Start Zwickau Vom Eierwurf bis zum Galgen
Artikel von: Redaktion
10.03.2020

Vom Eierwurf bis zum Galgen

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verdeutlichte am Dienstag im Rathaus: „Deutschland hat ein massives Problem.“ Foto: Alice Jagals

Zwickau. „Ich weiß, wo deine Tochter zur Schule geht.“ Dieser Satz ist eigentlich banal, führt aber dazu, Angst zu bekommen und eingeschüchtert zu werden. Und genau das passiert immer mehr denen, die sich für die Bevölkerung einsetzen. Vordergründig ging es bei der Diskussionsrunde „Gemeinsam gegen Hass und Gewalt – Kommunalpolitiker nicht allein lassen“ um (Ober-)Bürgermeister, Stadträte, Ortsachftsräte. Die Einführungsrede dazu hielt Deutschlands erster Mann im Staat, Frank-Walter Steinmeier. „Es trifft alle, egal zu welcher Religion man angehört oder in welcher Gegend man wohnt. Niemand darf mehr schweigen. Die schweigende Mitte war zu lang ruhig“, sagte er im voll besetzten Ratssaal.

Diskussionsrunde „Gemeinsam gegen Hass und Gewalt“: Frank Vogel, Landrat im Erzgebirgskreis, Vizepräsident des Deutschen Landkreistages und Präsident des Sächsischen Landkreistages, Pia Findeiß, Oberbürgermeisterin der Stadt Zwickau, Roland Gefreiter, ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Schönwald (Brandenburg), Moderatorin Anke Plättner, Andreas Armborst, Leiter des Nationalen Zentrums für Kriminalprävention, Anna-Lena von Hodenberg, Gründerin und Geschäftsführerin der HateAid gGmbH, Markus Hartmann, Oberstaatsanwalt und Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen. Foto: Alice Jagals

So seien es die kommunalen Mandatsträger, die überall, bürgernah und ohne Personenschutz sind. Das mache sie verwundbar. So ist es ein Gesetz, welches nun regele, dass auch sie Personen des öffentlichen Lebens sind, in Kraft getreten. Zuvor brachte die Tatsache, eben keine sogenannte Stellung zu haben, bei den Verleumdern von Zwickaus Stadtspitze Pia Findeiß, ein breites Grinsen ins Gesicht. Sie behaupteten einst, sie beherberge IS-Terroristen in ihrem Haus. Deren Strafmaß wurde dadurch deutlich reduziert.

Generell gäbe es grundlegende Mängel im System, was die Verfolgung rechter Hetze und generellem Hass in die Hände spiele. So werden Anzeigen zu langwierig bearbeitet, aufgrund beschränkter Datenvorratsspeicherung lassen sich anonyme Hetzer nicht mehr ausfindig machen. „Die Provider müssen daher verpflichtet werden, die Daten nicht vorzuenthalten“, sagte Markus Hartmann, Oberstaatsanwalt und Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen. Er war Teil der Diskussionsrunde am Dienstag. Mit ihm diskutierten auch Zwickaus Oberbürgermeisterin Pia Findeiß, Frank Vogel, Landrat im Erzgebirgskreis, Roland Gefreiter, ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Schönwald, Andreas Armborst vom Nationales Zentrum für Kriminalprävention und Anna-Lena von Hodenburg, Gründerin und Geschäftsführerin der HateAid gGmbH.

Letztere sagte, dass es Studien zufolge sogar einen Zusammenhang gebe, zwischen Einsparungen im Bereich der politischen Bildung und einer solchen Hetze. Auch im Publikum wurde deutlich, dass mehr Sozialarbeiter in den Schulen eingesetzt werden müssen. Eine Frau erzählte, ihr Tochter benutzte die Worte „scheiß Türke“. „Von uns Zuhause hat sie das nicht.“
Doch was sollte man neben einem größeren politischen Bildungsangebot und Sozialarbeitern noch tun?

So wünschen sich die Betroffenen mehr Schutz. Auch ein verstärkter Social Media Auftritt und damit eine bessere Vernetzung, könnte sie stärker nach außen hin machen. Die Möglichkeit, „Likes“ zu verteilen, sollte ausgesetzt werden. Ob eine schärfere Gesetzeslage etwas bringe, bezweifelt Andreas Armborst. „Respekt kann man mit Strafrecht nicht erzwingen.“
Und genau das sollte auch die Veranstaltung zeigen. Viele, die sich zu Wort gemeldet haben, bestätigten, dass auch sie Opfer von Hetze sind. Einer berichtete darüber, dass er bereits 25 Morddrohungen im Briefkasten hatte. Ein weiterer erzählte, dass es Neonazis geschafft hätten, dass sich jüdische Politiker in München nicht mehr in der Kommunalpolitik einbringen möchten. Neben Verleumdung und Nachsagen musste es OB Pia Findeiß ertragen, wie ein Stein durch das Fenster ihres Hauses geschmissen oder die Enkelin fotografiert wurde. Hitler-Gruß zeigende Menschen werden freigesprochen, „weil es wahrscheinlich eine versehentliche Bewegung“ gewesen sei.

Das Magazin „Kommunal“ befragte mit Unterstützung des Meinungsforschungsinstituts Forsa 2.494 Bürgermeister zum Thema „Gewalt gegen Kommunalpolitiker“. 64 Prozent derjenigen haben bereits Erfahrung gemacht. Neun Prozent aller Bürgermeister wurden demnach körperlich angegriffen, bespuckt oder geschlagen, weitere 46 Prozent erlebten die Beleidigungen verbaler Art persönlich. Ob öffentliche Räume oder sogar im eigenen Privathaus – wirklich sicher sind Kommunalpolitiker an keiner Stelle, wie die Umfrage zeigt.
Dennoch: Trotz allem Ärger, den Pia Findeiß bereits erlebt habe, ist für sie der Beruf als Oberbürgermeisterin „ein schöner Beruf, der einen auch stark macht.“