Start Chemnitz OB auf Konfrontationskurs mit Landesregierung
Artikel von: Redaktion
29.08.2015

OB auf Konfrontationskurs mit Landesregierung

Hier sollen künftig 600 Flüchtlinge untergebracht werden. Einen leerstehenden Baumarkt in Chemnitzhat die Landesdirektion nun dafür angemietet. OB Ludwig ist stinksauer und kritisiert die Landesregierung scharf. Etwas markaber: Als Werbebanner steht noch “Hier spricht der Preis”, wahrscheinlich war das auch der ausschlaggende Grund für die Anmietung des seit Jahren leerstehenden Objektes. Foto: ihst

Nach dem die Landesregierung mitgeteilt hat, dass sie künftig 600 Flüchtlinge zusätzlich in einen Baumarkt in Chemnitz unterbringen möchte, reagierte nun die Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig auf diese Entscheidung des Freistaates. Und dabei übt sie erneut lautstarke Kritik an den Plänen und dem Vorgehen aus Dresden.

Erst am Montag informierte sie über die zusätzliche Unterbringung von Asylbewerbern in zwei neuen Wohnunterkünften, in denen ab 1. Januar 2016 jeweils 150 Menschen ein neues Heim finden werden.

Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig:

„Erst vor einer Woche hat die Landesregierung das Konzept für die von ihr zu organisierenden und zu verantwortenden Erstaufnahmeeinrichtungen in Sachsen öffentlich gemacht. Endlich. Dass sich die Zahl der Flüchtlinge, die in Sachsen unterzubringen sind, verdoppeln kann, wissen die Bundesländer allerdings nicht erst durch die neue Asylbewerberprognose des BAMF. (Anm. d.Red.: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge)

Die Wahrheit ist: Sachsen hat keinen Plan, damit umzugehen. Das Konzept greift frühestens ab 2017. Derzeit wird jedes Gebäude angemietet, was ein Dach hat und von privaten Eigentümern angeboten wird.

Warum nutzt der Freistaat anstelle von Baumärkten seine eigenen Liegenschaften und Gebäude nicht, um eine menschenwürdige Unterbringung zu organisieren?

Über 80 Prozent aller in der Erstaufnahmeeinrichtung unterzubringenden Flüchtlinge in Sachsen befinden sich in Notunterkünften. Von den jetzt fast 7000 Menschen in der Erstaufnahme in Sachsen sind über 2500 an rund zehn Standorten Chemnitz untergebracht.

Dazu kommen eine Reihe, oft ebenso provisorische und überbelegte Unterkünfte an verschiedenen Orten in Sachsen. Unter anderem in einem Baumarkt in Heidenau.

Nun plant die Landesregierung, einen zweiten Baumarkt in Chemnitz zu nutzen. Gerade dort, wo die Stadt in unmittelbarer Nähe die ihr als Kommune zugewiesenen Flüchtlinge zum Teil in einer Gemeinschaftsunterkunft unterbringen will.

Mit einem Unterschied, der uns als Kommune wichtig ist: Wir arbeiten nach einem Unterbringungs- und Betreuungskonzept. Zwei Drittel der Flüchtlinge bringen wir in Wohnungen unter.

Unsere Gemeinschaftsunterkünfte sollen bewusst nicht mehr als 150 Plätze haben. Alle Standorte sind sensibel ausgewählt, es wird zuvor informiert, Anwohnerversammlungen werden geplant. Viele Bürger engagieren sich ehrenamtlich.

Was hat das Bemühen für einen Sinn, wenn der Freistaat genau in diesem Gebiet in einem Baumarkt rund 600 Flüchtlinge unter unwürdigen Bedingungen unterbringt und dafür möglicherweise schon einen Mietvertrag über bis zu fünf Jahren abgeschlossen hat?

Was sind der Kabinettsbeschluss und damit die Aussagen der Landesregierung wert, die gerade einmal eine Woche alt sind? Hier geht jede Glaubwürdigkeit verloren. Auch für uns als Kommunalpolitiker, die wir direkt vor Ort um Akzeptanz für die Integration werben.

Wir tun das aus tiefster Überzeugung und mit großem Engagement, aber unsere Glaubwürdigkeit ist gerade bei diesem Thema unser höchstes Gut.

Es wäre ehrlich zu sagen: Wir müssen alle Kräfte mobilisieren, um die Aufgabe zu meistern und gut über den Winter zu kommen. Aber wir können und werden das schaffen. Denn das können wir. Die gesamte Landesregierung, an der Spitze der Ministerpräsident, ist in der Pflicht, genau wie die Bundesregierung und alle Landesregierungen.

Als Oberbürgermeisterin der Stadt in Sachsen, die seit vielen Jahren die meisten Flüchtlinge unterbringt und die persönlich bei ihren Bürgern für Toleranz, Solidarität und Akzeptanz gegenüber Flüchtlingen wirbt, sage ich: Ich hätte nie gedacht, dass unser Land Sachsen so getrieben, so planlos und so fahrlässig handelt.

Das ist verantwortungslos gegenüber den Flüchtlingen und verantwortungslos gegenüber der Bürgerschaft. Ich möchte nicht den Beifall der Falschen, denen diese Planlosigkeit in die Hände spielt.

Ich habe einen immensen Respekt vor der Arbeit der vielen Ehrenamtlichen, die schon seit Monaten Herausragendes leisten, vor denen, die sich privat engagieren, um uns zu helfen und sage: Danke dafür.“