Start Chemnitz Stasi-Gefängnis wird zur Gedenkstätte ausgebaut
Artikel von: Judith Hauße
01.07.2020

Stasi-Gefängnis wird zur Gedenkstätte ausgebaut

V.l.n.r.: CDU-Generalsekretät Alexander Dierks, Barbara Klepsch, Jürgen Renz und Chris Bürger besuchten am Dienstag die Baustelle am ehemaligen Kaßberg-Gefängnis. Fotos (3): Judith Hauße

„Es lief mir eiskalt den Rücken herunter“, erinnert sich Chris Bürger an den Moment, als er 2013 das erste Mal wieder vor dem Gelände des ehemaligen Stasi-Gefängnisses auf dem Chemnitzer Kaßberg stand. Heute, sieben Jahre später, gibt Bürger den Chemnitzerinnen und Chemnitzer in Führungen einen Einblick in seine Zeit als damaliger Häftling in U-Haft, der wegen Fluchtversuchs ein halbes Jahr lang im DDR-Gefängnisbau inhaftiert war.

Inzwischen wird die damalige Haftanstalt, die zwischen 1963 bis 1989 auch als Drehkreuz für den Freikauf von DDR-Bürgern durch den Westen galt, zu einem dauerhaften Gedenkort ausgebaut. Zu verdanken ist dies vor allem dem großem Engagement der Mitglieder des Vereins Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis.

Unter ihnen ist auch Chris Bürger. Der heute 64-Jährige ist Zeitzeuge und weiß genau um die Bedeutung des früheren Gefängnisses für die Stadtgeschichte. Mit seiner Arbeit im Verein will er vor allem eins erreichen. Er will den Menschen verdeutlichen, dass so etwas nie wieder passieren dürfe. Die Erfahrungen haben ihn stärker gemacht, wie er sagt. Umso stolzer macht es ihn, dass nun eine Gedenkstätte entsteht. Um genau zu sein, bis 2022 wird das Haftanstaltsgelände ausgebaut. Rund vier Millionen Euro haben Bund und Land sowie die Stadt Chemnitz nun zugesichert. Anlässlich dazu besuchte die sächsische Kulturministerin Barbara Klepsch am Dienstag die Baustelle am Gedenkort.

Bis 2021 soll auf einem Teil des ehemaligen Haftanstaltsgeländes auf dem Kaßberg eine Gedenkstätte errichtet werden. Auf dem restlichen Areal entsteht ein Wohnkomplex. „So entsteht ein Ort zum Wohnen und Gedenken gleichermaßen“, wie Jürgen Renz erklärt. Jahrelang habe der Vereinsvorsitzende für den Erhalt des ehemaligen Stasi-Gefängnisses als Lern- und Gedenkort gekämpft. „Es waren viele Gespräche mit der Stadt und der Landesregierung nötig, um das Gelände als Erinnerungsstätte für das ehemalige Gefängnis erhalten.“ Seit dem Zusammenbruch der SED-Diktatur übernahm der Freistaat Sachsen die Gefängnisanlage und führte sie bis 2010 als Justizvollzugsanstalt weiter. Danach sollte die Liegenschaft verkauft werden. Daraufhin gründeten engagierte Bürgerinnen und Bürger im November 2011 den Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis e.V., um am geschichtsträchtigen Gefängnisbau eine Gedenkstätte zu etablieren. „Ein Ort, der a für nachfolgende Generationen erhalten bleiben soll“, betont Renz.

Für den Verein eine große Herzensangelegenheit, die inzwischen millionenschwer ist. Denn die Bauarbeiten für die Umgestaltung des Geländes laufen bereits auf Hochtouren nachdem das Chemnitzer Immobilienunternehmen Cegewo dieses vom Freistaat abkaufte. Während auf einem Großteil des abgerissenen Haftkomplexes moderne Wohnungen entstehen, soll mit Erlaubnis des Eigentümers am früheren Haftblock B ein entsprechender Rundgang über das Gefängnisareal samt Ausstellung im Inneren gestaltet werden. Der Rest wird zu einem Verwaltungskomplex umgebaut, woran sich auch ein Gerichtsgebäude anschließen wird.

Wie Jürgen Renz am Dienstag außerdem mitteilte, konnte für die Nutzung eines Teils der Anlage als Gedenkstätte ein 25-Jahresmietvertrag unterschrieben werden. Auch die Stadt Chemnitz will die Fördermittel für das Vereinsvorhaben weiter anheben. „Ein wichtiger Schritt“, wie Renz betont. „Besonders bei der Chemnitzer Bewerbung um den Titel Europäische Kulturhauptstadt 2025 ist es ebenso wichtig, auch in die dunklen Kapitel einer Stadt blicken zu können.“

Und trotz Corona bleibt die Vereinsarbeit nicht still. Aktuell wird ein Zeitzeugenarchiv erstellt, das später auch in der Ausstellung eine Rolle spielen soll. Zudem zählte das Gefängnis auch als die größte Abschiebehaftanstalt in der DDR. Etwa 33.000 politische Gefangene wurden von 1963 bis 1989 freigekauft und verließen so den Osten Deutschlands. Zuvor kamen sie für vier bis sechs Wochen in eine, wie es Chris Bürger auch nennt, „Peppelanstalt“, wo sie z.B. von einem Arzt untersucht wurden oder verschiedene Arbeiten, wie u.a. Schweinezucht oder KfZ-Dienste übernahmen bevor sie eines Tages nachts in einen Bus stiegen und wegfuhren. „Beinahe wie in einem James-Bond-Film, wurden die Kennzeichen am Fahrzeug umgeklappt sobald man den Osten verließ“, erzählt das Vorstandsmitglied. Insgesamt 3,4 Milliarden West-Mark flossen durch die Freikäufe in die Kasse des SED-Regimes…

Text: Judith Hauße

Fotos (3): Judith Hauße