Start Erzgebirge Unverständnis für zunehmende Abholzungen
Artikel von: Andre Kaiser
28.03.2024

Unverständnis für zunehmende Abholzungen

Dieses Bild zeigt den besagten Walsabschnitt. Foto: Thomas Mey
Dieses Bild zeigt den besagten Walsabschnitt. Foto: Thomas Mey

“Kahlschläge wohin das Auge schaut”

Themalbad Wiesenbad. Mitte Februar erreichte uns ein Brief einer Leserin, in dem sie uns unter anderem auf massive landschaftliche Veränderungen in der Gemeinde aufmerksam machte.

Unter anderem schrieb sie: „…mit Entsetzen habe ich gesehen, dass in Wiesenbad und Umgebung fast alle Bäume gefällt worden sind. Es gab einen wunderbaren Weg vom Kurhaus über den Blutwurstfelsen bis hin zur Brücke über die Zschopau und dann weiter bis zur Eisenbahnbrücke Richtung Neundorf. Dort standen herrliche alte Bäume am Weg, die ihre Äste wie ein Dom über den Weg spannten und im Sommer angenehmen Schatten spendetet. Für mich, meine Familie und Freunde war dies ein magischer Ort, zu dem es uns immer wieder hingezogen hat. Und jetzt? Die gesunden, über hundert Jahre alten Bäume entlang des Talweges wurden allesamt gefällt. Der Weg ist zudem durch riesige Maschinen völlig zerfahren und unpassierbar. Der Boden ist für Jahrzehnte verdichtet, weil auch bei aufgeweichten Böden rücksichtslos schwere Maschinen eingesetzt werden. Andernorts denkt man da weiter und benutzt wieder Rückepferde und Baumseilzüge, um Bäume zu entnehmen. Kahlschläge sind überwiegend verboten, wenn vermeidbar. Leider habe ich schon oft von Mitarbeitern des Sachsenforst gehört: Waldwege sind keine Wanderwege, sondern vorrangig Wirtschaftswege, Tourismus und Naherholung sind sekundär. Auch in den Waldgebieten rings um Wiesenbad entlang der Straße bis Neundorf das gleiche Bild. Kahlschläge wohin das Auge schaut. Für Naturfreunde ist dieser Anblick apokalyptisch! Ich kann mir NICHT vorstellen, dass die Bäume komplett krank waren oder durch die Stürme der letzten Jahre zerstört wurden“.

Bürgermeister reagiert auf Schreiben

Dem Anliegen unserer Leserin nahmen wir uns an und fragten bei Thomas Mey, dem Bürgermeister der Gemeinde nach. Dieser weiß um die Situation. Dem WochenENDspiegel sagte er, dass es sich bei eingangs besagtem Gebiet um ein privates Grundstück handelt, wo man seit zwei Jahren massiv mit Borkenkäfern zu kämpfen hat, welche viele der Bäume befallen haben. „Es war praktisch unumgänglich“, so das Gemeindeoberhaupt.

„Sicher wäre es der Eigentümerin auch lieber gewesen, die Bäume stehen zu lassen. Aber wenn die Forstbehörde den Befall von Borkenkäfern feststellt und die Besitzer auffordert, die Bäume zu entnehmen, dann gibt es keinen Spielraum, zumal auch immer eine Verkehrssicherheitspflicht besteht“. Grundsätzlich müsse man diesbezüglich aber auch die Gesamtsituation betrachten. „Kurz zusammengefasst: Borkenkäfer machen die Bäume krank, milde Winter sorgen für Instabilität im Erdreich und die mit jedem Jahr zunehmenden Fallwinde, speziell in unserer Tallage, sorgen für eine reale Gefahr, dass die alten Riesen irgendwann nachgeben. All das hat dazu geführt, dass die Bäume entnommen werden mussten, schon allein der Sicherheit wegen“. Dass dabei auch der Wanderweg in starke Mitleidenschaft gezogen wurde, ist dem Bürgermeister zufolge dem milden Winter und dem damit einhergehenden frostfreien Boden geschuldet, wo die schweren Maschinen, die zur Entnahme der Bäume notwendig waren, mehr oder weniger einsackten.

„Wie solch eine Fällung vonstatten geht, darauf haben wir als Gemeinde keinen Einfluss, da es sich, wie bereits gesagt, um ein Privatgrundstück handelt. Wir sind hier aber bereits im Gespräch mit der Besitzerin. Uns als Kurort ist natürlich daran gelegen, den Weg für Wanderer wieder anzurichten. Hierbei appelliere ich aber an unsere Bürgerinnen und Bürger, sich noch etwas in Geduld zu üben. Unser Ziel ist es, den Weg bis zum Beginn der Wandersaison Ende Mai wieder herzustellen“.

Der Bürgermeister abschließend: „Allgemein hat sich das Bild unserer Natur aufgrund der neuen klimatischen Gegebenheiten und den daraus resultierenden Maßnahmen zum Waldumbau in den letzten Jahren massiv verändert, keine Frage. Ich bin aber nach wie vor der Überzeugung, dass dieser stattfinden muss. Grundsätzlich sollte man immer die drei großen Funktionen des Waldes (Schutzfunktion, Erholungsfunktion und Nutzfunktion) und deren Einklang miteinander berücksichtigen. Dies wird von den verschiedenen Nutzerkreisen leider nicht immer gleich wahrgenommen und führt dadurch zu Verstimmungen. Was unsere Gemeinde betrifft, habe ich den Eindruck, dass die Transformation bereits fortschreitet. Besonders gut beobachten kann man dies vom Schokoladenfelsen aus. Von hier hat man einen wunderbaren Blick auf die Region und sieht, wie sehr sich die Natur bereits wieder erholt hat. Ich kann nur jedem empfehlen, unsere Gemeinde zu besuchen und sich von der Aussichtsplattform aus selbst ein Bild zu machen“.

Leserbrief

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit Entsetzen habe ich gesehen, dass in Wiesenbad und Umgebung fast alle Bäume gefällt worden sind.
Es gab einen wunderbaren Weg vom Kurhaus über den Blutwurstfelsen bis hin zur Brücke über die Zschopau und dann weiter bis zur Eisenbahnbrücke Richtung Neundorf. Dort standen herrliche alte Bäume am Weg, die ihre Äste wie ein Dom über den Weg spannten und im Sommer angenehmen Schatten spendetet. Für mich, meine Familie und Freunde war dies ein magischer Ort, zu dem es uns immer wieder hingezogen hat.

Und jetzt? Die gesunden, über hundert Jahre alten Bäume entlang des Talweges wurden allesamt gefällt. Der Weg ist zudem durch riesige Maschinen völlig zerfahren und unpassierbar. Der Boden ist für Jahrzehnte verdichtet, weil auch bei aufgeweichten Böden rücksichtslos schwere Maschinen eingesetzt werden. Andernorts denkt man da weiter und benutzt wieder Rückepferde und Baumseilzüge, um Bäume zu entnehmen. Kahlschläge sind überwiegend verboten, wenn vermeidbar. Leider habe ich schon oft von Mitarbeitern des Sachsenforst gehört: Waldwege sind keine Wanderwege, sondern vorrangig Wirtschaftswege, Tourismus und Naherholung sind sekundär.

Auch in den Waldgebieten rings um Wiesenbad entlang der Straße bis Neundorf das gleiche Bild. Kahlschläge wohin das Auge schaut. Für Naturfreunde ist dieser Anblick apokalyptisch! Ich kann mir NICHT vorstellen, dass die Bäume komplett krank waren oder durch die Stürme der letzten Jahre zerstört wurden. Diese Argumente (Pilz, Borkenkäfer, Verkehrssicherheit) werden üblicherweise vorgebracht, um rigorose Kahlschläge und Fällungen alter Bäume, zum Beispiel auch im Stadtgebiet Annaberg, zu begründen. Die Stümpfe der alten Lärchen am anfangs beschriebenen Weg sahen gesund aus, völlig ohne Pilz- oder Käferbefall.

Und selbst wenn es kranke oder umgefallene Bäume gibt, die Natur hilft sich selbst und braucht den Menschen nicht zur Regeneration. Der beste Beweis ist die Sächsische Schweiz und Teile des Harzes, wo geschädigte Waldabschnitte zum Teil einfach so belassen wurden. Dort bildet sich nach kurzer Zeit neues Leben, das Totholz dient als Nährstofflieferant für junge Bäume und fördert gleichzeitig die Artenvielfalt. Zugleich werden enorme Kosten für Fällung, Beräumung und Neuanpflanzung gespart.
Die wesentlichen Erkenntnisse der letzten Jahre haben sich offensichtlich noch nicht bis zum Forstbetrieb Sachsenforst herumgesprochen, leider. Es stehen offensichtlich überwiegend monetäre Interessen der Holzverwertung im Vordergrund, obwohl die Bilanz unterm Strich negativ ausfallen dürfte (Kosten für Fällung, Beräumung und Neuanpflanzung versus Holzverkauf). Gleiche überholte Methoden gelten übrigens auch für die Jagd, die ebenfalls in den Verantwortungsbereich des Sachsenforst fallen.

Das Szenario, welches nun bei den immer häufigeren Starkregenergeignissen zu befürchten ist, sind Bodenerosion und Erdrutsche vor allem in den Hangbereichen sowie eine weitere Zunahme von Überschwemmungen. Wahrscheinlich muß erst so etwas passieren, bis die Verantwortlichen aufwachen! Es wird Jahrzehnte dauern, bis dort wieder ein stabiler Bewuchs den Boden halten kann. Außerdem fallen wieder Waldflächen als Wasser- und CO2-Speicher aus, und das geschieht leider überall auf der Welt, ungeachtet des mittlerweile unübersehbaren Klimawandels.

Man nimmt an, daß in einem Land wie Deutschland solche Entscheidungen verantwortungsvoll und von Fachleuten getroffen werden, die zumindest mit den einfachsten Zusammenhängen in der Natur vertraut sind. Außerdem sollten vor so weitreichenden Maßnahmen auch die Bewohner der Region ein Mitspracherecht haben. Weit gefehlt! Die Abholzungen werden Jahr für Jahr drastischer und zerstören auch noch die letzten natürlichen Refugien, und das vor allem in Sachsen. In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern dagegen findet man tatsächlich noch sehr alte Bäume und Alleenstraßen, die geschützt werden und nicht dem wachsenden Straßenverkehr zum Opfer fallen. Dort gibt es ein Tempolimit und umfangreiche Maßnahmen, um die alten Riesen zu stützen und möglichst lange zu erhalten. Der Tourismus und die Erhaltung und Wiederherstellung von Natur und Ökosystemen haben dort offensichtlich einen höheren Stellenwert als in unserem Bundesland.

Ich weiß nicht, wer für den konkreten Fall verantwortlich ist, möchte aber als Bürgerin meinen vehementen Protest gegen solche Machenschaften zum Ausdruck bringen. Ein Stück Lebensqualität ging dadurch unwiederbringlich verloren. Auch unter Touristen und Kurgästen von Wiesenbad wird sich das herumsprechen und die Region zukünftig als unattraktiv gemieden werden. Diese nachfolgenden finanziellen Einbußen sollten zukünftig in die monetären Überlegungen der Verantwortlichen mit einfließen.

Eine kurze Stellungnahme bzw. Weiterleitung meines Statements wäre wünschenswert.
Ich informiere mit gleichem Schreiben auch die örtliche Presse mit der Bitte um Veröffentlichung als Leserbrief.

Dr. Evelyn Schuster
im Namen vieler fassungsloser Bürger