Start Zwickau Mit Gimmicks zum Azubi?
Artikel von: Redaktion
03.02.2020

Mit Gimmicks zum Azubi?

Martin Meinl und René Werner (re) von der Firma Seidel Heizung & Bad bauten mit Timon Große und Lenny König (re.) einen Handyhalter. Fotos: Alice Jagals

Zwickau. Ein finanzierter Führerschein, ein eigenes I-Phone, lukratives Gehalt, Übernahmegarantie – was hier wie ein bisschen nach „Wünsch dir was“ klingt, ist mittlerweile Realität. Auf der Bildungsmesse „Bildung und Beruf Zwickau“ am vergangenen Wochenenende in der Zwickauer Stadthalle wurde nicht nur aufgrund der Vielzahl der Aussteller klar, dass der Nachwuchsbedarf in der Arbeitswelt – und das in gefühlt jeder Branche – enorm ist. Fast 150 Aussteller sorgten für restlos belegte Ausstellungsflächen, die von 5.700 Gästen in Augenschein genommen wurden. Wohl bemerkt, kamen die meisten Aussteller aus der Region. Und das nicht ohne Grund: Zu Beginn des Ausbildungsjahres2019/2020 gab es noch circa 1.300 freie Lehrstellen in Südwestsachsen.

Auf das der Versuchung keiner widersteht
Timon Große und Lenny König sind seit der ersten Klasse befreundet. Nun, mit 13 Jahren, strecken sie ihre Fühler in die Berufswelt aus. Am Stand der Firma Seidel Heizung & Bad haben sie eifrig mal eben tolle Handyhalter aus kleinen Rohren gebaut. Mitmach-Aktionen kommen bei vielen Gästen an, allein um wenigstens mit den Augen mal am Stand drauf zu bleiben. Doch im Sanitärbereich sehen sich die zwei Jungen später dann doch nicht. Da scheinen auch tolle Gimmicks wie zuvor genannte Führerscheinfinanzierungen oder IPhones nicht zu ziehen. „Wir möchten gern zur Polizei“, sagt Timo. „Der Job ist abwechslungsreich und wir sind beide sehr sportlich. Das könnte uns also Spaß machen und wir möchten gern eine Arbeit, die Spaß macht.“

Dass Timon Seidel und Lenny König einmal Polizisten werden wollen, damit sind die zwei nicht die einzigen. Auch der neunjährige Josua Bunzel kann sich bereits jetzt diesen Beruf vorstellen. Er selbst wollte unbedingt zur Messe. Probieren geht schließlich über studieren und früh übt sich sowieso. Er hat sich ausprobiert im digitalen Bagger fahren und bei der Herz-Druck-Massage.

Eltern reden gern ein Wörtchen mit
„Die Hauptgespräche laufen überwiegend mit den Eltern“, stellt Andreas Rudloff. Er ist Kunstlehrer im BSZ e.O. Plauen. Hier kann man sein Fachabitur unter anderem im Kunst-Bereich absolvieren. Immerhin kommen ein Viertel der Schüler aus dem Raum Zwickau und nehmen die Strecke auf sich. Was für Fachfremde nach Malen und dann „einfach mal Grafiker werden“ aussieht entpuppt sich doch als chancenreicher als gedacht. „Natürlich kann man sich später im Grafiker-Bereich orientieren“, sagt Andreas Rudloff, „aber es kann auch in die Richtungen Spielzeug- und Produktdesign oder Kunsttherapeut gehen.“ Ida Mehlhorn ist noch unentschlossen. Ihre Mutter könnte sich für die 13-Jährige einen künstlerischen Beruf vorstellen. Also informieren sie sich u.a. am Stand des BSZ in Plauen. „Neben dem künstlerischen Bereich interessiere ich mich auch für die Physiotherapie und die Polizei“, sagt sie schüchtern.

Verwaltung? Alles andere als langweilig
Jamie Lee Marquardt ist 19 Jahre und sie macht den Eindruck, als wüsste sie längst, dass sie alles richtig gemacht hat: Sie ist Auszubildende als Verwaltungsfachangestellte am Landratsamt Zwickau. „Man sollte in Mathe und Deutsch schon gut sein“, lacht sie. „Aber es zählt auch Aufgeschlossenheit. Ansonsten ist die Arbeit sehr abwechslungsreich und das ist prima.“ Julia Dettke ist Amtsleiterin im Amt für Personal und Organisation am Landratsamt. „Wir sind richtig froh, so jemanden Tolles wie Jamie Lee in unserem Team zu haben. Nach einem Praktikum haben wir wirklich gehofft, sie als Auszubildende gewinnen zu können.“

Julia Dettke, Personalchefin beim Landratsamt Zwickau, und Jamie Lee Marquardt, Auszubildende im 2. Lehrjahr als Verwaltungsfachangestellte.

„Reinkommen“ über befristete Stellen
Kaum zu glauben: Auch im Landratsamt wird dringend nach geeigneten Bewerbern gesucht. Allein im vergangenen Jahr wurden 200 Stellen ausgeschrieben. Fast 50 Stellen blieben unbesetzt. 40 Prozent dieser kamen aus dem MINT-Bereich. Vor allem hier fehlen geeignete Bewerber.
Die Ausbildungszahlen selbst basieren auf dem Rentenabgang, so dass Azubis auch gleich nach erfolgreichem Abschluss eine Stelle bekommen. Doch manch ein Mitarbeiter entscheidet sich, doch eher in Rente zu gehen, weil er beispielsweise schon 45 Berufsjahre hinter sich hat. Dann geht die Rechnung nicht mehr auf und diese Kräfte fehlen natürlich ebenfalls. „Die hohe Zahl kommt aber auch daher, weil sich oftmals auch intern jemand auf eine ausgeschriebene Stelle bewirbt. Deren Stelle muss dann natürlich auch wieder einen Nachfolger haben“, verdeutlicht die Personalchefin.
Ein Drittel der unbesetzten Stellen sind zudem befristete Stellen „und genau hier haben vor allem Seiteneinsteiger gute Chancen. Denn wenn sie sich gut vorbereiten, viel über den Landkreis wissen, wieso sollte man ihnen nach Ablauf des befristeten Vertrages keine berufsbegleitende Ausbildung ermöglichen? Sie wissen, was sie wollen und ziehen die Ausbildung super durch und motivieren auch die anderen Schüler“, sagt Julia Dettke.

Die Gimmicks waren nicht entscheidend
Martin Meinel hat sich nicht nur aufgrund der tollen Annehmlichkeiten, die es bei der Firma Seidel Heizung & Bad zum Ausbildungsvertrag dazu gibt, für die Firma entschieden, bei der er mittlerweile seit zwei Jahren lernt. Er stand am vergangenen Wochenende mit am Messestand. „Ich bin über einen Bekannten auf die Firma aufmerksam geworden und ich muss sagen, es macht mir richtig Spaß. Ich gehe den Gesellen zur Hand und darf sehr viel selbst erledigen.“ Und auch, wenn es in erster Linie nicht das versprochene IPhone oder der Führerschein waren, die ihn zur Firma brachten, weiß Mitarbeiter René Werner, „dass es wirklich schwierig ist, Jugendliche für unseren Beruf zu begeistern.“ Die technische Ausstattung ist dennoch nicht ganz uneigennützig: „Unsere Branche wird immer digitaler. Da ist es wichtig, dass unsere Mitarbeiter gut ausgestattet sind.“

Mehr zu den einzelnen Meinungen der Besucher lesen Sie im nächsten WochenENDspiegel Zwickau, der am 7. Februar erscheint.