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Artikel von: Sven Günther
08.04.2021

Warum wählen wir die 110?

Die Geschichte der Notrufnummer geht ins dritte Reich zurück. Heute klingelt es 332 Mal in jeder Stunde. Foto: ©Dimco – stock.adobe.com

Jeden Tag 332 Notrufe

Von Sven Günther

Region. Das Telefon klingelt in der Polizeizentrale. Eine Frau fleht: ” „Kommen Sie schnell, mein Sohn versucht mit Gewalt in meine Wohnung zu kommen.“ Der Beginn eines Familiendramas in der Chemnitzer Ernst-Heilmann-Straße. Das Opfer hatte die 110 gewählt…

Die 110. Die Nummer, mit der die Polizei im Notfall alarmiert wird. Im letzten Jahr riefen 121.361 Menschen in den Bereichen den PD Chemnitz und Zwickau an, 332 täglich, 13 in jeder Stunde.

Die Nachmittage am Donnerstag und Freitag sowie die Abende/Nächte am Freitag und Samstag sind im Führungs- und Lagezentrum, wo die Anrufe eingehen, besonders notrufintensiv. Im Führungs- und Lagezentrum in Zwickau sind aktuell 25 Beamtinnen und Beamte – aufgeteilt in fünf Dienstgruppen – im Zwölf-Stunden-Schichtsystem im Einsatz. Pro Schicht nehmen also immer vier bis fünf Polizisten Notrufe entgegen.

Bei der Fülle der Anrufe kann es passieren, dass nicht jeder Anruf einen Abnehmer findent. In Chemnitz passiert dies in 4338 Fällen, elfmal am Tag. In Zwickau registrierten die Beamten 2461 nicht angenommene Notrufe. Die Polizisten melden sich in jedem Fall zurück.

Dass die Nummer 110 als Notruf verwendet wird, ist historisch bedingt. Anna Brenner von der Björn-Steiger-Stiftung: “Die dreistelligen Notrufnummern 110/112 gehen ursprünglich auf die im Dritten Reich eingerichteten Servicenummern (Zeitansage, Wetterdienst,…) zurück. Hierfür wurden die Nummern 100-109 verwendet. Als später Notrufnummern eingerichtet wurden, wurde einfach die nächste Nummer 110 gewählt. Die 111 wurde ausgelassen, weil diese Zahlenfolge bei dem damaligen technischen Impulsverfahren eine Störung ausgelöst hätte. Folglich wurde dann noch die 112 verwendet. Die Björn Steiger Stiftung hat Anfang der Siebziger schließlich erreicht, dass diese Nummern gesetzlich in ganz Deutschland einheitlich und für den Notrufenden kostenfrei verankert wurden.”

Ein Fortschritt mit einem traurigen Hintergrund. Der 9-jährige Björn Steiger war 1969 nach einem Autounfall gestorben, weil nicht rechtzeitig ein Krankenwagen vor Ort war. Seine Eltern Ute und Siegfried Steiger setzten sich deshalb mit aller Kraft für den Aufbau eines modernen Rettungssystems (Notrufsäulen, Rettungswagen und -hubschrauber, Leitstellen). 1973 wurde das sogenannte “Notrufsystem 1973” eingeführt, bei dem bundesweit ohne Vorwahl und Gebühren Hilfe gerufen werden konnte.

Noch ein Argument für die Verwendung der 110: Auf der Wählscheibe lagen die 1 und die Null jeweils am Ende des Lochkreises, waren so auch ohne die Zahlen zu sehen leicht wählbar.

Beim Familiendrama in der Chemnitzer Ernst-Heilmann-Straße fanden die Polizisten die Anruferin durch einen Messerstich lebensgefährlich verletzt vor. Ihr Sohn (18) wurde festgenommen.