Start Alexander Geißler (SPD): "Wir haben in Sachsen ein Demokratiedefizit"
Artikel von: Constanze Lenk
07.08.2019

Alexander Geißler (SPD): “Wir haben in Sachsen ein Demokratiedefizit”

Alexander Geißler (SPD) im Gespräch mit WochenENDspiegel-Redakteurin Constanze Lenk. Foto: Peter Kuckenburg

Es wird eine Richtungswahl! Selten war der Gang zur Urne spannender, als er am 1. September sein wird. Bleibt die CDU stärkste Kraft in Sachsen? Wenn Ja, mit wem kann sie regieren? Wie stark wird die AfD, gewinnt sie vielleicht sogar? Was wird aus der schwächelnden SPD und den in Sachsen gegen den Trend eher schwachen Grünen? Gelingt in einem rot-rot-grünen Dreierbund ein Regierungswechsel? Welche Rolle wird die FDP einnehmen? Können die Freien Wähler wie in Bayern eine Rolle spielen?
Wer sich traut, darf für sich trommeln! Dieses Angebot macht der WocheENDspiegel sächsischen Landtagskandidaten. Sie beantworten kritische Fragen unserer Journalisten.

Heute: Alexander Geißler SPD-Direktkandidat aus Freiberg der für den Sächsischen Landtag im Wahlkreis Mittelsachen 2 (Freiberg) antritt. Geißler ist 29 Jahre alt, seit 2010 Mitglied der SPD und Juso – Kreischef für Mittelsachsen. Er hat Jura studiert und ist zurzeit Assessor und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Freiberg. Vor seinem Studium war er Zivi und danach für anderthalb Jahre Serviceassistent und Hilfspfleger im Kreiskrankenhaus Freiberg.

Hier geht es zum Trommelwirbel von Alexander Geißler (SPD):

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Auf Ihrer Homepage werben Sie mit: „Nah am Menschen. Nah an der Region“. Sie sind ja eher der leise Typ. Wie nah sind Sie wirklich an Ihrem Motto dran?
Ich finde, Demokratie ist ein Prozess des Zuhörens. Ich bin nah am Menschen, wenn ich mich für die Probleme der Menschen interessiere und das dann in den Mittelpunkt stelle. Deshalb bin ich fast täglich auf der Straße, biete Sprechzeiten an, unterhalte mich im Freundes- und Bekanntenkreis über Politik. Das wird auch nach der Wahl weiter passieren. Wenn Sie das als leise bezeichnen wollen, kann ich gern damit leben. Ich habe Vorbehalte gegen jegliches Laute und populistische. Denn wer schreit, hat meistens Unrecht und interessiert sich nicht wirklich für die Probleme der Menschen.

Gute Bildung für alle – dieses Thema ist Ihnen besonders wichtig. Warum?
Weil ich selbst im Freundes- und Bekanntenkreis erlebt habe, dass unser jetziges System Chancen verbaut, anstatt Menschen zu fördern. Nicht alle haben ein stabiles familiäres Umfeld und die finanzielle Rückendeckung, um sich voll und ganz auf das Lernen und Weiterbilden zu konzentrieren. Wenn man dann einmal abgehängt ist, ist es schwer wieder den Anschluss zu finden. Viele wertvolle Persönlichkeiten, Fähigkeiten und Kreativität geht dadurch verloren. Nur durch gute Bildung werden Menschen in die Lage versetzt, ihr eigene Ziele und Träume zu verwirklichen. Deshalb ist mein Ziel kostenlose Bildung von der Kita bis zur Hochschule. Einhergehen muss das mit zeitgemäßer Ausstattung und motivierten Lehrern, die man durch gute Bezahlung und Arbeitsbedingungen bekommt. Gute Bildung heißt für mich auch politische Bildung. In Sachsen haben wir ein Demokratiedefizit. Wenige beteiligen sich und nehmen ihre Rechte war. Das liegt zum einen sicher an der ostdeutschen Vergangenheit und Mentalität, die durch das Elternhaus oftmals unbewusst weitergeben wird – „über Politik redet man nicht, da kommt nichts Gutes bei heraus“, und zum anderen an mangelnder Vermittlung in der Schule. In der Schule müssen gesellschaftliche Beteiligungsmöglichkeiten erlernt und unser parlamentarisches System erklärt werden. Das geschieht zu wenig. Hier will ich die Lehrpläne neu gestalten.

Ist die Gemeinschaftsschule dabei ein guter Anfang?
Auf jeden Fall. Wenn wir weitermachen wie bisher und Kinder nach der vierten Klasse trennen, wird nie die gegenseitige Akzeptanz und Wertschätzung von unterschiedlichen Schwächen und Stärken wachsen. Akademiker gehen aufs Gymnasium, Arbeiterkinder bleiben auf der Oberschule. Zwei unterschiedliche Ausbildungs- und Berufswege werden im Alter von 10 Jahren zementiert und verbauen das Verständnis für die jeweiligen unterschiedlichen Bedürfnisse. Das haben wir ja heute: Fachkräftemangel, gleichzeitig wollen alle auf das Gymnasium, Abitur machen und studieren, geringere Bezahlung von Handwerksberufen, Ausbeutung im Niedriglohnsektor, die auch deshalb funktioniert, weil es dort keine Lobby gibt. Das heutige System ist nicht durchlässig. Dass man es auch heute von der Oberschule aufs Gymnasium schaffen kann, wenn man sich nur anstrengt, ist ein Ammenmärchen. Unterschiedliche Lehrpläne und Schwerpunktsetzung machen das fast unmöglich. Zahlreiche Pilotprojekte in westdeutschen Bundesländern zeigen, dass längeres gemeinsames Lernen funktioniert. Anmeldezahlen steigen, das durchschnittliche Leistungsniveau ebenso.

Gute Bildungseinrichtungen liegen ja meistens nicht gleich um die Ecke vom Wohnort. Günstige und vor allem ausgewogene Bus- und Bahnverbindungen helfen den Schülern und Studenten, um schneller voran zu kommen. Die SPD macht sich dafür stark und es geht nur im langsamen Tempo voran …
Weil die CDU bremst und jahrelang die falschen Schwerpunkte setzt. Unser Erfolg ist es, dass es wenigstens langsam vorangeht! Die Kreisgebietsreform mit ihrer Zentralisierung und dem Vernachlässigen von kleinen Gemeinden war ein schwerer Fehler. Identität geht verloren. Ich finde Bildung und Mobilität müssen als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge begriffen werden. Darum soll sich ein sozialer Staat kümmern. Das bedeutet, auch dort Bus und Bahnstrecken wiederzubeleben, wo es keine wirtschaftlichen Gewinne gibt, aber die Städte wiederbelebt werden können und so ein richtiger Gewinn entsteht. Ich will einen Tarifverbund und einen Tarif, übersichtliche und regelmäßige Fahrpläne, schnelles Internet in jedem Dorf, dabei muss die Planung durch Fachleute des Freistaates dort unterstützt werden, wo das Wissen fehlt. Nur dort, wo moderne Infrastruktur ist, siedeln sich wieder Menschen, junge Familien an oder bleiben. Dafür sorgt auch ein längeres gemeinsames Lernen. Kleinere Schulen werden möglich. Weitere Ideen sind aktive Dorfzentren mit wechselnden Angeboten in ein und derselben Räumlichkeit. So kann zum Beispiel ein Facharzt regelmäßig Sprechstunden anbieten und wechselt täglich die Gemeinden. Mein Ziel ist eine Aufwärtsspirale. Denn ländliche Gebiete sind attraktiv. Lasst uns die Bedingungen schaffen, die den Ausschlag geben hierher zu ziehen!

Ebenso langsam schleicht die Digitalisierung dahin. Auch dafür machen Sie sich stark.
Natürlich. Ich finde, hier braucht es eine stärkere Planung auf Landesebene. Die Clustervariante ist eine gute Idee, um Anbieter dazu zubringen auch in ländlichen Regionen zu investieren. Aber auch damit werden ländliche Gebiete zwischen den Mittelzentren wie Freiberg und Döbeln nicht viel mehr Vorteile haben, denn ausschlagegebender Punkt bleibt für private Anbieter die Wirtschaftlichkeit. Menschen, Know How und Gewerbe kommt aber erst, wenn die Infrastruktur da ist. Es muss umgedacht werden. Deshalb: Schnelles Internet auf den Dörfern zuerst, um Standortvorteile zu erzeugen. Digitalisierung bedeutet in einer zweiten Phase für mich, dass viele Dinge von zuhause über weite Strecken erledigt werden können. Digitale Verwaltung, digitale Sprechstunden, Homeoffice sind dabei nur einige Beispiele.

Was antworten Sie Kritikern die sagen: Die SPD kann nur reden und bewirkt nichts. Auf Bundesebene hat sich Ihre Partei bisher nicht mit Ruhm bekleckert.
Auch das muss ich wieder knallhart sagen. Wem unser Programm gefällt und uns dann nicht wählt, kann nicht erwarten, dass wir etwas verändern können. Die Mehrheiten sind nicht da. Natürlich man kann uns ewig die Hartz4 Reformen anlasten und deshalb abstrafen. Aber dann hat man eben keine wirklich soziale Kraft mehr die den Menschen, seine Chancen und Bedürfnisse zum Mittelpunkt ihres Handelns macht. Ja, wir haben Fehler gemacht. Ich will auch nach der Wahl weiter in die Dörfer gehen und mit Menschen sprechen. Was mich auch beschäftigt, ist das Thema Leiharbeit. Da muss konsequent ein Riegel davorgeschoben werden. Zahlreiche Beispiele von ausgelieferten Angestellten, die willkürlich weitere Arbeitsstrecken zurücklegen müssen zu entfernteren Filialen und damit systematisch mürbe gemacht werden sollen, Rettungsassistenten die viel zu viele Überstunden machen ohne diese zu dokumentieren oder Leiharbeitnehmer in großen Konzernen, die immer wieder gekündigt werden nach der gesetzlich möglichen Entleihzeit und dann nach einer Pause neu eingestellt werden. All das sind keine Zustände. Das ist moderne Sklaverei. Wir brauchen deshalb auch wieder mehr Arbeiter in unserer Partei die sich engagieren. Und das sage ich als Akademiker. Ich will mich auch, um solche Probleme kümmern. Das geht am besten, wenn viele ihre Geschichten erzählen und auch selbst aktiv werden. Martin Dulig macht hier mit seiner Tour durch Betriebe, in denen er selbst mit anpackt, einen guten Anfang.

Sie sind viel in Freiberg unterwegs, stehen an Wahlkampf-Ständen und werben für sich und die SPD. Wie ist die Stimmung?
Die Stimmung ist tatsächlich gut. Die Leute verbinden Emotionen mit der SPD als Partei. Das ist wirklich sehr gut. Natürlich sind viele auch enttäuscht, weil wir mit den Hartz Reformen unseren Markenkern verraten haben. So sehe ich das. Den Leuten soll nur gesagt sein, dass es viele junge Sozialdemokraten, wie mich, und auch erfahrene Sozialdemokraten gibt, die zu den Wurzeln zurückkehren. Ich bin aus Überzeugung mit den sozialdemokratischen Grundwerten in diese Partei eingetreten. Freiheit, Gleichheit und Solidarität. Danach soll sich und wird sich unsere Politik in Zukunft wieder orientieren. Die Basis denkt genauso. Viele kommen auch an den Stand und sagen mir: „Ich hatte ja eigentlich nicht vor SPD zu wählen, aber mit dir überlege ich mir das nochmal“. Das motiviert unheimlich.

Sie haben also nicht das Gefühl, dass die SPD auf dem Weg in die Kategorie “Sonstige” ist?
Auf keinen Fall. Wir sind die einzige Partei die Menschen in den Mittelpunkt stellt und ihnen die besten Chancen im Leben ermöglichen will, damit alle ihre eigene Größe finden können. Wir sehen uns als Kümmerer die diesen Weg begleiten, fördern dort, wo Hilfe notwendig ist und stärken die Eigenverantwortung dort, wo sie gebraucht wird. Eine solche soziale Partei braucht es. Uns ist immer der Mensch am wichtigsten. Kein Wirtschaftsmodell, keine abstrakte Umweltbewegung. Wir sehen die Notwendigkeiten zum Handeln und haben die Auswirkungen für die Betroffenen im Blick.

Trommeln für die Sachsenwahl: Alexander  Geißler (SPD)

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