Start Chemnitz "StVO-Novelle wird viele Autofahrer zu Fußgänger machen"
Artikel von: Judith Hauße
29.04.2020

“StVO-Novelle wird viele Autofahrer zu Fußgänger machen”

Franz Thomas Pfeifer, Rechtsanwalt für Verkehrsrecht im Gespräch zur neuen StVO-Novelle. Foto: Pfeifer & Kollegen

Fast unbemerkt und doch inzwischen spürbar auf den Straßen: Seit Dienstag gelten auf Deutschlands Straßen die Änderungen der bereits im Februar vom Bundesrat verabschiedeten Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO). Während u.a. der Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sowie der Auto Club Europa e.V (ACE) das neue StVO-Papier lobt, führen die modfizierten Regeln nicht bei allen zu großen Jubelsprüngen.

Vor allem für Autofahrer bringt der verschärfte Bußgeldkatalog bei verkehrssicherheitsrelevanten Verstößen einige harte Sanktionen mit sich. So führt bereits innerorts eine Geschwindigkeitsüberschreitung ab 21 km/h schnell mal zu einem einmonatigen Führerscheinentzug, außerorts ab 26 km/h. Weitreichende Strafen gibt es zudem auch für Rettungsgassen-Sünder sowie falsches Halten und Parken auf Geh- und Radwegen. Darüber hinaus schmücken neue Verkehrsschilder die Straßenränder.

WochenENDspiegel hat mit Franz Thomas Pfeifer, Fachanwalt für Verkehrsrecht über das neue StVO-Papier gesprochen.

Zuletzt wurden einige Teile des Bußgeldkatalogs im Jahr 2014 geändert. Wie sinnvoll schätzen Sie die aktuellen Erhöhungen ein? Wären einige Erhöhungen viel eher nötig gewesen?

Die drastischen Erhöhungen der Bußgelder sind teilweise mehr als berechtigt. Obwohl wir in Deutschland mit die höchsten Löhne innerhalb der EU haben, liegen wir bei der Höhe der Bußgelder am Ende. Teilweise sind die Verwaltungskosten um ein mehrfaches höher als das bislang verhängte Bußgeld wenn z.B. bei einem Parkverstoß Verwarngelder in Höhe von 10,00 oder 15,00 € fast schon zum Nichtbedienen der Parkuhr motivieren, weshalb zu Recht die Mindestsanktion auf 20,00 € erhöht wurde. Zu begrüßen ist auch, dass unnützes Hin- und Herfahren mit Belästigung anderer sowie unnötige Lärm- und Abgasbelästigung auf 100,00 bzw. 80,00 € angehoben wurde.

Auch die Unsitte, dass manche Fahrradfahrer in Chemnitz öfter den Gehsteig als die Fahrbahn benutzen und nicht nur die Fußgänger gefährden, wird nunmehr mit 55,00 €, bei Gefährdung sogar mit 80,00 € sanktioniert. Hier hat der Gesetzgeber viel zu lange ein Auge zugedrückt. Generell zu kritisieren ist allerdings, dass sich Verkehrsminister Scheuer mit dieser Novelle als Fahrradverkehrsminister profilieren will. Verkehrsrowdys auf dem Fahrrad nur beim Rotlichtverstoß einen Punkt bekommen. Während der Fahrer eines Elektromotorrollers, bei einem Alkoholdelikt die gleichen Sanktionen wie ein Autofahrer zu befürchten hat, wird es für den E-Fahrradfahrer erst ab 1,6 Promille ernst (MPU!).

Sie sagen “Die Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) 2020 wird viele Autofahrer zu Fußgängern machen” – Wie ist das zu verstehen?

Durch Herabsetzen der Werte, bei denen eine Geschwindigkeitsüberschreitung mit einem Fahrverbot sanktioniert wird, wird es eine Vervielfachung der Fahrverbote geben – dies häufig zu Unrecht. Wer in der Stadt ein Tempo-30-Schild übersieht und mit 51 km/h geblitzt wird, ist kein unverantwortlicher Raser, der mit einem oft existenzbedrohenden Fahrverbot sanktioniert werden müsste. Auch ein Abbiegeverstoß mit Gefährdung wird in Zukunft nicht nur 140,00 € kosten.

Wer beim Rechtsabbiegen übersieht, dass von hinten ein Radfahrer herangerast kommt, wird zusätzlich mit einem Fahrverbot bestraft. Mehr als bedenklich ist, dass behinderndes Parken nicht nur 80,00 € kostet, sondern auch 1 Punkt eingetragen wird, was bei manchen Bewohnern des Kaßbergs, die abends als Letzte einen Parkplatz suchen, zu einem schnellen Anstieg des Punktekontos führen wird.

Sollte sich eventuell nicht auch die Kontrolldichte erhöhen, um das neue System wirkungsvoller zu machen? Ihre Meinung?

Im Hinblick darauf, dass viele Delikte neu mit Punkten bestraft werden, wie z.B. Halten auf dem Radweg, Halten in 2. Reihe, behinderndes Parken, Parken auf dem Gehweg, Fehler beim Abbiegen bzw. direkt mit einem Fahrverbot als Regelgeldbuße sanktioniert werden, ist der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid unabdingbar. Das Bundesverfassungsgericht fordert, dass das “Fahrverbot in aller Regel erst bei wiederholter hartnäckiger Missachtung der Verkehrsvorschriften zur Anwendung gebracht werden kann und dass eine einmalige Zuwiderhandlung nur dann zum Anlass für die Anordnung eines Fahrverbots genommen werden darf, wenn sich der Betroffene besonders verantwortungslos verhalten hat”.

Wer auf einer Bundesstraße innerorts ein Tempo-30-Schild übersieht und mit 51 km/h geblitzt wird, handelt meines Erachtens nicht besonders verantwortungslos. Hinzu kommt: Bei Erreichen von 8 Punkten erfolgt durch die Verwaltungsbehörde der Entzug der Fahrerlaubnis. Erst nach Ablauf einer Frist von 6 Monaten und bestandener Medizinisch-Psychologischer Untersuchung (Idiotentest) wird wieder ein neuer Führerschein erteilt. Ein Vielfahrer, der existenziell auf die Fahrerlaubnis angewiesen ist, sollte daher die Rechtmäßigkeit des Bußgeldbescheides überprüfen lassen.