Start Mittelsachsen Krankenhauschef: "Probleme werden noch verschärft"
Artikel von: Redaktion
17.09.2015

Krankenhauschef: “Probleme werden noch verschärft”

Jens Irmer kritisiert das geplante Gesetz heftig. Foto: KH Mittweida
Jens Irmer kritisiert das geplante Gesetz heftig. Foto: KH Mittweida

Mittweida. Dem Geschäftsführer des Mittweidaer Krankenhauses, Jens Irmer, platzte beim Interview zum geplanten Krankenhausstrukturgesetz (KSG) mit WochenENDspiegel regelrecht der Kragen.

Herr Irmer, seit wann leiten Sie das Klinikum Mittweida?

Ich bin seit drei Jahren der Geschäftsführer des Krankenhauses.

Wie ist die Entwicklung des Krankenhauses in den letzten Jahren?

Mit dem Gesundheitsreformgesetz hat der Gesetzgeber im Jahr 2000 weitreichende Veränderungen bei der Vergütung stationärer Krankenhausleistungen beschlossen. Im Zuge dessen wurde zum 1.1.2003 ein diagnose- und prozedurorientiertes Fallpauschalensystem zur Vergütung der Leistungen eingeführt. Verbunden mit der Einführung des neuen Entgeltsystems war ein Konzentrationsprozess bzw. die Schließung einer Vielzahl kleinerer Krankenhäuser die Folge. Innerhalb der LMK wurde erst in den letzten Jahren mit strukturellen Veränderungen reagiert, die aufgrund der sich stetig verschlechternden wirtschaftlichen Situation zwingend notwendig wurden. So wurde das Krankenhaus Frankenberg geschlossen, das Personal jedoch an den verbleibenden Standorten eingesetzt. Weitere Schritte und Maßnahmen für die LMK sind geplant. Allerdings ist solch eine wirtschaftliche Situation bei fast der Hälfte aller deutschen Kliniken angezeigt.

Welche Rolle spielt dabei die Politik?

Die Rahmenbedingungen für die Krankenhäuser werden durch bestehende Gesetze vorgegeben. Bei dieser Reform, die zur Optimierung der Krankenhausstrukturen beitragen soll, gewinnt man jedoch den Eindruck, dass diese ohne Einbindung von Krankenhäusern mit entsprechendem Fachwissen entworfen wurde. Zum Teil ist eine weitere Verschärfung der bereits offenkundigen Probleme vorprogrammiert. Ein Beschluss der Regierung dieses Entwurfes wäre wider aller Ratschläge der gesamten Krankenhauslandschaft.

Was sagen die Krankenkassen zum geplanten Gesetz?
Die Krankenkassen stehen doch im Wettbewerb zueinander. Sie sind Wirtschaftsunternehmen und leisten  entsprechende Lobby-Arbeit. Natürlich befürworten sie ein solches Gesetz zu ihrer Kostensenkung. Durch die Budgetierung von Krankheitsbildern und Patienten wird der Patient leider zum Wirtschaftsgut.  Nicht die Bedürfnisse des Patienten stehen im Vordergrund, sondern nur noch die der Abrechnungsstelle.

Welche Rolle spielt der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK)?

Der MDK saugt das bisschen, das in den Krankenhäusern noch da ist, auch noch aus. Wir hatten hier z. B. den Fall, dass eine 90-jährige alleinstehende Oma einen Tag länger bleiben sollte, als es die von der Krankenkasse für ihr Krankheitsbild vorgesehene Verweildauer zuließ, da keine Betreuung außerhalb gewährleistet werden konnte. Die Kostenübernahme wurde mit den Worten „Wir sind doch kein Sozialamt!“ rigoros abgelehnt. Wir als Krankenhaus haben die Kosten für den einen Tag dann selbst übernommen.

Werden sich Stadt und Land unterschiedlich entwickeln?

In den Großstädten wird es durch die Änderungen keinen Personalmangel geben. Aber die kleinen Häuser im ländlichen Raum können die Quoten, die dann gefordert werden, nicht mehr erbringen. Bei Nichterfüllung der Quoten gibt es Sanktionen und Fördersperren. Somit werden die sowieso schon benachteiligten ländlichen Kliniken doppelt behindert und bestraft.

Wie können die Krankenhäuser Kosten sparen?

Private Krankenhäuser wollen zehn bis 15 Prozent Gewinn erwirtschaften. Bedenkt man, dass die Personalkosten 65 Prozent der Kosten eines Krankenhauses ausmachen, wird einem schnell klar, dass man hauptsächlich an Personal sparen kann. Diese Mehrbelastung hat dann jedoch einen erhöhten Krankenstand und gesundheitliche Schäden bei der restlichen Belegschaft zur Folge. Die Probleme werden sich also noch weiter verschärfen.

Welche Veränderungen wird das in den Krankenhäusern bringen?

Die Lage wird sich weiter zuspitzen. Selbst in der Kinder- und Jugendpsychiatrie wird zum 1. Januar 2016 das KSG eingeführt. Dabei ist psychologische und soziale Arbeit doch keinesfalls in Tagen messbar! Die notwendigen zusätzlichen Plätze werden nicht genehmigt. Im Zuge der Asylproblematik bleiben die Krankenhäuser auf den Kosten für die Dolmetscher sitzen. Von den veränderten und neuen Krankheitsbildern mit den Kosten für Therapien und Medikamente will ich hier mal noch gar nicht sprechen.
Der enorm erhöhte Aufwand an Dokumentation, weil sich die Ärzte ja vor den Abrechnungsstellen rechtfertigen müssen, behindert die Ärzte noch zusätzlich in ihrer eigentlichen Arbeit.

Wie reagieren die Patienten auf die Veränderungen?

Sie nehmen die Verschlechterung natürlich wahr. Jedoch stehen primär die Ärzte und Krankenhäuser in der Kritik. Denen sind jedoch seitens der Krankenkassen und des MDKs die Hände gebunden. Ärzte dürfen keine Patienten abweisen. Durch die Behandlungsbudgets der niedergelassenen Ärzte, die meist sehr schnell ausgeschöpft sind, sind sie gezwungen, Patienten an die Notaufnahmen der Krankenhäuser zu verweisen. In den Notaufnahmen müssen für durchschnittlich 32 Euro pro Patient zwei bis drei Schwestern, Ärzte, die Gerätschaften und eingesetzten Mittel gedeckt werden. Mehr Geld bekommt ein Krankenhaus dafür nicht!  Dadurch kommt es einerseits zu einer erheblichen Belastung der Notaufnahme mit entsprechenden Wartezeiten für die Patienten, andererseits verschärft sich dadurch noch die wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser.

Vielen Dank für das Gespräch!

Mehr zum Thema Krankenhausstrukturgesetz lesen Sie hier: https://www.regionalspiegel-sachsen.de/krankenhausstrukturgesetz-das-kranke-system/