Start Erzgebirge Ursula von der Leyen im Interview
Artikel von: Sven Günther
17.07.2019

Ursula von der Leyen im Interview

2017 besuchte Ursula von der Leyen auf Einladung des CDU-Bundestagsabgeordneten Marco Wanderwitz (Stollberg) das Erzgebirge, gab dem Wochenendspiegel ein exklusives Interview. Foto: C. Bergau

Kaffee ohne Klatsch mit Ursula von der Leyen

Von Sven Günther
Gornsdorf. Aber bitte mit Sahne? Nein! Sahne gab es nicht. Aber es war angerichtet in der spektakulären Villa Weilbach. Weißes Porzellan auf weißen Tischdecken, Kuchen und Fruchtschnittchen fein drapiert. Kaffee. Kreierte Servietten. Frauen in Führungspositionen aus dem Wahlkreis Erzgebirge II/Chemnitzer Land warten auf die Bundesverteidigungsministerin und CDU-Vize-Bundeschefin Ursula von der Leyen.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz hatte die Spitzenpolitikerin zum Treffen mit Spitzenfrauen aus der Region geladen.

Die Ministerin kam pünktlich. Ursula von Leyen. Feingliedrig, elegant. Hellrosa Blazer, weiße Bluse, schwarze Hose, samtdunkle Stiefeletten. Keine Kette, dezente Ohrringe. In der Diskussion mit den Frauen? Klartext! Kein Thema wird ausgespart. Trump, Nordkorea, Technik, Familie. Auch die Problematik, dass nur 6 Prozent Frauen in wichtigen Vorständen sitzen, spricht die Ministerin an, erntet Applaus, Kopfnicken.
Obwohl mit Kampfeinsätzen, Militärtechnik und Einsatzplänen befasst, sind ihr, der ehemaligen Familienministerin, genau die Familien wichtig. Sie plädiert für Ganztags-Kinderbetreuung, weniger Steuern für kinderreiche Familien, ein Baukindergeld von 1200 Euro pro Kind und Jahr zehn Jahre lang. Und sie erklärt die Sinnhaftigkeit der Bundeswehreinsätze. Ursula von der Leyen: „Wir sind in Mali. Davon trennen und genau zwei Länder. Libyen und Frankreich.“
Sie, Ursula von der Leyen, weiß: Auch die Bundeswehr braucht intakte Familien, wirbt für die Armee als Arbeitgeber mit Perspektiven, gute Aufstiegschancen. Verantwortung.

Aktuell freut sich darüber, dass Bundestagsabgeordnete im Rahmen der NATO den Stützpunkt Konya in der Türkei besuchen dürfen. Auch auf die Frage, ob es nicht ein moralisches Problem sei, erst um die talentiertesten jungen Menschen in Deutschland zu werben, die dann womöglich in den Krieg geschickt werden, hat sie eine Antwort. Ursula von der Leyen: „Das ist das Besondere und das Schwierige am Beruf des Soldaten. Man lernt früh, Verantwortung zu übernehmen, verteidigt das Recht auf Freiheit.“
Aber sie sieht auch die Risiken, verweist darauf, dass jeder Einsatz vom Bundestag verantwortungsvoll genehmigt werden muss. Und darauf, dass in die Bundeswehr investiert werden muss. Auch deshalb ist ihr wichtig, dass neben Heer, Luftwaffe und Marine eine Cyber-Spezial-Truppe gebildet wird. 13500 Mann stark, die in München jetzt auch einen eigenen Studiengang mit 13 Professoren bekommt. Die Ministerin: „Wir müssen unser sensible Technik zu schützen wissen.“
Cyberexperten bei der Bundeswehr, die in Ausnahmefällen, wie Angriffen auf wichtige Ziele im Inland, auch dort eingesetzt werden könnten.

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 Frauen in der Bundeswehr im Namen der Gleichberechtigung und alle Gutmenschen klatschen nicken Applaus. Ist es in Wirklichkeit nicht so, dass Frauen nicht in der Lage sind, die komplexen und körperlich extremen Aufgaben eines Soldaten zu erfüllen, mehr Aufwand (separate Unterkünfte, Sozialtrakts, Probleme mit Übergriffen, Frauenbeauftragte, Mutterschutz etc.) verursachen?

Ursula von der Leyen
Eine Frage aus dem letzten Jahrhundert! Die Bundeswehr macht als moderne Armee keine Unterschiede, sie will die besten. Die schlagkräftigsten Armeen der Welt sind heute diejenigen, in denen Frauen voll integriert sind. Schauen Sie auf die USA, schauen Sie nach Israel. Dazu kommt, dass es auch im Soldatenberuf immer weniger auf Muskelkraft als schnelle Auffassungsgabe und kluges besonnenes Vorgehen ankommt. Deswegen werben wir um die besten Köpfe und Hände jeder Generation.

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Beim Nato-Gipfel 2014 in Wales wurde ein Richtwert von zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes beschlossen, der für die Verteidigung auszugeben ist. Wie hoch ist der Prozentsatz in Deutschland aktuell? Warum unterschreibt Deutschland ein Zwei-Prozent-Ziel, wenn es völlig unrealistisch ist?

Ursula von der Leyen:
Die zwei Prozent sind nicht nur erstmals 2002 in der NATO als Richtgröße versprochen worden – übrigens mit Zustimmung einer rotgrünen Bundesregierung. Sie machen auch unabhängig davon Sinn. Jeder hat mitbekommen, dass sich die Sicherheitslage leider deutlich verschärft hat. Die 1,26 Prozent, die wir heute investieren, sind auf Dauer zu wenig. In der Bundeswehr, die seit der Wiedervereinigung immer weiter geschrumpft wurde, hat sich ein enormer Modernisierungsbedarf aufgestaut. Das war ein langer Prozess, der nicht über Nacht umgedreht werden kann.
Gleichzeitig wurde die Bundeswehr in den letzten Jahren intensiv in neuen Einsätzen gefordert. Obwohl wir gespürt haben, dass die Decke beim Personal und Material äußerst eng gestrickt ist, haben wir die Verantwortung angenommen – etwa bei der NATO-Speerspitze, bei der Ausbildung der Peshmerga gegen den brutalen IS oder bei der UN-Friedensmission in Mali. Die Soldatinnen und Soldaten haben jedoch auf Dauer einen Anspruch darauf, gut ausgerüstet zu sein, wenn das Parlament sie vermehrt in Einsätze schickt. Deswegen habe ich mich so für die Trendwenden eingesetzt. Wir haben in dieser Legislaturperiode über 30 Milliarden Material beauftragt, das jetzt nach und nach kommt; fünfmal so viel wie in der Zeit davor.

WochenSpiegel Erzgebirge:
Investitionen scheinen dringend geboten. In den Medien hört man ständig von Mängeln: bei Gewehren, bei Hubschraubern, bei Kampf-Jets, bei U-Booten… Hat die Politik die Bundeswehr zu einem, überspitzt formuliert, militärischem Schrotthaufen verkommen lassen? Oder berichten die Medien, um Sarazin zu folgen aufgrund eines Hanges zum 68-er respektive zu linkem Gedankengut, einseitig?

Ursula von der Leyen:
Die Bundeswehr hat selbst einen riesigen Nachholbedarf. Wir haben Funkgeräte und Fregatten aus den 80er Jahren oder eine Lkw-Flotte aus den 70er Jahren, die dringend ersetzt werden müssen. Nicht zu sprechen von der Digitalisierung und den neuen Aufgaben in der Cyberabwehr. Es ist gut, dass das Budget jetzt deutlich steigt. Was wir brauchen ist Modernisierung – und zwar über einen längeren Zeitraum. Auch die eigenständigere Rolle Europas in der Verteidigung wird Investitionen in die Bundeswehr erfordern. Aber es geht ja nicht zuletzt um die Sicherheit der Menschen und den Erhalt der Friedensordnung, von der gerade Deutschland so lange profitiert hat.

 

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 Die Debatte um das Traditionsverständnis der Bundeswehr kratzt am Image der Truppe. Auf der Bundeswehr-Homepage heißt es salbungsvoll: “Ziel ist es, dabei grundsätzlich zu prüfen, ob die Benennungen der Kasernen sinnstiftend im Sinne des Traditionsverständnisses der Bundeswehr sind, oder ob eine Umbenennung von Kasernen zu erfolgen hat. Genügt bei Namen wie Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne oder Marseille-Kaserne (benannt nach Hans-Joachim Marseille, einem deutscher Jagdflieger und Offizier im Zweiten Weltkrieg, d. Red) nicht ein kurzer Befehl: Umbenennen!

Ursula von der Leyen
“Ich finde die aktuelle Diskussion inner- und außerhalb der Truppe zu wichtig, um sie per Ukas von oben abzuwürgen. Kasernennamen sind ja auch nur ein Teilaspekt. Es ist erst einmal wichtig, zwischen Geschichtsbewusstsein, historischer Bildung und bewusster Tradition zu unterscheiden. Um die geht es hier. Tradition ist eine bewusste Auswahl, die wir ganz gezielt aus tausenden historischen Geschehnissen und Persönlichkeiten herausgreifen, weil wir sie für besonders sinnstiftend für die heutige Generation von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr halten.
Warum müssen wir dafür auf die zwölf finstersten Jahren deutscher Geschichte zurückgreifen? Wir haben doch inzwischen 62 stolze Jahre Bundeswehrgeschichte: die Armee in der Demokratie, des Kalten Krieges, die Armee der Einheit, die Armee im Einsatz, die heutigen Streitkräfte, die zunehmend multinational denken und kämpfen. Da gibt es eine Fülle wichtiger Ereignisse, tapferer Taten von Bundeswehrsoldaten – auch in harten Gefechten -, die wir viel stärker herausstellen sollten. Diesen Diskussionsprozess haben wir nun innerhalb der Truppe gerade erst begonnen. Ich glaube, dass er den Stolz unserer Soldatinnen und Soldaten auf die eigene Leistung und Geschichte stärkt. Am Ende werden wir dann auch den ein oder anderen Kasernennamen in einem anderen Licht sehen.

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Der Fall der ehemaligen Jägerkaserne Schneeberg beschäftigt die Menschen hier, ihr Parteifreund Günter Baumann hat die Entwicklung als das größte Fiasko in seinen 19 Jahren im Bundestag bezeichnet. Kurz: Für 80 Mio DM saniert, für zwei verkauft, für rund 5 Millionen Euro angemietet, für 14 Millionen zurückgekauft. Sie waren nicht im Amt, als die Schließung befohlen wurde. Haben Sie trotzdem eine Meinung zu dem Fall?

Ursula von der Leyen:
Hätten meine Amtsvorgänger eine Glaskugel gehabt, mit der sie in die Zukunft sehen können, hätten sie mit Sicherheit die ein oder andere Entscheidung anders gefällt. Es hat zu damaligen Zeiten aus damaliger Sicht gute Gründe gegeben. Ich möchte mir darüber kein Urteil anmaßen. Es würde einem Wunder gleichkommen, wenn man in 20 Jahren immer noch mit jeder meiner Entscheidungen einverstanden ist, die ich heute besten Wissens und Gewissens fälle.”

Zum Abschied in Gornsdorf gibt es ein lesenswertes Geschenk für Ursula von der Leyen. Ein Buch von Karl May. Titel: „und Frieden auf Erden“. Keine der leichtesten Lektüren von unserem großen Schreiber. Aber auf Klatsch wurde ja in Gornsdorf trotz Kaffee und Kuchen ohnehin verzichtet…