Start Mittelsachsen Suchtbericht: Erschreckend hohe Dunkelziffer
Artikel von: Uwe Wolf
28.06.2016

Suchtbericht: Erschreckend hohe Dunkelziffer

Sucht und Abhängigkeit führen zu einem sozialen Abschwung und zum körperlichen Verfall. Eine Betroffene nehmen Hilfe an, doch die Dunkelziffer derer, die Hilfe ablehnen, ist erschreckend hoch. Foto: Paul-Georg Meister_pixelio.de
Sucht und Abhängigkeit führen zu einem sozialen Abschwung und zum körperlichen Verfall. Einige Betroffene nehmen Hilfe an, doch die Dunkelziffer derer, die Hilfe ablehnen, ist erschreckend hoch. Foto: Paul-Georg Meister_pixelio.de

Landkreis. Die Suchtstatistik des Kreises Mittelsachsen für 2015 gibt keine Entwarnung. Die Zahlen im Bericht zeigen zwar einen leichten Rückgang an, doch der Schein trügt. “Es sind nur die Fälle, die von den drei Suchtberatungsstellen des Kreises und vom Fachkrankenhaus für Suchtmedizin “Bethanien” in Hochweitzschen registriert werden”, sagte Dr. Med. Andreas Prokop, Referatsleiter amtsärztlicher und sozialpsychiatrischer Dienst im Landratsamt. “Es sind die Fälle, wo die Betroffenen unsere Hilfsangebote in Anspruch nehmen wollen. Aber es gibt eine hohe Dunkelziffer. Die Zahlen sind relativ konstant. Aber es gibt noch viel mehr Kranke. Es ist schon beängstigend.”

Allein 1294 Fälle von Alkoholismus wurden 2015 erfasst. Dazu kommen unter anderem noch 585 Fälle von Nikotinsucht, 439 Fälle von Sucht durch Stimulanzien und 38 Fälle von pathologischen Spielens und 108 Suchtfälle durch Cannabinoide. “Unser Hauptproblem sind die die Leute zwischen 18 und 45 Jahren”, so Dr. Prokop. “Gerade die Alkoholsucht hat noch immer einen hohen Stellenwert. Zwar ist der Alkoholkonsum allgemein zurück gegangen aber bei der Zahl der abhängig Kranken ist diese Entwicklung noch nicht angekommen.

Wie Dr. Ulrike Ernst, Chefärztin der Klinik für Suchtmedizin des Fachkrankenhauses “Bethanien”, sagte, sind im stationären Bereich 52 Prozent Alkoholkranke und 48 Prozent Drogenabhängige registriert. Bei den Drogen dominiere mit 95 Prozent Crystal. “Speed und Extasie sind fast weg vom Markt und Kokain ist für viele zu teuer”, so die Chefärztin. “Heroinabhängige gibt es kaum noch, den viele sind auf das viel billigere Crystal umgestiegen.”

Das Crystal so beliebt ist hat seinen Grund nicht nur im günstigen Preis. Laut Ulrike Ernst garantiert es beim ersten Genuss einen schönen Rausch. “Das ist zu 100 Prozent so. Bei anderen Drogen haben sie das nicht. Da kann es zu Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen oder gar zur Vergiftung kommen”, sagte die Chefärztin. “Bei Crystal gibt es zu 100 Prozent beim ersten Konsum einen schönen Rausch.” Den wollen dann viele wieder erleben, womit die Sucht ihren Verlauf nimmt.

Bei den Drogen abhängigen sind ein Drittel Mädchen und zwei Drittel Jungen. Bei den Alkoholabhängigen sind zehn Prozent Frauen und 90 Prozent Männer. “Erschreckend ist, dass 70 Prozent der Frauen Mütter sind und davon schon 40 Prozent ihre Kinder freiwillig weggegeben oder entzogen bekommen haben”, sagte Ulrike Ernst. Laut ihren Worten gibt es auch schwangere Crystalpatientinnen. Zunehmend werden auch drogenabhängige Mütter stationär aufgenommen, die gerade erst entbunden haben. Die Chefärztin findet es auch erschreckend, dass jeder dritte Drogenpatient seine Therapie abbricht oder disziplinarisch entlassen wird.

Wichtig ist aber, dass die Betroffenen erst einmal Hilfe wollen und annehmen. Allerdings sind das nur wenige. “Es gibt zum Beispiel in Döbeln und Mittweida Szenetreffs von Leuten, die keine Beratung wollen”, erklärte Matthias Gröll, Psychiatriekoordinator im Landkreis Mittelsachsen. “Das sagen die Kollegen aus den Beratungsstellen.” Nicht jeder wolle die Beratung in Anspruch nehmen. Doch jene, die eine Beratung gebrauchen können, sind viele. Laut Gröll sind die Jugendlichen unter 18 ein Problem. Es gibt ein anhaltend hohes Niveau bei den Behandlungsfällen.

Im Kommen ist die Spielsucht. Vor allem das Online-Spielen nimmt zu. Viele nehmen an weltweiten Spielen teil und vergessen die reale Welt um sich. “Es gibt Fälle, da wird dann die Notdurft am Computer verrichtet oder es wird das Essen vergessen”, schilderte Prokop einige krasse Beispiele. Es werde zum Teil alles vernachlässigt. Im Spiel habe man Erfolg, finde Freunde, finde Anerkennung und könne Konkurrenten ausschalten. Am realen Leben gehe das alles vorbei. uw