Start Mittelsachsen Shitstorm über Claußnitz (mit "sz"!) hereingebrochen
Artikel von: Redaktion
02.03.2016

Shitstorm über Claußnitz (mit “sz”!) hereingebrochen

Claußnitz, das mit "ß" bei Mittweida, sieht sich wegen der Namensähnlichkeit mit dem Ortsteil von Rechenberg-Bienenmühle einem Shitstorm ausgesetzt. Foto: rp
Claußnitz, das mit “ß” bei Mittweida, sieht sich wegen der Namensähnlichkeit mit dem Ortsteil von Rechenberg-Bienenmühle einem Shitstorm ausgesetzt. Foto: rp

Mittelsachsen/Claußnitz. Ein wenig haben auch wir Medien die Schuld, wurde doch anfangs hier und da das erzgebirgische Clausnitz unbedacht mit „ß“ statt mit bloßem „s“ geschrieben. Man stelle sich mal vor, die Medien hätten ihre Überschriften in Großbuchstaben gedruckt – CLAUSSNITZ mit „SS“!
Was diese Verwechslung für die Gemeinde Claußnitz bei Mittweida bedeutet, kann sich kaum jemand ausmalen.

Mehr als 300 E-Mails zumeist voller wüster Beschimpfungen sind bei Bürgermeister Günter Hermsdorf in der Stadtverwaltung Claußnitz eingegangen, weil die wegen der Vorfälle in Clausnitz aufgebrachten Menschen vor Wut scheinbar nicht mehr richtig lesen können oder wollen, und weder Ort noch Postleitzahl zu unterscheiden vermögen.

Von Worten wie „Dreckskaff“ und „Napalm auf Sachsen“, „Schießbefehl einführen“ oder „die Mauer wieder aufbauen“ sei unter anderem in den Mails die Rede.
Bürgermeister Günter Hermsdorf hatte sich noch direkt am Wochenende nach dem Vorfall, als rund 100 Menschen versucht hatten, die Ankunft eines Busses mit Flüchtlingen zu verhindern, die Mühe gemacht, jede einzelne dieser Nachrichten persönlich zu beantworten.

„Wir distanzieren uns ausdrücklich von diesem Vorfall und sind ebenfalls tief erschüttert. Diese Ereignisse sind schlimm und menschenverachtend“, sagte er gegenüber der Bild-Zeitung. Dass die Menschen jedoch Unschuldige nicht bloß für schuldig erklären, sondern ihnen auch noch die furchtbarsten und menschenverachtendsten Dinge an den Hals wünschen, kann der Bürgermeister nicht nachvollziehen.

Genauso sieht es auch Jan Kösters, der Wirt des Hotels „Roter Hirsch“ in Claußnitz. „Wir hatten es schon oft, dass hier Lieferungen ankamen, die für das Clausnitz im Erzgebirge bestimmt waren. Bei der Postleitzahl 09236 für Claußnitz und der 09623 für Clausnitz als Ortsteil von Rechenberg-Bienenmühle liegt das ja auch nahe“, sagte der Besitzer vom „Roten Hirsch“. “Was ich jedoch nicht verstehen kann, ist, dass ich mich als Unschuldiger hier beschimpfen lassen muss.” Jetzt steht er mit seinem Hotel und Gasthof Am Anger sozusagen am Pranger.

Claußnitz und nicht Clausnitz Jan Kösters
Jan Kösters, der Wirt vom “Roten Hirsch” in Claußnitz bekam anonyme Anrufe, in denen er aufs Übelste beschimpft wurde. Foto: rp

„Ich hatte bereits in der Nacht des Vorfalls in Clausnitz einen anonymem Anruf, in dem ich als „Nazi-Schwein“ bezeichnet wurde. Ein anderer Anrufer beschimpfte mich als „braunes Gesocks“. Denkt denn hier überhaupt noch jemand nach, bevor er Beschuldigungen ausspricht und Menschen verurteilt? Mir wird Angst und Bange, wenn ich ein solches Verhalten sehe“, erklärte Jan Kösters weiter.
„Mir sagen Stammkunden ab, stornieren ihre Bestellungen, weil sie sich nicht mehr nach Sachsen trauen. Die Künstler, die eigentlich bei uns auftreten wollen, und deren Management rufen hier an und fragen nach, ob es überhaupt noch sicher sei in Sachsen. Selbst der Radiosender „Paloma“, mit dem wir eine enge Geschäftsbeziehung pflegen, erkundigte sich besorgt, wie die Situation vor Ort ist“, führte der Hotel- und Gasthof-Inhaber weiter aus.

Claußnitz Roter Hirsch
Die Künstler, die eigentlich im “Roten Hirsch” auftreten wollen, und deren Management rufen bei Jan Kösters an, ob es überhaupt noch sicher sei in Sachsen. Selbst der Radiosender „Paloma“ sorgt sich um die Situation vor Ort. Foto: rp

„Ich habe Verantwortung für insgesamt 34 Leute. Demnächst soll hier Andrea Jürgens in unserem Haus auftreten. Was die Ereignisse von Clausnitz – aber vor allem die blinde Wut und das undifferenzierte Verhalten vieler Menschen für einen Image-Schaden für uns bedeuten, vermag ich derzeit noch nicht abzuschätzen. Ich hoffe nur, dass sich die Wogen bezüglich der Verwechslung schnell glätten.“

Claußnitz als Beispiel für das “Pulverfass Deutschland”

Clausnitz vs. Claußnitz ist nur ein Beispiel für das “Pulverfass Deutschland“, auf dem wir alle derzeit zu sitzen scheinen. Die Qualität leidet unter der Geschwindigkeit. Die Qualität der Recherche und des Nachrichteninhalts schwindet oftmals ebenso wie der Wille, korrekt zu lesen beziehungsweise genau zuzuhören, erst einmal tief durchzuatmen und noch dazu erst nachzudenken, bevor man artikuliert oder handelt.

Die Worte von Konrad Lorenz sollte sich jeder verinnerlichen und bedenken, wenn er etwas hört oder liest:
„Gedacht heißt nicht immer gesagt, gesagt heißt nicht immer richtig gehört, gehört heißt nicht immer richtig verstanden, verstanden heißt nicht immer einverstanden, einverstanden heißt nicht immer angewendet, angewendet heißt noch lange nicht beibehalten.“