Start MP Kretschmer: Irrsinn, Atomkraft abzuschalten
Artikel von: Sven Günther
06.04.2023

MP Kretschmer: Irrsinn, Atomkraft abzuschalten

Über zwei Stunden stellte sich Michael Kretschmer Bürgerfragen - und teilte bei den Antworten kräftig und sachlich zugleich aus
Über zwei Stunden stellte sich Michael Kretschmer Bürgerfragen – und teilte bei den Antworten kräftig und sachlich zugleich aus. Fotos: SSK/Youtube

Kretschmers unbequeme Wahrheiten

Johanngeorgenstadt. Sicher, für Menschen, die von Work-Life-Balance flüstern, viel verdienen und wenige arbeiten wollen, für Charaktere, die ein Alice-Cooper-Konzert blass und mit tränenden Augen verlassen, sind die Worte von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer Gift in den Ohren. Doch beim Bürgerdialog in Johanngeorgenstadt nahm er keine Rücksicht auf Zartbesaitete und Träumer. 

2:19:27 Stunden Attacke

Johanngeorgenstadt. Eigentlich müsste die You-Tube-Aufzeichnung des Auftritts von Michael Kretschmer (CDU) mit dem Slogan “Sensible Seelchen, Gutmenschen und Work-Life-Balance-Anhänger u. ä. Spezies fragen vor Ansicht dieses Materials bei Ihrem Arzt oder Apotheker nach Beruhigungspillen” versehen werden.
Der 2:19:27 Stunden lange Mitschnitt auf YouTube zeigt den MP zu Gast in Johanngeorgenstadt und mit Worten wie aus einem MG. Motto: Voll drauf, auch wenn es Ärger gibt. 
Kretschmer spricht in der Sport- und Begegnungsstätte Franz Mehring am Montag seine unbequemen Wahrheiten klar aus, bleibt dabei hart und sachlich zugleich und fordert das auch von den Fragestellern. Der CDU-Politiker outet sich als Überzeugungstäter für den ländlichen Raum. Der Ministerpräsident (anthrazitfarbener Anzug, weißes Hemd, gepunktete Krawatte) hört sich an, was die Menschen sagen und fragen, notiert alles mit einem blauen Kugelschreiber, den er ab und an, wie weiland ein Dirigent seinen Stab, wild durch die Luft wirbelt, als ob er seine gesprochenen Worte unterstreichen wolle.

Hier einige Aussagen von Michael Kretschmer 

“Die Themen, die Menschen in den Metropolen bewegen, bekommen eine deutliche höhere Wirkung in der Öffentlichkeit. Vielleicht, weil viele Medien dort gemacht werden? Das ist komplett falsch, weil die Hälfte der Menschen im ländlichen Raum lebt.”

Thema Verkehr

“Jetzt wird das 49 Euro hochgehypt. Wem nützt das aber, wenn kein Bus im ländlichen Raum fährt? Es bringt nichts, wenn gebrauchte Dieselbusse gekauft werden, weil nur noch der Kauf von Elektrobussen gefördert wird, die im Winter und dem Gelände im Erzgebirge aber nicht funktionieren”, sagte MP Kretschmer.

“Man muss die Dinge von dort aus denken, wo die Menschen leben.”

Kretschmer: “Wir können im ländlichen Raum so viel ÖPNV haben, wie es nur geht. Es wird am Auto nichts vorbeiführen. Wenn Leute denken, man könne den Individualverkehr abschaffen, dann mag das in Chemnitz, Leipzig oder Dresden gehen. Es geht in Johanngeorgenstadt nicht. Und deshalb müssen wir auch für den Verbrenner eintreten.”

Kretschmer über Krankenhausplanung

“Was Bundesgesundheitsminister Lauterbach sagt, klingt toll. Er spricht von Qualitätsstandards für Krankenhäuser in ganz Deutschland. Werden die erfüllt, muss kein Krankenhaus schließen. Was heißt das aber konkret? Richtet sich das nach der Anzahl der behandelten Fälle? Die werden in dünn besiedelten Regionen nicht erfüllt. Dann kann ich die Standards zwar hochziehen, wir fahren aber alle 80 Kilometer ins nächste Krankenhaus. Deshalb haben alle Ministerpräsidenten der neuen Länder ihm am Freitag gesagt, dass wir der Reform so nicht zustimmen”, so MP Kretschmer.

“Wir wissen heute schon, dass 90 Prozent der Medizinstudenten weiblich sind. Es ist völlig klar, dass die nicht 70 bis 80 Stunden arbeiten werden, wie die Kollegen heute. Deshalb müssen die Krankenhäuser stärker für die ambulante Versorgung genutzt werden. Das diskutieren wir gerade mit dem Bundesgesundheitsminister. Wobei das diskutieren mit Herrn Lauterbach schwierig ist. Meistens redet er.”

Thema Energie

Michael Kretschmer: “Ich will ihnen deutlich sagen: Meines Erachtens sind wir nicht durch. Die Kostenbelastung ist gerade bei den Unternehmen ein Riesenproblem. Ich werde nicht müde zu sagen, dass Energie in einem Industrieland wie Deutschland nie ein knappes Gut werden darf und dass diese Energie preiswert verfügbar sein muss.
Dafür müssen wir alle Instrumente anwenden, die wir in Deutschland dafür in der Hand haben. In der aktuellen Situation wäre das, die Laufzeit der Atomkraftwerke zu verlängern und sie nicht am 15. April abzuschalten. Was für ein Irrsinn, wenn man einen Mangel an Energie hat, diese fünf, sechs Prozent noch aus dem Markt zu nehmen.”

“Eigentlich ist es eine Frechheit, wenn man am 15. April abschaltet, wird der fehlende Strom mit Gas oder Kohle gewonnen.” 

“Nordstream 1 sollte gesichert werden. Diese Option muss bestehen bleiben, dass man aus dieser Pipeline wieder Gas bekommt. Das Gas aus der Pipeline haben wir für zwei Cent bekommen, bei LNG-Gas sind wir auf dem Weg zu sieben Cent. Beim Beschluss aus der Braunkohle-Verstromung auszusteigen hat man gesagt, das Gas aus der Pipeline hat nur halbso viel CO2-Ausstoß wie die Braunkohle aus der Lausitz. Aber das Gas, das wir jetzt über die Schiffe bekommen, hat genauso viel CO2-Ausstoß wie die Braunkohle und es ist deutlich teurer”, so Ministerpräsident Kretschmer.

“Wir müssen mit gesundem Menschenverstand und den Grundrechenarten an so etwas wie die Energiewende gehen. Es kann doch nicht sein, dass man uns jetzt erzählt, dass wir alle Öl- und Gasheizungen wegmachen, wir machen das alles mit Elektroenergie, aber wir schalten gleichzeitig verfügbare Kapazitäten von Elektroenergie ab. Das kann doch nicht gutgehen. Das müssen wir uns auch nicht gefallen lassen.”

“Aktuell kommen 50 Prozent der Energie aus Wind, aber auch ein Drittel aus Kohle, Gas und Atom. Wenn wir das ersetzen wollen, wäre das ein gigantischer Aufwand. Jetzt kommt man und sagt, zwei Drittel der Heizungen in Deutschland laufen mit Gas, das wollen wir mit Strom machen.
Da sage ich mal als jemand, der in der DDR einen 10-Klassen-Abschluss gehabt hat und dann Ingenieurwissenschaften studiert hat: Das geht nicht! Das wird nicht kommen.
Es wird nicht möglich sein, alles Jetzige mit erneuerbaren Energien zu machen, dann alle Autos, die mit Diesel oder Benzin fahren, auf E-Mobilität umzustellen und auch alle Heizungen mit Strom zu betreiben.
Wenn man das versucht, ruiniert man auf dem Weg dahin die gesamte Wirtschaft. Da muss man von vornherein Stopp sagen, realistische Ziele ausgeben und die von Experten durchgerechnet werden. Wenn man das jetzt macht, stellt man fest: Es geht nicht – und deshalb wird gar nicht erst gerechnet. Das ist nicht in Ordnung. “

“Energie ist die Achillesferse jeder Wirtschaft. Wir müssen dafür sorgen, dass Klarheit entsteht. Es kann doch nicht sein, dass ein Land wie Deutschland, ein Land der Ingenieure, hier so rum stolpert und nach dem Prinzip Hoffnung arbeitet. Das erträgt man ja nicht als klar denkender Mensch.”

“Beim Thema Heizung mit den ganzen Ausnahmen fängt wieder eine unglaubliche Bürokratie an. Wenn man alles von heute auf morgen macht, dann versaut man die Preise. Wenn man einen Korridor vorgibt und sagt: Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen die Ziele erreicht werden, dann gibt es einen Vorlauf, dann wird es mehr Wärmepumpen und intelligentere Systeme geben. Planung nennt man das.”

Kretschmer über Flüchtlinge

“Ich habe eine klare Position als Ministerpräsident. Natürlich gehen wir mit den Leuten, die jetzt da sind, anständig um. Das ist eine Christenpflicht. Wenn man aber in eineinhalb Jahren 700.000 bis 800.000 Menschen aus einem Kriegsgebiet wie der Ukraine aufnimmt, dann ist doch klar, dass man an anderer Stelle nicht mehr so viel helfen kann”, sagt Kretschmer.
“Deshalb finde ich, dass wir Deutsche jetzt wieder so ein Land sind, dass in der EU quer im Stall steht und nicht bereit ist, offen über eine Sicherung der EU-Außengrenzen zu sprechen. Ein Land, in dem wir immer noch eigene freiwillige Aufnahmeprogramme machen. Der Bund beschließt, Menschen ins Land zu holen und Landräte oder Bürgermeister sollen sich dann kümmern. Ich finde, so geht es nicht. Deshalb muss man wenigstens in dieser Zeit sagen, diese freiwilligen Programme finden jetzt nicht statt.”

Thema Johanngeorgenstadt

Michael Kretschmer: “Wir müssen uns für Johanngeorgenstadt etwas überlegen, das Thema Altschulden klären. Der Bürgermeister hat zu mir gesagt: Jetzt kommen sie mal nicht mit irgendeinem kleinen Projekt, sondern wir müssen über das Große und Ganze reden. Das fand ich bemerkenswert. Also lasst uns gemeinsam überlegen, ob es nicht ein Leuchtturmprojekt gibt, das wir in Johanngeorgenstadt machen können, das so strahlt, dass es für Jahre das Image des Ortes und der Region so anhebt, dass es einen Push gibt für Leute, die hier herkommen wollen.”

Thema Bildung

“Wir versuchen mit aller Kraft, die Lehrerversorgung im ländlichen Raum hinzukriegen. In den großen Städten ist das überhaupt kein Problem, weil die jungen Leute alle dort bleiben wollen und wir ihnen permanent sagen: Nein, wir geben Ihnen keine Stelle in Dresden oder in Leipzig, sondern Sie gehen ins Vogtland oder ins Erzgebirge. Was denken Sie, was da abläuft! Da wird geschimpft, da wird geschrien, da wird erpresst. Aber wir können uns als Land und als Gesellschaft nicht erpressen lassen”, so Michael Kretschmer.

Thema Krisenbewältigung

“Wir haben jetzt eine besondere Krise und die werden wir nur mit mehr Freiheit bewältigen können und nicht mit mehr Staat.
Wir haben die Tendenz, aus scheinbar sehr progressiven Zielen und Anliegen, zum Beispiel Klimaschutz, die Freiheit immer weiter einzuschränken.
Ich sage, man muss jetzt auf ein Mindestmaß zurück, das im europäischen Kontext das gemeinsame Level ist. Frau von der Leyen habe ich geraten, das Lieferkettengesetz und das Thema Taxonomie wegzulassen.”

Thema Arbeitszeitgesetz

Michael Kretschmer: “Das sage ich jetzt den jüngeren Leuten, so bitter es auch ist: Das mit dem Teilzeit- und Befristungsgesetz wird so nicht funktionieren.
Dass hier jeder einen Rechtsanspruch hat zu sagen, ich arbeite nur noch 35 oder 30 Stunden und dass die Nummer dann so läuft, je mehr man verdient und so sicherer der Job ist, je weniger wird gearbeitet – und dass dann quasi die Besserverdienenden in Teilzeit arbeiten und die mit den kleinen Einkommen haben zwei oder drei Jobs: Das kann doch nicht richtig sein. So werden wir nicht durch die Krise kommen.
Das ist total bitter für die jungen Leute, die so ihr Leben einrichten wollen. Aber ich sage immer: Je eher wir ihnen diesen Zahn ziehen, desto weniger tut es weh. 
Es geht nicht darum, was individuell für einen gut ist – es haut als Gesellschaft nicht hin. Was Deutschland ausgezeichnet hat, war diese Leidenschaft, diese Leistungsbereitschaft, diese Korrektheit in dem Tun, was wir machen.

Wenn das nicht mehr da ist, wird nichts mehr funktionieren. 
Wir haben das beste Sozialsystem der Welt, das teuerste auch, jetzt wollen wir im Bereich der Umwelt noch diese Dinge machen. Irgendwo muss es in einem Gleichgewicht sein – und da sind wir auf dem Weg, das zu verlieren.”

Hier geht es zur Aufzeichnung des Bürgerdialoges