Start Chemnitz Polizei nimmt Stellung zu Einsatz in Rechenberg-Bienenmühle
Artikel von: Redaktion
20.02.2016

Polizei nimmt Stellung zu Einsatz in Rechenberg-Bienenmühle

Jana Kindt, Pressesprecherin der Polizeidirektion Chemnitz, und Uwe Reißmann, Polizeipräsident, bei der Pressekonferenz anlässlich der Vorfälle in Clausnitz. Foto ihst
Jana Kindt, Pressesprecherin der Polizeidirektion Chemnitz, und Uwe Reißmann, Polizeipräsident, bei der Pressekonferenz anlässlich der Vorfälle in Claußnitz. Foto ihst

Am Donnerstagabend kam es in Clausnitz bei Freiberg bei der Ankunft von Asylbewerbern und dem Bezug einer Erstunterkunft zu Blockaden durch rund 100 Demonstranten. Zunächst waren nur 20 Protestanten vor Ort, die den Bus beim Weiterfahren hinderten. Gleichzeitig hatte man vor Ort eine Straßensperre mit Pkw, Traktor vorgefunden.

Nach dem Auftauchen eines Videos im Internet, welches das harte Vorgehen der Polizei gegen die Asylbewerber zeigt, sah sich die Polizei gezwungen, die für morgen angesetzte Pressekonferenz vorzuziehen.

Jana Kindt, Pressesprecherin der Polizeidirektion Chemnitz: “Die Änderung war nötig aufgrund des Shitstorm gegen die Polizei in sozialen Netzwerken und zahlreiche Onlineanzeigen gegen die Polizei. Bilder sagen mehr als tausend Worte. Bilder sind immer eine Momentaufnahmen und erzählen nicht die Hintergründen.”

Nach der Erstbelegung der Asylunterkunft in Clausnitz, hat die Polizei den Einsatz ausgewertet und nach aktuellem Stand präsentierte die Polizeidirektion den Einsatzverlauf auf einer Pressekonferenz.

“Am 17.2. gab es die Information zur Erstbelegung der Unterkunft für den 18. Februar. Im Vorfeld waren verbale Unmutsbekundungen bekannt. Aber von einer Störung am 18.2. war nicht auszugehen”, so Uwe Reißmann, Polizeipräsident der Polizeidirektion Chemnitz.

Situation vor Ort am 18.2. beim Eintreffen des Busses mit Asylbewerbern 19.20 Uhr: 30-40 Personen im Zufahrtsbereich der Asylunterkunft, Pkw-Blockade und Protest mit Transparenten.

19.54 Die Zahl der Protestanten hat sich auf 100 Personen erhöht.

Der Platzverweis wurde durch den verantwortlichen Beamten vor Ort an die Protesanten ausgesprochen, dem diese aber nicht nachkamen. Im weiteren Verlauf wurden die Halter der Fahrzeuge aufgefordert, die Blockade zu beseitigen. Anschließend konnte der Bus bis 50 Meter vor Unterkunft (20.40Uhr) vorfahren.

Ab 21 Uhr nach Beenden der Fahrzeugblockade konnte der Bus bis direkt vor die Asylbewerberunterkunft fahren. Ein Fernhalten der Demonstranten ist durch die Einsatzkräfte nicht möglich gewesen.

Die Businsassen wollen den Bus nicht verlassen. Dolmetscher versuchen sie zum Aussteigen zu bewegen. Drei Businsassen, darunter ein Junge, provozierten die Demonstranten zum Teil mit Stinkefinger und Handbewegungen, die Kopf-ab-Bewegungen symboliserten. Der Junge und zwei weitere Asylbewerber werden anschließend durch Beamte in die Unterkunft gebracht. Die übrigen Asylbewerber verlassen anschließend freiwillig den Bus. 22 Uhr war der Bus inklusive Gepäck beräumt.

Uwe Reißmann, Präsident der Polizeidirektion Chemnitz, verteidigt das Vorgehen: “Am Einsatzablauf gibt es nichts zu rütteln. Um die Situation nicht weiter zu verschärfen und damit Verletzte und Sachschäden zu riskieren, war es notwendig die Asylsuchenden schnellstmöglich in ihre Unterkunft zu bringen. Dafür war einfacher unmittelbarer Zwang zum Schutz bei drei Ankommenden notwendig. Für unseren mehrstündigen, hochemotionalen Einsatz, bei dem es am Ende keine Verletzten und Sachschäden gab, mit einer kurzen, losgelösten Videosequenz und ohne bisherige Kenntnis der Hintergründe öffentlich angeprangert zu werden, weise ich entschieden zurück.”

Auf Nachfragen teilte Reißmann mit:

“Man ging davon aus, dass die Belegung reibungslos über die Bühne gehen wird, deshalb war kein zusätzlicher Polizeieinsatz geplant. Aufgrund der Lage von Clausnitz kommt es zu langen Anfahrtwege. Die Unterstützungskräfte kamen erst spät vor Ort an. Hätten wir den Einsatz im Vorfeld anders bewertet, weil es Vorzeichen gegeben hätte, hätten wir entsprechend unsere Einsatztruppe zum Einsatz geschickt.”

Auf die Frage hin warum es zu dem Vorgehen der Beamten gegenüber der Asylbewerber kam, erklärte Reißmann:

“Wir hatten befürchtet, dass Steine oder Böller in Richtung des Busses geworfen würden, wie in Jahnsdorf. Deshalb haben wir die Asylbewerber aus dem Bus geholt. Es wurde zu diesem Zeitpunkt auch eine Räumung des Busses vorbereitet. Aber die Situation hatte eine schnelle Handlung verlangt. Als die drei handelnden Personen aus dem Bus raus waren, haben die übrigen Asylbewerber den Bus freiwillig verlassen. Eine Unterbringung in einer Ausweichunterkunft stand nicht zur Debatte. Gleichzeitig wäre es schwierig gewesen, den Bus rückwärts aus der Straße zu manovrieren.”

“Nach intensiven Verhandlungen auch mit dem Dolmetscher war es uns zunächst nicht möglich die Asylsuchenden zu bewegen sich aus dem Bus zu bewegen. Die Beamten wollte in dieser Situation deeskalierend wirken.”

Frage nach weiteren Aktionen gegen die Beamten:

Reißmann: “Aus meiner Sicht wird es keine Konsequenzen gegen die Polizisten geben. Wir werden aber in Richtung der Businsassen ermitteln z.B: wegen Beleidigungen. Hier wird sich in den nächsten Tagen erst abbilden, was getan wird. Es muss geklärt werden, ob es sich dabei um Kinder handelt.”

Diese hatte in Richtung der Protestanten gestikuliert nicht gegen die Polizisten. Gezeigt wurden unter anderem Stinkefinger und Handzeichen, die “Kopf ab” symbolisieren.

“Das Vorgehen der Beamten war gerechtfertigt aus meiner Sicht, wenn die Asylsuchenden trotz des Dolmetschers nicht zum Aussteigen zu bewegen sind”, so Reißmann und fügt hinzu: “Die Maßnahme wurde vorher abgesprochen. Einfacher unmittelbaren Zwang müssen wir auch anwenden, wenn es Kinder und Jugendliche betrifft. Aus unserer Sicht war es notwedig, hier schnell zu handeln.”

Einfacher unmittelbarer Zwang bedeutet dabei: Die Beamten haben die Asylsuchenden mittels körperlicher Gewalt zum Aussteigen bewogen, ohne dabei vom Einsatz von Hilfmitteln Gebrauch zu machen.

Hinsichtlich der Demonstranten äußerte sich Reißmann wie folgt: “Vor Ort haben die Beamten die Personalien der Protestanten festgestellt und wir gehen davon aus, dass der Großteil aus dem Ort selber stammt.”

“Insgesamt liegen derzeit 14 Anzeigen, die die Polizei betreibt, sowie 50 Internetanzeigen u.a. gegen die Polizei vor. Unter den 14 Anzeigen sind drei Anzeigen gegen die Personen der Pkws.”

Eine Räumung des Platzes trotz ausgesprochenen Platzverweises war nicht möglich, da mit 20 Beamten die Protestanten zu beräumen nicht möglich gewesen wäre. Gegen 22 Uhr waren insgesamt 28 Beamte inklusive 6 Beamter der Bundespolzei vor Ort.

Hinsichtlich des betroffenen Personen, die durch die Beamten aus dem Bus geführt wurden erklärte Jana Kindt: “Der Junge ist augenscheinlich ein Kind.”

Für 20 Uhr heute Abend ist vor Ort an der Flüchtlingsunterkunft in Rechenberg-Bienenmühle eine Demonstration Pro-Asyl geplant. “Angemeldet sind derzeit 50 Teilnehmer. Der Einsatz wird entsprechend für heute Abend vorbereitet”, so Reißmann.

Einsatzprotokoll der Polizei

Ausgangslage:
Die Polizeidirektion Chemnitz war seit dem 17. Februar 2016 vom Landratsamt Mittelsachsen darüber informiert, dass am Abend des
18. Februar 2016 die Erstbelegung einer Asylunterkunft in der Cämmerswalder Straße mit 25 Personen erfolgen soll.
Unmutsbekundungen während einer vorangegangenen Einwohnerversammlung zur neuen Asylunterkunft waren bekannt. Im unmittelbaren Vorfeld der Belegung gab es keine Erkenntnisse zu geplanten Protestaktionen, mit denen die Erstbelegung verhindert werden sollte. Aus diesem Grund war von einer störungsfreien Belegung auszugehen. Eine Streifenwagenbesatzung des Standortes Sayda wurde mit deren Absicherung beauftragt.

Chronologie des Einsatzverlaufs:
19.20 Uhr:
Bei Eintreffen der Streifenwagenbesatzung befinden sich
30 bis 40 Personen im Zufahrtsbereich der Asylunterkunft. Zudem sind drei Fahrzeuge (Traktor mit Schiebeschild, Klein-Lkw und Pkw) in Form einer Blockade in der Zufahrt abgestellt. Ein Protesttransparent wird gezeigt.
Die Beamten informieren das zuständige Polizeirevier Freiberg, dieses wiederum das Führungs- und Lagezentrum (FLZ). Ein Polizeieinsatz wird aufgerufen. Der Außendienstleiter des FLZ wird als Polizeiführer nach Clausnitz geschickt. Die Bundespolizei wird um Unterstützung gebeten.

ab 19.54 Uhr:
Drei Streifenwagen des Reviers Freiberg und sechs Beamte der Bundespolizei sind vor Ort. Die Gruppe der Versammelten ist inzwischen auf ca. 100 angewachsen. Der Bürgermeister und das Landratsamt werden über die Situation informiert und kommen vor Ort.
Es wird Unterstützung aus der PD Zwickau angefordert. Zwei Diensthundeführer der Polizeidirektion Chemnitz sowie zwei Funkwagen des Reviers Marienberg werden aktiviert.
Nach einem Lageüberblick bittet der zu diesem Zeitpunkt den Einsatz führende Beamte des Reviers die Versammelten um Ruhe und erteilt der Personengruppe einen Platzverweis. Dem leistet niemand Folge. Der Beamte erklärt die drohenden Konsequenzen des Nichtfolgens (Räumung, ggf. unter unmittelbarem Zwang). Die Versammelten reagieren mit Gelächter.
Daraufhin werden die Halter der drei Blockadefahrzeuge ermittelt. An sie ergeht die Aufforderung, die Fahrzeuge wegzufahren, mit der Androhung des Abschleppens. Dies wird kurz darauf befolgt.

20.40 Uhr:
Eintreffen des Außendienstleiters der Polizeidirektion Chemnitz und Übernahme des Einsatzes.
Der Bus steht unverändert ca. 50 m vor der Unterkunft.

Ab 21 Uhr:
Der Bus mit 20 Asylsuchenden wird nach Beenden der Fahrzeugblockade direkt vor den Eingang der Unterkunft gelotst. Gleichzeitig setzen sich die Versammelten in Richtung Eingang in Bewegung.
Der Polizeiführer verfügt jetzt über 23 Einsatzkräfte. Aufgrund des Kräfteverhältnisses und der frei zugänglichen Örtlichkeit ist ein Fernhalten der Protestierenden vom Bus nicht möglich. Deshalb wird sich auf den unmittelbaren Eingangsbereich konzentriert. Es gibt lautstarke Protestrufe. Ein Rufer droht das Begehen einer Straftat an.
Die Businsassen wollen das Fahrzeug nicht verlassen. Mit einem Dolmetscher, der die Asylbewerber bereits in der Unterkunft erwartet, versuchen die Einsatzkräfte die Ankommenden zum Aussteigen zu bewegen.
Die Lage verschärft sich, als aus dem Bus heraus die Protestierenden gefilmt werden und von einem Jungen provozierend gestikuliert wird (u.a. Zeigen des Mittelfingers). Um die Situation zu beruhigen, wird der Junge aus dem Bus in die sichere Unterkunft gebracht. Für diese Maßnahme macht sich einfacher unmittelbarer Zwang notwendig.

21.20 Uhr:
Um Angriffe gegen den Bus und die Insassen vorzubeugen, entschließt sich der Polizeiführer nach Rücksprache mit dem Vertreter des Landratsamtes, die Businsassen schnellstmöglich in die Unterkunft zu bringen. Bei zwei weiteren Ankommenden macht sich dafür ebenfalls einfacher unmittelbarer Zwang notwendig. Die anderen Asylsuchenden beziehen nach Aufforderung selbstständig ihre Unterkunft.

22 Uhr:
Die Unterstützungskräfte aus Zwickau treffen ein. Zu diesem Zeitpunkt sind alle Asylsuchenden in der Unterkunft und ihr Gepäck ist ausgeladen.
Die Zahl der Versammelten reduziert sich rasch.

22.26 Uhr:
Alle Versammelten haben den Ort verlassen. Das Lagezentrum wird informiert.

22.30 Uhr
Der Einsatz wird beendet. Es gibt keine unmittelbar Verletzten und keine Sachschäden. Aufgrund gesundheitlicher Beschwerden muss eine Asylbewerberin medizinisch betreut werden.
Es gibt Anzeigen gegen die drei Fahrzeugbesitzer aus Clausnitz und Frauenstein wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und Nötigung sowie gegen einen weiteren Tatverdächtigen wegen des Verdachts der Androhung von Straftaten.
Die Bestreifung des Bereiches beginnt.

Polizeipräsident Uwe Reißmann:
„An diesem Einsatz gibt es nichts zu rütteln. Um die Situation nicht noch mehr zu verschärfen und damit Verletzte und Sachschäden zu riskieren, war es notwendig, die Asylsuchenden schnellstmöglich in ihre Unterkunft zu bringen. Dafür war einfacher unmittelbarer Zwang zum Schutz bei drei der Ankommenden notwendig. Für unseren mehrstündigen, hochemotionalen Einsatz, bei dem es am Ende keine Verletzten und Sachschäden gab, mit einer kurzen, losgelösten Videosequenz und ohne bisherige Kenntnis der Hintergründe öffentlich angeprangert zu werden, weise ich entschieden zurück.
Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Kollegen der Bundespolizei dafür, dass sie Unterstützung für die Landespolizei geleistet haben.“