Start Erzgebirge „Wir haben die Chance, wieder eine Oberschule zu etablieren“
Artikel von: Andre Kaiser
07.07.2020

„Wir haben die Chance, wieder eine Oberschule zu etablieren“

Bürgermeister Harald Wendler zur aktuellen Entwicklung in der Bingestadt Geyer. Fotos: André Kaiser

Geyer. „Landschaftlich reizvoll und historisch interessant“ so wird Geyer auf seiner Homepage beschrieben. Doch die Berg- und Bingestadt hat noch weit mehr zu bieten. Gute Nahversorgung, Bildung, Sport, Vereine, Pflege und vieles mehr sind gute Argumente dafür, sich in dem Ort inmitten des Erzgebirges nieder zu lassen, sowohl für junge Familien, als auch für Senioren. Gute Voraussetzungen also für ein Leben in Geyer. Und dennoch sinkt die Zahl der Einwohner kontinuierlich weiter. Eine Tendenz, die sich laut Bürgermeister Harald Wendler vor allem mit der Schaffung attraktiver Wohngrundstücke eventuell aufhalten lässt. Darüber und über viele andere Themen, wie Bildung, Bauvorhaben und Versorgung, sprach unser WochenENDspiegel-Redakteur kürzlich mit ihm.

Bevölkerungsentwicklung
„Wir verlieren seit Jahren nach wie vor pro Jahr 40 Einwohner. Kurios dabei ist, dass wir bis 31. Mai einen Zuwachs verzeichnen konnten. Dennoch besagt die Prognose, dass die Einwohnerzahl in Geyer innerhalb der nächsten fünf Jahre von aktuell 3.462 auf rund 3.300 weiter sinken wird. Natürlich hoffe ich nicht, dass sich dies bewahrheitet. Wenn sich dieser Trend jedoch bestätigt, kann auch ich ihn nicht aufhalten. Die einzige Möglichkeit, dem entgegen zu wirken, besteht darin, für junge Familien Wohnfläche zu schaffen und attraktive Wohngrundstücke anzubieten. Dies tun wir gegenwärtig. Bisher haben etwa zwölf Familien dahingehend Bedarf angemeldet. Zwei Grundstücke am Bingeweg sind bereits veräußert worden. Der Bebauungsplan für den Standort befindet sich momentan in der Anhörung. So können wir davon ausgehen, dass im Herbst das Baurecht hergestellt ist und wir die Flächen ab dem nächsten Jahr an Interessenten veräußern können.“

Bildung
„Damit verbunden ist natürlich die Schaffung guter Bildungsstrukturen innerhalb des Ortes. Daher haben wir basierend auf der Grundsatzentscheidung von 2014 in den letzten Jahren sehr intensiv in die Modernisierung unserer Kindertagesstätte und unserer Grundschule investiert. Darin liegt auch weiterhin der Schwerpunkt unserer Arbeit. Speziell die Grundschule an sich sowie Außengelände bedarf weiterer großer Anstrengungen, um für die Kleinen bestmögliche Lernbedingungen zu schaffen. Allein die Beschaffenheit des Schulhofes erinnert weniger an die heutige Zeit, sondern vielmehr an die 60er Jahre, als ich noch zur Schule gegangen bin. Dies wollen wir in naher Zukunft angehen, ebenso wie den Bau einer neuen Turnhalle oberhalb des Schulgeländes und die Realisierung eines Außensportgeländes hinter der Halle. Die Baumaßnahmen für die neue Turnhalle sollen noch im Herbst dieses Jahres beginnen und sofern alles reibungslos funktioniert in drei Jahren abgeschlossen sein. Kostenpunkt: In etwa 4,8 Millionen Euro, wovon zwei Drittel förderfähig sind. So schaffen wir zum einen gute Voraussetzungen für den Schulsport, zum anderen für die vielen engagierten Sportvereine in Geyer.“

Der Abriss der alten sogenannten Gerätewerk-Villa. Hier soll in den nächsten Jahren eine neue Oberschule entstehen. Inzwischen steht keine einzige Mauer des Gebäudes mehr.
Foto: André Kaiser

Ein weiterer Meilenstein im Bereich Bildung wurde erst kürzlich bekannt gegeben. Denn der Stadt wurde von einem privaten Träger, dem Institut für Ausbildung (IAJ), in Aussicht gestellt, schon bald wieder eine Oberschule im Ort zu haben. Harald Wendler: „Für den neuen Standort der Bildungseinrichtung hatten wir kurzfristig den Abriss der sogenannten Gerätewerk-Villa auf den Plan gerufen. Dieser kostet uns rund 83.000 Euro. Da wir dafür keine Fördermittel bekommen, müssen wir das aus der eigenen Tasche zahlen. So schaffen wir aber auf dem 3.400 Quadratmeter großen Gelände zeitnah Baufreiheit, so dass das IAJ dann dort die neue Oberschule errichten kann. Als realistisches Ziel für den Rückbau ist dabei Ende Juli avisiert. Nach Informationen des Schulträgers, sollte die Bildungseinrichtung dann voraussichtlich in zwei Jahren in Betrieb genommen werden. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als über den Landkreis im Rahmen der Schulnetzplanung unsere Staatliche Mittelschule geschlossen wurde und an die Verärgerung der Eltern, die dieser Entschluss 2004 mit sich brachte. Jetzt haben wir die Chance, wieder eine Oberschule mit Profil in Geyer zu etablieren, was nicht nur mich persönlich unheimlich freut. Auch viele Eltern, mit denen ich bisher ins Gespräch kam, begrüßen diese hoch erfreuliche jüngste Entwicklung. Und ich weiß jetzt, dass meine damalige Entscheidung, mich für eine 2. Wahlperiode zur Verfügung zu stellen, richtig gewesen ist, da ich jetzt als Bürgermeister diese Entscheidung für eine neue Oberschule in Geyer treffen konnte. Für solche Entscheidungen braucht es allerdings auch starke Partner, die diese mittragen. Das ist eine wesentliche Voraussetzung. In Geyer wird sowohl in der Verwaltung, als auch im Stadtrat eine richtig tolle Arbeit geleistet und an einem Strang gezogen. Dafür bin ich sehr dankbar. Denn nur in Einheit kommen wir voran.“

Reges Bautreiben in Geyer: Hier soll schon bald ein neues Feuerwehr-Depot sowie eine neue Rettungswache entstehen.
Foto: André Kaiser

Bauvorhaben
Ein großes Bauvorhaben in der Bingestadt ist die Errichtung eines neuen Feuerwehr-Depots. Hierzu erklärt der Bürgermeister: „Für das Bauprojekt sind rund 2,6 Millionen Euro veranschlagt, wovon 860.000 Euro fest gefördert sind. Wenn es keine Pflichtaufgabe gewesen wäre, hätte ich dies so nicht abgesegnet. Doch das bisherige Gebäude ist fast 100 Jahre alt. Es zeigt erhebliche Mängel auf und entspricht nicht mehr den heutigen Anforderungen. Ich bin jedes Mal froh und erleichtert, wenn unsere Kameradinnen und Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr beim Ausrücken gesund bleiben. Im Rahmen der Bauphase für das neue Feuerdepot planen wir, den Baukörper bis Jahresende zu schließen, so dass der Innenausbau im Winter realisiert werden kann. Die endgültige Fertigstellung und Inbetriebnahme ist im November des nächsten Jahres geplant. Dies ist ein sportliches Ziel. Doch die hohe Notwendigkeit erfordert dies.“

Im gleichen Zeitraum soll neben dem FFW-Depot eine neue Rettungswache entstehen. Das Stadtoberhaupt: „Darüber freue ich mich besonders. Da wir damit der älteren Bevölkerung gegenüber gerechter werden. Unsere Sozialstation mit ihren zwei Objekten arbeitet in diesem Bereich schon seit vielen Jahren sehr erfolgreich. Sie ist ein wichtiger Pfeiler für unsere Gesellschaft. Durch die neue Rettungswache und die damit einhergehenden Vorteile wie schnelle Einsätze vor Ort, schließt sich der Kreis.“

Insgesamt 7 Millionen Euro sind für den Ausbau und die Modernisierung des Freizeitbades geplant.
Foto: André Kaiser

Ein wichtiges Vorhaben ist zudem der Ausbau und die Modernisierung unseres Freizeitbades. „Hier wollen wir die Gesellschafter Stadt Geyer sowie der Erzgebirgskreis rund 7 Millionen Euro investieren. Dank der großen Anstrengungen durch verantwortliche im Landratsamt wird das Projekt mit 85% Förderung vom Freistaat unterstützt. Unter anderem sollen Innen- und Außenbereich getrennt und eine neue Rutsche installiert werden. Zudem sollen im Außenbereich unter anderem ein neues Schwimmbecken mit Wellenrutsche sowie eine Liegewiese für den Sommerbetrieb entstehen. Ich denke, wenn diese Maßnahmen bis 2022 realisiert sind, wird es ein sehr attraktives Freizeitbad sein, welches sehr viele Gäste anziehen wird. Zumal ja in unmittelbarer Nähe ein Wild-West Themenpark entstehen soll. Allerdings sind die Verhandlungen mit einigen Privateigentümern der Grundstücke, die hierfür genutzt werden sollen, momentan sehr schwierig. Wenn diese der Nutzung nicht zustimmen, kann auch das Projekt nicht realisiert werden. Das wäre schade. Denn eigentlich steht dieses als solches bereits. Der Investor hat klare Vorstellungen und auch schon Partner im Boot. Für Geyer als Tourismus-Magnet wäre es eine echte Bereicherung. Daher setze ich auf die Vernunft der Grundstückseigentümer.“

Versorgung und Einzelhandel
„Es gibt immer ein Für und ein Wider. So auch, was den Einzelhandel in unserer Stadt betrifft. Zum einen ist es wichtig gewesen, dass die Märkte Netto und Kik in der Stadt geblieben sind und neu gebaut haben und die alte Netto-Halle nun durch die Allzweck-Kette Tedi genutzt wird. Andererseits bereitet dies kleineren Händlern in Geyer natürlich Kopfzerbrechen. Dennoch ist es mir so lieber, als wenn wir jetzt dort eine Ruine stehen hätten. Was die Nahversorgung unserer Einwohner betrifft, so finde ich, sind wir sehr gut aufgestellt, zum einen mit Netto, zum anderen mit dem Lebensmittelmarkt Nah & Gut, dem Getränkemarkt, der S+F Fleischerei Schlettau und der Bäckerei Roscher an einem Standort. Dieses kleine Einkaufszentrum wird meines Erachtens nach sehr gut angenommen, übrigens ebenso wie die Versorger in Marktnähe. Leider ist in unserer Bingestadt der Handel, speziell was Mode betrifft, in den letzten Jahren stark rückläufig, was zum Teil auch den neuen Internet-Shopping-Möglichkeiten geschuldet ist. Dennoch können wir, was die Struktur betrifft, im Großen und Ganzen nicht klagen. Wir haben nach wie vor ein intaktes Industrie-Gewerbegebiet mit innovativen Unternehmen, eine Sparkassen-Filiale in der Stadt, was nicht selbstverständlich ist, und eine bunte, vielfältige Vereinslandschaft mit einer Vielzahl von Vereinen, die sich von der Traditionspflege über Breitensport bis hin zum Hochleistungssport ehrenamtlich engagieren.“

Finanzen
„Als wir die Planungen für unsere mittelfristigen Vorhaben vornahmen, waren alle Baumaßnahmen finanziell untersetzt. Jetzt kamen zwei Komponenten dazu. Zum einen die sinkenden Holzpreise, worunter unsere Erträge aus der Forstwirtschaft im Stadtwald erheblich leiden und woran sich höchstwahrscheinlich auch im nächsten Jahr nicht viel ändern wird, zum anderen die große Unbekannte ‚Corona“, womit vor fünf Jahren niemand rechnen konnte. Wie dies sich nun auf unser Stadtsäckel auswirken wird, ist noch fraglich. Dennoch habe ich den Eindruck, dass speziell unsere Handwerker und Industrie-Unternehmen die Krise gut bewältigen. Trotzdem bleibt abzuwarten, wie sich die Situation weiter entwickelt.“