickt vieles gar nicht. Die Politik ist ein einziges Larifari. Wenn Vorbilder nicht kernig sind, dann ist das Volk auch nicht kernig. Mein Resümee: Die deutsche Industrie ist in den Merkeljahren immer weiter abgebaut worden. Viele große Firmen haben die Chinesen gekauft, die Taiwaneesen, die Koreaner. Und was macht die Regierung? Erlässt obendrein Russlandsanktionen! Warum eigentlich?

Die Ihr Unternehmen schwer treffen?
Es geht um die Strategie! Schauen Sie sich den Rohstoffmarkt an. In Afrika bestimmen die Chinesen, in Australien die Asiaten wie Japan, Südkorea und Taiwan. In Südamerika dominieren die USA. Als Kanzlerin hätte Frau Merkel die Rohstoffquellen Russland für Deutschland und die EU offenhalten müssen. Ich muss Ihnen sagen: Ich bin empört und mit mir viele Unternehmer der deutschen Industrie: so viel Unfähigkeit in der Führungsspitze Deutschlands darf es nicht geben.

Die Kanzlerin hat es nicht verdient, eine neue Regierung für Deutschland zu bilden. Ein Beispiel: Wir hatten Verträge mit einer russischen Firma OAO „Stankoprom“ und dem „Savelovskij Maschinenbauwerk“ (SMZ) in Kimry, die für uns bereits Hallen und Produktionsanlagen modernisiert hatten. In den nächsten fünf Jahren wären Produkte im Volumen von 75 Millionen Euro hergestellt worden. Alles hinfällig.

Die Firma SMZ ist Konkurs gegangen und NSH hat das zwischen 12 und 18 Millionen Euro gekostet. Auf Anfrage beim Wirtschaftsministerium wurde mir geantwortet, dass für diese politischen Entscheidungen der Regierung, die Wirtschaft das Risiko selbst tragen müsste.

Auslöser der Sanktionen waren die Krim und die Ukraine…?
Nein. Auslöser sind die Interessen der USA, die Angst vor einem Machtblock Europa/Russland haben. Gäbe es diesen mit seinen 800 Millionen Menschen, starken Industrien in Deutschland, Frankreich, Italien gepaart mit den russischen Energie- und Rohstoff-Vorräten, wäre Amerika von seiner Weltführungsposition verdrängt. Also hat man einen Keil zwischen eine mögliche Verbindung Deutschland/EU und Russland getrieben.

Stattdessen hat man der Ukraine, einem von Korruption geprägten Land, eine EU-Mitgliedschaft vor die Nase gehalten. Das hat zu den bekannten internen Spannungen geführt. Außerdem hat Putin die EU und damit die NATO über die Krim, wo seine Schwarzmeerflotte liegt, nicht dominieren lassen wollen. Das war eigentlich logisch. Damit ist zu verstehen, dass die Krim als russische Halbinsel, 1956 anlässlich der 350-jährigen freundschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und Russland an die Ukraine verschenkt wurde.

Durch eine Wahl der Bevölkerung, die dominierend Russen waren, wurde die Zustimmung für eine Wiedervereinigung mit Russland an Putin erteilt. Die russische Führung war äußerst empört darüber, dass Deutschland die Wiedervereinigung ablehnte, im Gegensatz zur russischen Zustimmung und Förderung der Wiedervereinigung Deutschlands. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks hatten die USA und Russland die vertragliche Übereinkunft, dass der NATO-Einfluss nicht nach Osten erweitert wird. Daran haben sich die USA und die EU letztlich nicht gehalten.

Was hätten Sie von der deutschen Regierung erwartet?
Charakter und Weitsicht. Die Merkel-Regierung hätte NEIN zu den USA sagen müssen und sich nicht an den Russland-Sanktionen beteiligen dürfen. Von der aktuellen Lage profitieren die Asiaten. Der finanzielle Verlust wird erst nach vielen Jahren aufzuholen sein. Damit sind nicht die reduzierten Exporte nach Russland gemeint, sondern das verlorene freundschaftliche Verhältnis zu Russland und seinen Industrievertretern.

Die deutsche Regierung muss doch wissen, dass z.B. Rüstungsgüter mit deutschen, japanischen oder koreanischen Maschinen gleich gut produziert werden können. Unsere Regierung erschwert jedoch der deutschen Industrie durch die Sanktionen und Überprüfungen seitens des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) den Wettbewerb. Damit hat die asiatische Industrie bereits jetzt die Position der deutschen Industrie als Lieferant eingenommen.

Diesen Zustand gab es noch nicht einmal im kalten Krieg, da wurde jeder Export aus der BRD nach Russland und Osteuropa durch die damalige Regierung gefördert und die Finanzierung der Exporte durch Gründung einer Ausfuhrbank abgesegnet.

Die Kanzlerin hat auch den Atomausstieg veranlasst. Auch ein Kritikpunkt?
Eine Katastrophe! Wir waren eine führende Nation auf dem Gebiet der sicheren Nuklearkraftwerke. Nach Fukushima hat die Bundeskanzlerin den sofortigen Ausstieg befohlen. Wie kann sie einen solchen Unfug bestimmen, wenn westlich des Rheins ein Atomkraftwerk neben dem anderen steht?

Diese Entscheidung benachteiligt uns als Industrienation. Und das ganze technische Wissen geht nach China. Wenn Sie an der Regierungsführung eine Person haben, die nur emotional arbeitet und nicht logisch nachdenkt, haben Sie letztlich nur noch emotionale Nichtdenkende an der Spitze. Nachdem die Atomkraftwerke, die zu keiner Luftverschmutzung beitragen, abgeschaltet werden sollen, sollen nun auch noch die Kohlekraftwerke ihre Stromversorgung einstellen, da diese erheblich zur Luftverschmutzung beitragen. Eine unlogische Entscheidung.

Das Gleiche gilt für den Zustrom an Migranten aus außereuropäischen Ländern. Hier wurde durch Frau Merkel die emotionale Parole verkündet: „Wir schaffen es“, welche sie jetzt bereits geändert hat und zumindest einer Überprüfung der Migranten zustimmt. Dieses Beispiel zeigt die Zerfahrenheit in den Köpfen der Regierenden, die sich über Nuancen bei der Bewertung der Migrantenkriese streiten.

Europas Migrantenkrise ist noch nicht beendet und nach amerikanischer Auffassung heißt es: „der Afrikanische Exodus biblischen Ausmaßes ist unmöglich zu stoppen und Millionen Migranten aus den Ländern um das Mittelmeer, warten darauf, nach Europa zu kommen“. Diese Aussage entspricht einer Untersuchung des zuständigen Büros der Vereinten Nationen in Genf.

Und das ärgert einen Unternehmer wie Sie?
Sehr sogar. Ich habe ja nach der Wende eine DDR-Firma erworben. Es war der einzige Maschinenbau-Betrieb im Osten, in Chemnitz, der halbwegs modern war. Die anderen Unternehmen auf dem Maschinenbausektor waren total heruntergewirtschaftet. Ich glaube sicher, das haben die Politiker damals nicht gewusst. Ihnen wurde etwas vorgespielt, was nicht der Realität entsprach.
Und heute ist es noch schlimmer. Die Politiker haben folgende Charakteristik:
Vor der Wahl werben sie mit Versprechungen und wollen außerdem eine finanzielle Unterstützung. Ich bin parteilos, spende an SPD und CDU in gleichem Maß. Nach der Wahl leiden die Politiker an Gedächtnisschwäche. Sie wissen nicht mehr, woher das Geld kommt, über das sie verfügen. Sie vergessen auch die Verpflichtungen, die sie ihren Mitbürgern gegenüber haben, schweben in höheren Sphären. Das ist frevelhaft. Eine Kinderarmut z.B. darf es in Deutschland nicht geben und viele andere bekannte Probleme auch nicht.

Als Vertreter des traditionellen „Fabrikantentums“ erfüllen Sie Ihre Verpflichtungen?
Gar keine Frage! Es war immer meine Maxime, genauso hart zu arbeiten, wie meine Mitarbeiter und mit den Füßen auf dem Boden zu bleiben.
Alle meine Unternehmen zahlen 15 Prozent der Erlöse zu gleichen Teilen an jeden Mitarbeiter aus, gewähren Boni für besondere Leistungen. Die Unternehmen haben auch keine Nachwuchssorgen. Der Grund: Wir arbeiten mit Schulen und Universitäten zusammen, zur Lehrlingswerbung und bieten Praktikantenstellen an, laden Eltern ein, stellen die Berufe vor und nehmen teil an den Tagen der Industriekultur, bei denen wir unsere Werkshallen und Büros zur Besichtigung öffnen.

Ich bin auch überzeugt, dass das Bildungssystem sehr gut ist. Allerdings ist es in den Bundesländern, wo weniger auf Disziplin und Ordnung geachtet wird, am schlechtesten. Die Menschen müssen insbesondere in der Jugend damit aufwachsen, dass sie erkennen, wie wir uns als Industrienation verhalten müssen, um den Erfolg unserer industriellen Tätigkeit als Existenzbasis weiterhin zu garantieren. Da sind wir wieder am Anfang. Es gibt leider zu viel Larifari…