Start Chemnitz Mach's gut Chemnitz!
Artikel von: Judith Hauße
22.07.2022

Mach’s gut Chemnitz!

Fotomontage: Nathalie Veigel|AdobeStock
Verlässt die Jugend wirklich Chemnitz, Pauline?
Von Judith Hauße & Nathalie Veigel

Chemnitz. Im Hinblick darauf, dass Chemnitz im Jahr 2025 europäische Kulturhauptstadt sein wird, gibt es laut Pauline K. noch eine Menge zu tun. Die gebürtige Chemnitzerin ist vor zwei Jahren nach Leipzig gezogen, um dort ihr Studentenleben, gepaart mit einem attraktiven Stadt- und Alltagsleben, beginnen zu können.

Aber warum hat ihr Chemnitz, nicht ausgereicht? Im Interview mit WochenENDspiegel-Redakteurin Nathalie Veigel findet die junge Studentin deutliche Worte, übt Kritik und stellt provokative Thesen über das (nicht) vorhandene Stadtleben für die Chemnitzer Jugend auf.
WochenENDspiegel fragt sich deshalb: Ist das wahr? Ist die drittgrößte Stadt Sachsens wirklich für junge Leute so unattraktiv, wie Pauline K. es schildert?

Begleitend zum Interview freuen wir uns deshalb, mit Ihnen, liebe Leser, ins Gespräch zu kommen. Geben Sie Pauline K., die anonym bleiben will, Recht? Verlässt die Jugend wirklich Chemnitz? Dieser Frage wollen wir in den nächsten Wochen genauer auf den Grund gehen.

WOCHENENDSPIEGEL
Chemnitz ist mit einer Größe von 220,8 Quadratkilometer nicht viel kleiner als Leipzig. Doch was hat dich dazu animiert nach Leipzig und somit weg von Chemnitz zu ziehen?

PAULINE K.: „Mich hat es in erster Linie nach Leipzig gezogen aufgrund meines Studienganges, welcher nicht in Chemnitz angeboten wurde. Das Studienangebot in Chemnitz ist zwar recht vielfältig, aber dennoch sehr technisch. Es bietet leider keine gesellschaftswissenschaftlichen- oder künstlerischen Fakultäten an. Dementsprechend habe ich nichts passendes für mich gefunden. Außerdem sind auch all meine Freunde nach Leipzig gezogen und studieren jetzt hier mit mir gemeinsam.“

WOCHENENDSPIEGEL
Was haben deiner Meinung nach andere Städte in Sachsen, in Bezug auf Freizeitmöglichkeiten, was Chemnitz nicht hat?

PAULINE K.: „Das Restaurantangebot ist zum Beispiel in Dresden oder Leipzig viel besser. Man findet in jedem Viertel diverse Möglichkeiten. In Chemnitz hingegen fragt man sich immer: Esse ich jetzt Döner oder Pizza? Generell kann man in Leipzig oder Dresden durch die Straßen schlendern und findet immer ein gutes Restaurant. Das hat man in Chemnitz einfach nicht.
Auch in Bezug auf Parks, bieten andere Städte deutlich mehr. Der Stadtpark in Chemnitz bietet sich mit dem Teich und den vielen Bäumen zwar super an, aber leider wird nichts aus ihm gemacht. Dort gibt es keinen Kiosk oder Imbiss, an dem man sich mal schnell Snacks und Getränke kaufen kann. Außerdem ist der Rasen auch nie gepflegt. Die Straße, die durch den Stadtpark führt, ist so holprig, dass man nicht mal Lust hat mit Inlinern durchzufahren.
Einkaufsmöglichkeiten gewährt die Innenstadt Chemnitz leider auch nicht. Ich kenne viele die zum Shoppen extra in andere Städte fahren. Das ist auch schade. Und die jungen Leute fahren nicht nur zum Shoppen nach Dresden oder Leipzig, sondern auch zum Feiern. Ich selbst bin auch oft in andere Städte zum Feiern gefahren, weil Chemnitz kaum etwas bietet.“

WOCHENENDSPIEGEL
Chemnitz besitzt einige Nachtclubs. Doch wie du gerade meintest, fahren viele Jugendliche in andere Städte, um dort feiern zu gehen. Was denkst du, woran das liegen könnte?

PAULINE K.: „In anderen Städten gibt es eine viel größere Auswahl an Clubs und Bars. Chemnitz hingegen besitzt nur drei bis vier namhafte Bars, in welche die Leute wirklich gehen. „Moes Bar“ ist zum Beispiel mit einer der beliebtesten Bars. Ohne Reservierung bekommt man am Wochenende keinen Platz, weshalb man dann lieber eine kleine Runde bei sich zuhause mit Freunden veranstaltet. Es ist eben alles nicht spontan.
Auch in Bezug auf Clubs bietet Chemnitz nicht wirklich viel an. Wenn ich an Leipzig denke, dann hat man verschiedenste musikalische Auswahl. Währenddessen sich die Clubs in Chemnitz fast nur auf Hip-Hop und Techno beschränken. Wir haben kaum Möglichkeiten gut feiern zu gehen, was echt schlecht für die drittgrößte Stadt Sachsens ist. Chemnitz besitzt so viele alte Industriegebäude. Aus denen könnte man so viel machen. Aber stattdessen nutzt Chemnitz die Fördergelder, um neue Häuser zu bauen, in welche meistens keine Bars und keine Clubs aufgrund von Ruhestörung ziehen können. Das verstehe ich nicht. Ich muss aber sagen, dass Chemnitz sich seit Ende der Corona Pandemie dennoch positiv weiterentwickelt hat. Zu Veranstaltungen wie zum Beispiel dem „Fuego a la Isla“ werden mittlerweile große DJs eingeladen aufgrund derer dann auch viele Leute aus anderen Städten extra nach Chemnitz kommen.“

WOCHENENDSPIEGEL
Chemnitz hat mit 449 Autos pro 1.000 Einwohner eine recht hohe Verkehrsdichte. Woran könnte das liegen und wie empfindest du generell die Infrastruktur und den Fernverkehr zu anderen Städten?

PAULINE K.: „Ich finde die Infrastruktur und die Öffentlichen Verkehrsmittel von Chemnitz nicht gut. Gerade wenn ich daran denke, wie lange keine Nachtbusse in den letzten Jahren aufgrund von Personalmangel gefahren sind. Auch außerhalb liegende Viertel wie zum Beispiel Reichenhain sind sehr schlecht an das Zentrum angebunden, obwohl sie mit dem Auto nur 10 Minuten vom Stadtkern entfernt liegen.
Auch gute Radwege gibt es kaum. Gerade im Zentrum habe ich teilweise ein bisschen Angst Fahrrad zu fahren. In Leipzig hingegen sind überall ausgebaute Radwege zu finden. Die neuen E-Scooter finde ich gut, da diese auch weit ausgebaut sind und einen großen Radius haben. Aber wenn man noch Fahrräder wie „Next-bikes“ anschaffen würde, dann wäre das auch schon ein großer Fortschritt.
Zum Fernverkehr fehlen mir auch die Worte. Ich finde es kann nicht sein, dass man seit 15 Jahren nur Anbindungen an Leipzig, Dresden und Hof hat. Erfurt ist ungefähr genauso groß wie Chemnitz und ist auch super angebunden. Zwar plant Chemnitz jetzt eine Anbindung an Berlin, aber dafür hätte man sich auch schon eher einsetzten müssen.“

WOCHENENDSPIEGEL
Was müsste deiner Ansicht nach geschehen, dass es dich und auch andere junge Leute wieder in die Heimatstadt zurückzieht?

PAULINE K.: „Damit es mich und andere Jugendlichen zurückziehen würde, müsste es meines Erachtens in aller erster Linie noch mehr Vielfalt an Studienangeboten geben. Das würde die Attraktivität der Stadt für viele Jugendliche deutlich erhöhen. Chemnitz bietet sich super zum Studieren an. Die Mietpreise sind sehr günstig und alles ist nicht weit voneinander entfernt.
Außerdem müsste es eine bessere Fernverbindung geben. Man bekommt die Leute nur in eine Stadt, wenn diese auch die Möglichkeit haben, schnell und unkompliziert wieder in ihre Heimatstadt zurückzufahren.
Zudem müsste es ein größeres und diverseres Angebot an Clubs und Bars geben. Auch die Shoppingmöglichkeiten und die damit einhergehenden Restaurants müssten auf alle Fälle erweitert werden. Denn wenn mehr Leute in der Stadt einkaufen gehen, ist die Stadt belebter und dann würden auch mehr neue Cafés und Restaurants öffnen. Es hängt alles miteinander zusammen. Ich würde mich freuen, wenn ich irgendwann sagen könnte, dass ich gern in meine Heimatstadt zurückkomme. Ich glaube die Stadt kann viel bieten, wenn sie es möchte. Es muss nur geschehen.“

Sie sind gefragt!

Was ist Ihre Meinung zum Interview? Hat Pauline K., die anonym bleiben will, Recht mit dem, was sie über Chemnitz und ihr Angebot zum Stadtleben für junge Menschen sagt? Wie viel Wahrheit steckt überhaupt darin. Verlässt die Jugend wirklich Chemnitz? Wir wollen es wissen und wollen genau diese Frage in den nächsten Wochen diskutieren.
Schreiben Sie uns Ihre Meinung per Mail an