Start Zwickau Sofortprogramm Pflege: Agieren statt reagieren
Artikel von: Judith Hauße
05.04.2018

Sofortprogramm Pflege: Agieren statt reagieren

Nicole Brix, Pflegefachkraft und Silke Wachholz, Wohnbereichsleitung, gehören zum starken Pflege-Team der K&S Seniorenresidenz Zwickau. Fotos: Judith Hauße

 

Von Judith Hauße

Landkreis Zwickau. 8.000 neue Pflegestellen, eine sogenannte „Ausbildungsoffensive“ sowie flächendeckende Tarifverträge – das sind die Kernpunkte, die Union und SPD für den Bereich Pflege im Koalitionsvertrag beschlossen und schließlich vor wenigen Wochen auch unterschrieben haben. Doch können all diese Dinge wirklich einem akuten Pflegenotstand in Deutschland, vor allem in den ländlichen Gebieten, entgegensteuern? Schließlich hört es sich durchaus positiv an, wenn tausende neue Pflegefachstellen eingesetzt werden sollen. Doch die Frage, die sich dabei aufwirft: Wo kommen all diese Stellen plötzlich her und wer trägt schlussendlich die Kosten dafür?

Diesbezüglich sieht jedoch die Bundesregierung auch eine Lösung vor: Die Mehrkosten sollen die gesetzlichen Krankenversicherungen zahlen, um letztendlich ebenso die Pflegebedürftigen finanziell zu entlasten. Allerdings fordern Pflegeexperten weitaus mehr. Denn 8.000 Fachkräfte für die medizinische Behandlungspflege – bei 13.000 Pflegeheimen bundesweit – sind zu wenig, wie Sabine Zimmermann (Die Linke), Bundestagsabgeordnete, zu bedenken gibt. Sprich „ein Tröpfchen auf dem heißen Stein“, wie auch Thomas Eisenreich, Geschäftsführer im Deutschen Evangelischen Verband für Altenarbeit und Pflege e.V. (DEVAP) sagt.

Benjamin Müller, Bereichsleiter Altenhilfe in der Stadtmission Zwickau (links außen) und Lars Petzold, Einrichtungsleiter im Marthaheim Zwickau (rechts außen) kümmern sich täglich um das Wohl ihrer Klienten.

Gleichzeitig erkennt Benjamin Müller, Bereichsleiter Altenhilfe in der Stadtmission Zwickau, darin wiederum einzig ein „Signal dafür, die Attraktivität des Berufsfeldes Pflege zu unterstützen – und das vor allem in Verbindung mit der Gewinnung von jungen Leuten sowie Quereinsteigern“. Dies bekräftigt ebenso Eisenreich: „Der Arbeitsmarkt ist schon heute leergefegt, deshalb muss Politik unterstützen, dass Potenzial an Arbeitskräften zu erhöhen“. Darüber hinaus sieht speziell Lars Petzold, Einrichtungsleiter im Marthaheim Zwickau, besonders in der qualitativen Förderung von Quereinsteigern eine Notwendigkeit: „Im vergangenen Jahr sind viele Leute zu uns gekommen, die noch keinerlei Erfahrungen im Bereich der Altenpflege gesammelt haben, aber dennoch gern in das Tätigkeitsfeld als Pfleger wechseln würden. Besonders diesen sollte man schließlich auch künftig noch mehr die Möglichkeit zur Weiterbildung als Pflegefachkraft bieten“.

Ein weiterer Schlüsselpunkt des Koalitionsvertrages bezieht sich auf das Ziel, eine gleichmäßigere Bezahlung durch flächendeckende Tarifverträge sowie eine Angleichung des Pflegemindestlohns in Ost und West anzustreben. Carola Huth, Residenzleiterin der K&S Seniorenresidenz Zwickau, sieht dabei allerdings wiederum einen Haken: „Eine höhere Vergütung, sei es bei ausgelernten Pflegefachkräften oder bereits schon in der Ausbildung, würde bedeuten, dass sich der Eigenanteil der auf Pflege angewiesenen Menschen drastisch erhöhen würde. Aus diesem Grund sollte die Bundesregierung vielmehr auch ins Gespräch mit den Pflegekassen kommen, so dass die Klienten nicht noch als Sozialhilfeempfänger gelten“.

Ein Knackpunkt, den ebenso Sabine Zimmermann (Die Linke) erkannt hat, indem sie verdeutlicht, dass die Eigenanteile besonders in den Pflegeheimen Sachsens dramatisch gestiegen seien. Ihr Lösungsvorschlag für eine bessere Bezahlung: Die Bereitstellung von 1,2 Milliarden Euro durch die Auflösung der Pflegevorsorgefonds. Zudem solle die Regierung besonders auch Maßnahmen für die Bezahlung der 8.000 Pflegefachstellen anstreben, ohne dabei den Eigenanteil der Pflegebedürftigen zu erhöhen, wie auch Benjamin Müller betont.

Dementsprechend sei eine tiefergreifende Finanzierungsreform notwendig, um den dabei vermeintlich inhaltsleeren Absichten des Koalitionsvertrages eventuell doch einen gewissen Sinn zu verleihen. Zumal letztendlich die Probleme im Bereich der Pflege nicht allein mit „Tippelschritten“ behoben werden können, um erneut die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Sabine Zimmermann zu zitieren. Und nicht zuletzt muss ebenso der demografische Wandel berücksichtigt werden, wie ebenso Carola Huth zu bedenken gibt: „Die Alterspyramide ist inzwischen gekippt, das hat Folgen“.

Alles in einem ist es aber letztendlich nur ein kleiner Schritt, den Union und SPD in ihrer Pflegepolitik vereinbart haben. Mehr allerdings auch nicht. Nun ja, vielleicht einzig: Die Pflege hat mit jenem „Sofortprogramm“ wieder mehr Aufmerksamkeit erlangt. Doch ins dunkle Licht sollte die Pflege nicht gerückt werden. Denn nichtsdestotrotz ist es für viele Pflegefachkräfte eine ehrenvolle Aufgabe, die Klienten auf ihren letzten Wegen zu begleiten, sagt Petzold und hebt damit noch einmal die Relevanz des Berufes in Deutschland hervor. So muss schlussendlich also nur noch eines mit Blick auf die große Koalition gelten: „Agieren statt reagieren“.