Start Ohne Material wird nicht gebaut
Artikel von: Sven Günther
27.01.2023

Ohne Material wird nicht gebaut

Eine der herausforderndsten Aufgaben für die Zukunft: die Ausbildung zukünftiger Fachkräfte im Handwerk. Symbolbild: AdobeStock

„Preisdeckel sind kein Allheilmittel“

Chemnitz. Seine Stimme hat Gewicht. Als Präsdiden der Handwerkskammer Chemnitz vertritt Präsident Frank Wagner 22.005 Betriebe in der Region. In einem Interview mit der “Deutschen Handwerks Zeitung” (DHZ) zieht er Bilanz und schaut nach vorn. Der WochenENDspiegel veröffentlicht das Gespräch.

DHZ: Herr Wagner, der Jahresanfang ist immer eine gute Gelegenheit, einmal zurückzuschauen auf die vergangenen 365 Tage und einen Ausblick zu geben auf das kommende Jahr. Wie fällt Ihr Fazit für 2022 aus?

FRANK WAGNER: Gegenfrage: Was denken Sie denn, was ich an gleicher Stelle vor einem Jahr mit Blick auf 2021 gedacht habe?
Vermutlich war Ihre Erwartung, die Corona-Pandemie endlich hinter uns zu lassen. Richtig. Im Winter 2021 haben wir uns alle danach gesehnt, endlich nicht mehr durch Corona eingeschränkt zu sein und nach zwei sehr schwierigen Jahren wieder richtig durchstarten zu können.
Schaue ich jetzt auf 2022, so kann ich sagen: Hier haben sich die Hoffnungen des Handwerks erfüllt. Es gibt eigentlich keine wirklichen Einschränkungen mehr, alle Betriebe könnten so arbeiten wie sie es bis Anfang 2020 gewöhnt waren.

DHZ: Jetzt kommt sicherlich ein „Aber“…

FRANK WAGNER: … aber der 24. Februar war ein einschneidendes Datum, das uns für den Rest des Jahres beschäftigt hat und vermutlich auch noch lange beschäftigen wird.
Der schlimme und durch nichts zu rechtfertigende Krieg in der Ukraine hat nicht nur gesellschaftlich und politisch vieles auf den Kopf gestellt, was Europa sich seit 1945 erarbeitet hat. Auch wirtschaftlich sind die Folgen des Krieges enorm.

DHZ: Sie meinen die hohen Energiepreise?

FRANK WAGNER: Ja, diese sind eine Folge des Krieges – wenngleich die Preise auch schon vorher stark gestiegen und zur Belastung geworden sind. Man sollte aber auch die gestörten Lieferketten betrachten: Den Kunsthandwerkern fehlt zum Beispiel das Holz aus der Ukraine oder Russland. Es fehlen Metallprodukte wie Nägel. Ebenso sind die Preise für Mehl auf dem Weltmarkt gestiegen, was die Bäcker zu spüren bekommen.
Nochmal zurück zu den hohen Energiepreisen: Schaut man sich die Preisentwicklung beim Öl oder Gas an, so haben sich diese nach Höhenflügen im Sommer wieder eingependelt. Das ist richtig, täuscht aber nicht darüber hinweg, dass die Preise immer noch deutlich über dem Niveau von 2021 liegen.

Frank Wagner. Foto: Holger Vogel

DHZ: Die Gas- und Strompreisdeckel sind da keine Entlastung?

FRANK WAGNER: Sie sind besser als nichts und helfen sicherlich den Betrieben, um mit den hohen Preisen eher klarzukommen. Aber auch bei den Bremsen gilt: Die Preise für Strom und Gas liegen damit trotzdem weiterhin deutlich über dem Vorkrisen-Niveau.
Und dann kommt ja noch dazu, dass viele Betriebe beispielsweise gar kein Leitungsgas nutzen, sondern auf Heizöl, Holzpellets, Kohle oder Flüssiggas zurückgreifen müssen. Da gibt’s keinen Preisdeckel wie wir ihn bei Erdgas und Strom sehen. Aber die Kurve ging auch hier in den letzten Monaten nach oben.

DHZ: Welche Hilfen hatten Sie erwartet?

FRANK WAGNER: Natürlich kann der Staat nicht für alle Preissteigerungen einspringen und diese abdecken. Das erwarten weder wir als Kammer noch die Betriebe. Wie gesagt: Die Deckel gehen in die richtige Richtung.
Mir kommt es nur manchmal so vor, dass diese von der Politik als Allheilmittel dargestellt werden. Und bei jenen, die gar nicht davon profitieren, wird es schon nicht so schlimm sein. Das ist ein Trugschluss.
Nehmen wir nochmal das Beispiel Heizöl oder Holzpellets: Entweder die Betriebe haben gar keinen Anschluss an das Erdgas-Leitungsnetz. Oder sie haben sich bewusst für einen Umstieg – den sogenannten Fuel Switch – entschieden, weil dieser ja lange Zeit als Option zur Abkehr von Erdgas angepriesen wurde. Das rechnet sich aber schlicht nicht mehr.
Bei solchen strukturellen Fehlern gilt es anzusetzen. Da müssen Hilfen greifen, damit unsere Betriebe gut durch die Krise kommen und fit für die Zukunft sind.

DHZ: Man hörte immer wieder, dass Betriebe aufgrund der Preise für Energie und der Materialengpässe in Schieflage geraten sind oder noch werden, sie gar schließen müssen. Ist die Situation wirklich so ernst?

FRANK WAGNER: Sicherlich wird es Betriebe geben, die schließen, weil es sich nicht mehr rechnet. Das sind aber oftmals jene Betriebe, bei denen aufgrund des Alters der Inhaber eine Betriebsschließung ansteht – falls kein geeigneter Nachfolger gefunden wird. Jetzt wird diese Entscheidung eben vorgezogen.
Was aber die Handwerker vielmehr schmerzt, ist die fehlende Liquidität, die sie benötigen, um beispielsweise in Energieeffizienz und Klimaneutralität oder Digitalisierung zu investieren. Das Geld fehlt, obwohl solche Investitionen zwingend notwendig sind, um fit für die Zukunft zu sein.
Mir scheint, dass auch das bei der Ausgestaltung der Hilfsprogramme und Preisdeckel noch nicht so richtig ins Bewusstsein gerückt ist.
Und auch die Materialengpässe sind ein ernstes Problem, gerade wenn Sie auf den Bau schauen. Da muss man ansetzen, neue Lieferwege finden oder einrichten. Ansonsten brauchen wir auch nicht von Wohnungsbauprogrammen oder Straßensanierungen reden. Wo kein Material verfügbar ist, da wird auch nichts gebaut.

DHZ: Sie sagten gerade „Zukunft“. Wagen wir einen Blick auf 2023!

FRANK WAGNER: In die Glaskugel kann ich nicht schauen. Aber ich kann zumindest Wünsche äußern und Themen benennen, die im Fokus stehen sollten.

DHZ: Fangen wir bei den Wünschen an…

FRANK WAGNER: Als erstes wünschen wir uns doch alle, dass dieser furchtbare Krieg in der Ukraine ein Ende findet. Das sterben muss aufhören. Dieses Problem kann aber nicht das Handwerk lösen.
Für das Handwerk, die Betriebe und deren Mitarbeiter, wünsche ich mir, dass diese gut durch den jetzigen Winter kommen. Natürlich werden wir auch noch nach dem Winter die Folgen des Krieges spüren.
Daher wünsche ich mir ebenfalls, dass Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam Lösungen erarbeiten, um nicht erneut in eine solche Krisensituation zu kommen beziehungsweise bei neuen Problemen gleich die richtigen Antworten geben zu können. Das ist ein hehres Ziel und sicherlich sehr allgemein gehalten. Aber nur das kann der Weg sein.

DHZ: Es scheint, dass das auch die Themen sind, die im Fokus stehen werden.

FRANK WAGNER: Mit Sicherheit ist das so. Was wir aber nicht aus den Augen verlieren sollten, sind andere Probleme, die das Handwerk betreffen. Bei den ganzen Diskussionen rund um die Energiepreise besteht die Gefahr, dass wir hier etwas außer Acht lassen, das genauso wichtig ist.

DHZ: Was meinen Sie?

FRANK WAGNER: Ich nenne mal drei Schlagworte, die alle gleichbedeutend sind: Fachkräftemangel, Bürokratie, Digitalisierung. Jetzt denkt manch einer: Das hören wir vom Handwerk doch schon seit Jahren. Dem stimme ich zu. Aber wenn wir nicht gleichzeitig auch diese drei Themen angehen, sehe ich schwarz für die große wirtschaftliche und gesellschaftliche Herausforderung der kommenden Jahre: Den Umbau unseres gesamten Alltags mit dem Ziel der Klimaneutralität.

DHZ: Die Argumentation ist nachvollziehbar, aber Sie haben es doch zu recht gesagt: Das sind Themen, die uns schon seit Jahren beschäftigen und passiert ist scheinbar nicht viel. Wer trägt die Schuld?

FRANK WAGNER: Hier geht es nicht um Schuld oder Verantwortung. Es geht darum, dass wir jetzt in 2023 und den folgenden Jahren loslegen müssen – parallel zur Energiekriese. Das kostet Zeit und vor allem auch Geld.