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Artikel von: Sven Günther
18.06.2018

Marco Wanderwitz: Debatte zu krawallig…

Marco Wanderwitz, der Parlamentarische Staatssekretär und Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Chemnitzer Land/Erzgebirge II zieht die 100-Tage-Bilanz. Foto CDU

Marco Wanderwitz: Landflucht, Asylstreit und der Fall Susanna

Von Sven Günther
Stollberg/Berlin. Marco Wanderwitz, der CDU-Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Chemnitzer Land/Erzgebirge II, ist neben Familienministerin Franziska Giffey der zweite ostdeutsche Politiker und einzige Sachse in der Bundesregierung, arbeitet als Parlamentarischer Staatssekretär unter Innenminister Horst Seehofer im Ressort Bau und Heimat. Nach knapp 100 Tagen im Amt gab er dem WochenENDspiegel dieses Interview:

Die Bundesregierung ist fast 100 Tage im Amt und Sie sind als Parlamentarischer Staatssekretär (PS) ins Zentrum der Macht gerückt. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Mitglied der Bundesregierung seien zu dürfen ist eine erhebliche zusätzliche Verantwortung. Ich bin dankbar – und fest entschlossen, gute Arbeit abzuliefern. Wir sind auf der Zielgeraden beim Bundeshaushalt, in der ersten Juliwoche ist Abschluss im Bundestag, und haben schon viele Projekte aus dem neuen Koalitionsvertrag abgearbeitet. Die ersten Gesetzentwürfe haben das Kabinett passiert und liegen nun im Bundestag zur Beratung.
Das Tempo ist hoch, wir wollen ja die verlorenen Monate der gescheiterten „Jamaika“-Verhandlungen aufholen. Die internationalen Herausforderungen sind groß in dieser Zeit und beeinflussen die Innenpolitik erheblich. Das macht Vieles nicht einfacher und alles oft sehr komplex. Aber bei allen „Baustellen“ geht es unserem Land ja sehr gut – wir arbeiten dafür, dass das so bleibt.

Wie lebt es sich mit Fahrer und persönlichem Assistenten?
Ohne wäre das Arbeitspensum schlicht nicht zu schaffen. Oft geht es den ganzen Tag von Termin zu Termin. Wenn man da niemanden hat, der bspw. Arbeitsaufträge mitschreibt, braucht man spät nachts noch einmal zwei Stunden dafür – und vergisst die Hälfte.
Manchmal ist man mit Zug oder Flugzeug besser bedient, aber längere Autofahrten, ich bin ja jetzt mehr im ganzen Land auch unterwegs amtsbedingt, kann man so wirklich gut zum Arbeiten nutzen. Im Wahlkreis fahre ich immer noch am liebsten selbst, da sind die Wege ja auch kurz.

Welche Akzente (speziell auch für die Heimat) konnten Sie aus eigenem Antrieb setzen oder ist man als PS nur ausführendes/überbringendes Organ des Ministers?
Die Heimatstrategie ist auf Bundesebene ein weitgehend neues Politikfeld, das wir nun bearbeiten. Es geht dabei vor allem um gesellschaftlichen Zusammenhalt, unsere Werte und Kultur, und gleichwertige Lebensverhältnisse. Letzteres ist Verfassungsauftrag. Und wir haben dabei Nachholbedarf.
Wir wollen Landflucht wegen Unattraktivität und den Großstadtwachstumsproblemen gleichermaßen entgegen wirken, den Menschen, die Sorge um Abgehängtheit haben, Perspektiven geben.
Wir wollen im Bund proaktivere Politik der Daseinsvorsorge und Strukturentwicklung machen. Eng abgestimmt mit den Ländern und Kommunen, miteinander über alle Ebenen. Ein Punkt ist hier bspw. die Dezentralisierung, zum Beispiel von Behörden, ein weiterer die Demografiestrategie. Es geht um Zugang zu Bildung, zu Kultur, zu ärztlicher Versorgung, zu Mobilität – darum, dass das unmittelbare Lebensumfeld „passt“ und auch einmal entschleunigt. Gut ein Jahr haben wir uns für die Erarbeitung der konkreten Konzepte vorgenommen. Ich habe auch selbst dabei einige konkrete Punkte aus meinen Erfahrungen im Wahlkreis auf meiner Agenda.
Im Bereich Bau geht es vor allem um den Wohnungsbau. 1,5 Millionen neue Wohnungen insbesondere im bezahlbaren Mietwohnung-Segment haben wir uns vorgenommen. Ein Baustein ist dabei auch das Baukindergeld, das es noch dieses Jahr rückwirkend zum Jahresbeginn als KfW-Programm geben wird. Pro Jahr pro Kind 1.200 Euro für 10 Jahre. Das ist ein Pfund!
Als Parlamentarischer Staatssekretär bin ich Bundesminister Horst Seehofer unterstützend zur Seite gestellt. Wir arbeiten gut zusammen, kennen uns ja auch bereits seit über 15 Jahren, da er vor seiner Zeit als bayerischer Ministerpräsident Bundestagskollege war. So etwas wie mein Chef ist er aber nicht. Das ist nur bei den beamteten Staatssekretären so.

Ist es ein Zwiespalt, als Abgeordneter seinem Gewissen, als PS einem Minister verpflichtet zu sein?
Als Abgeordneter bin ich nur unserem Grundgesetz, meinem Gewissen und dem, was ich für das Gemeinwohl halte, verpflichtet. Als Parlamentarischer Staatssekretär ist das weiterhin genauso. Natürlich bedarf es Vertrauen, wenn man so eng zusammenarbeitet. Dafür ist Loyalität ein Baustein. Aber das heißt ja nicht, dass man nicht auch einmal kritisch in den Diskurs gehen kann: Fortiter in re, suaviter in modo – stark in der Sache, mild in der Art..

Ihr Minister, Horst Seehofer, und Bundeskanzlerin Angela Merkel sind in Sachen Flüchtlingspolitik uneins. Sie gelten als Verfechter der Merkel-Position, sind aber Seehofer unterstellt. Wohnen jetzt, ach, zwei Seelen in Ihrer Brust?
In der Volksparteienfamilie CDU/CSU haben wir bei diesem Thema wie auch bei vielen anderen ein gewisses Meinungsspektrum. Das heißt nicht, dass wir grundsätzlich uneins sind. CDU und CSU haben vor einigen Monaten ein gemeinsames Regelwerk für Migration und Integration erarbeitet, das weitgehend 1 zu 1 Eingang in den Koalitionsvertrag mit der SPD gefunden hat. Der Koalitionsvertrag ist unsere gemeinsame Arbeitsgrundlage.
Als Parlamentarischer Staatssekretär der CDU im CSU-geführten Bundesinnenministerium liegt mir natürlich noch ein Stück weit mehr am Herzen, dass wir zu breit getragenen guten Ergebnissen kommen. Dazu muss man manchmal intensiv miteinander ringen, das macht die Demokratie aus. Aktuell haben wir, leider, ganz schön Krach miteinander. Um einen!, wenn auch wichtigen, Punkt eines 63! Punkte umfassenden Masterplans Migration. Diese Debatte wird aus meiner Sicht seitens der CSU deutlich zu hektisch und krawallig geführt. Der Umgangston ist kein guter unter Geschwistern. Angela Merkel will den bevorstehenden EU-Ratsgipfel nutzen, um die Frage von Zurückweisungen rechtssicher besser europäisch zu lösen. Das ist vernünftig. Dass es jetzt bis nach dem EU-Gipfel Zeit gibt, an Lösungen zu arbeiten, finde ich gut.

Der Fall Susanna erschütterte Deutschland. Die Tat, die Flucht mit falschen Pässen. Mich interessiert ein anderer Aspekt: In Deutschland gab es im letzten Jahr 785 Morde. Wie viele der Tatverdächtigen wurden Ihrer Meinung nach in weißen Schutzanzügen an Händen und Füßen gefesselt von einer ganzen Gruppe GSG-9-Beamter unter Beobachtung der Medien in die U-Haft gebrach. Dazu lässt sich der Präsident des Bundespolizeipräsidiums als eine Art Rambo darstellen… Was sollte dieser Mummenschanz? Wollte man von Fehlern im Vorfeld ablenken?
Jedes Verbrechen ist schlimm, für die Opfer und ihre Angehörigen und für die Sicherheitslage. Die Bestrafung der Täter kann das Leid der Opfer und ihrer Familien trotz ihrer Sühnefunktion nicht wirklich lindern, aber es ist dennoch wichtig, dass sie so oft und ausreichend hart als irgend möglich gelingt. Des Beschuldigten habhaft zu werden, war deshalb auch hier wichtig. Dass dies unseren Sicherheitsbehörden schnell gelungen ist, ist gut. Sollte es Fehler im Vorfeld gegeben haben, werden sie aufgearbeitet. Spurensicherungsanzüge sind nichts ungewöhnliches, wenn die eigene Kleidung sichergestellt wurde. Die Sicherung Gefangener wird lagebedingt verfügt, dabei geht es um Selbst- und Fremdschädigungs- wie auch Fluchtgefahr. Den „Held“ oder „Rambo“ machen einige Journalisten aus dem Chef der Bundespolizei. Er hat schlicht seinen Job gemacht, und zwar gut. Manchmal ist es nötig, von vorn zu führen in gewissen Lagen. Das hat Herr Romann hier getan.

Zuletzt: Sie haben eine Gemeinsamkeit mit Donald Trump! Sie twittern. Weshalb nutzen Sie gerade dieses Medium?
Ich denke, dass wir Politiker gut daran tun, auch einen Kanal in den sozialen Netzwerken offen zu haben. Das erwarten die Menschen heute auch. Es ist tagesaktuell, transparent, direkt und dient dem Austausch. In der Kürze liegt die Würze sagte mein Opa gern. Da ist Twitter mit der Zeichenbegrenzung genau richtig. Und mein Eindruck ist auch, leider, dass bei es Facebook sagen wir einmal (noch) ruppiger zugeht. Das ist nicht meins.