Start Erzgebirge Wollen Sie weniger Bürokratie wagen, Herr Dulig?
Artikel von: Sven Günther
22.12.2017

Wollen Sie weniger Bürokratie wagen, Herr Dulig?

Martin Dulig (SPD) ist seit 2014 Sachsens Wirtschaftsminister und SPD-Chef im Freistaat. Foto: SMWA

 

Von Sven Günther
Dresden. Er ist in Plauen geboren, in Meißen aufgewachsen und in Moritzburg wohnend. Martin Dulig. 43. Jahre alt. Vater von sechs Kindern. Sozialdemokrat.  Gründungsmitglied der JUSOS in der DDR. Wirtschaftsminister. Wir sprachen mit Martin Dulig über das Thema: „Willkommen in der Heimat“.

Viele Firmen in Sachsen suchen nach Fachkräften, hoffen Menschen zu überzeugen, wieder in den Freistaat zurückzuziehen. Wie unterstützt die Landesregierung diese Bemühungen?

Martin Dulig: Die Sicherung von Fachkräften ist eine Zukunftsaufgabe, die gemeinsam mit den Verbänden und in den Unternehmen angepackt werden muss. Die wichtigsten Voraussetzungen sind attraktive Arbeitsbedingungen und die Vereinbarkeit von beruflichen und familiären Interessen. Da sehe ich durchaus noch Handlungs- und Nachholbedarf. Natürlich sind auch die Löhne ein wichtiges Kriterium. Wenn wir die Menschen in Sachsen halten oder zu uns holen wollen, müssen unsere Unternehmen auch angemessen bezahlen – am besten nach Tarif. Um die Tarifbindung in der Wirtschaft zu fördern, haben wir in der einzelbetrieblichen Investitionsförderung erstmals einen Bonus für tarifgebundene oder tarifvergleichbar zahlende Unternehmen eingeführt.  Auch  Qualifizierung und Weiterbildung unterstützen wir kräftig. Seit meinem Amtsantritt vor drei Jahren haben wir mehr als 91 Millionen Euro EU- und Landesmittel in die berufliche Bildung und die Qualifizierung von Arbeitslosen investiert.
Allein dieses Jahr flossen fast 29 Mio. Euro für berufsbezogene Weiterbildungen, vor allem mit dem Weiterbildungsscheck. Seit April 2016 fördern wir außerdem mit der Fachkräfterichtlinie regionale Projekte zur Fachkräftesicherung in den Landkreisen und kreisfreien Städten sowie sachsenweite Maßnahmen.
Mit der Wirtschaftsförderung Erzgebirge haben wir auch einen sehr engagierten Partner vor Ort. Die Pendleraktionstage um die Weihnachtszeit herum sind eine gute Maßnahme, die wir gern unterstützen.

Warum ist es aus Ihrer persönlichen Sicht lohnenswert, wieder in der Heimat zu arbeiten?

Heimat bedeutet für jeden etwas anderes. Doch seine Umgebung gut zu kennen und in der Nähe von Familie und Freunden zu sein, fühlt sich einfach gut an.
Abgesehen von diesen persönlichen Gründen, hat Sachsen einiges zu bieten: Dass der Wirtschaftsstandort Sachsen international überzeugt, haben die vielen zukunftsweisenden Entscheidungen dieses Jahr eindrücklich bewiesen. Weltweit agierende Unternehmen wie Bosch, Samsung, Boeing, Bombardier, Philip Morris oder Daimler werden in den nächsten Jahren Milliarden bei uns investieren und tausende Arbeitsplätze schaffen.
Auch die Entscheidung der Volkswagen AG, sämtliche E-Fahrzeuge des Konzernes bei uns in Sachsen, vor allem in Zwickau, zu produzieren beweist, welch großes Vertrauen sich die Sachsen im Konzern erarbeitet haben.
Die Unternehmen setzen nicht von ungefähr auf uns. Im Freistaat finden sie einen starken Mittelstand als kompetenten Partner, hochqualifizierte und motivierte Fachkräfte, eine moderne Infrastruktur. Und, das ist ganz bedeutend:  Eine vorzügliche Forschungslandschaft, wie sie so geballt und breit gefächert in keiner anderen Region Deutschlands zu finden ist.
Zu unseren Vorteilen zählen auch die kostengünstige flächendeckende Kinderbetreuung, gut ausgebildete Schulabgänger, die hohe Frauenerwerbsquote und ein hohes Ausbildungsengagement unserer Betriebe – fast 75 Prozent der Auszubildenden werden vom Ausbildungsbetrieb übernommen.

Viele mittelständische Firmen klagen über eine überbordende Bürokratie, durch die tragende Aufgaben (wie z.B. die Fachkräftegewinnung) zu kurz kommen. Wäre es nicht an der Zeit, weniger Staat zu wagen?

Mal ganz ehrlich: Es gibt wohl fast keinen, der sich wohlwollend über Bürokratie äußert. Doch wir sollten da etwas genauer hinschauen: Bürokratie ist kein Selbstzweck. Sie dient in Verwaltungsverfahren, z.B. bei Genehmigungen dazu, alle entscheidenden Tatsachen zu berücksichtigen – auch die Interessen derer, die in einer schwächeren Position sind.
Der Bereich Arbeitsschutz ist ein weiteres Beispiel für wichtiges staatliches Handeln. Weniger Staat und weniger Kontrollen können zu mehr Arbeitsunfällen führen. Das kann weder im Interesse der Arbeitnehmer, noch in dem der Arbeitgeber und der Gesellschaft sein. Kontrollen, Berichtspflichten und Arbeitsschutzkonzepte dienen auch dazu, dass übermäßige Belastungen verhindert werden, die zwar nicht unmittelbar zu Arbeitsunfällen, aber zu Berufskrankheiten führen können.
Trotzdem bin ich der Meinung, Verwaltungen sollten offen sein und in erster Linie versuchen, zu ermöglichen und nicht zu verhindern.

Vor allem im ländlichen Raum wirkt die Demografie und die Tatsache, dass nach der Wende viele Menschen abgewandert sind, negativ. Wie kann dieser Entwicklung entgegengewirkt werden?

Die ländlichen Räume stehen vor Herausforderungen, die sie nicht allein lösen können. Aber wir müssen demografische Tatsachen auch anerkennen und versuchen, daraus das Beste für die Regionen zu machen.
Unsere Aufgabe als Land ist es dafür zu sorgen, dass ganz Sachsen lebenswert und zukunftsfähig bleibt. Viele Unternehmen, darunter auch mittelständische Weltmarktführer, haben auf dem Land Standorte. Mit Förderprogrammen wie „Brücken in die Zukunft“ ist ein Anfang gemacht, sie zu unterstützen.
Die Digitalisierung ist ein zentrales Zukunftsthema vor allem für den ländlichen Raum. Sie bietet den vom tiefgreifenden Strukturwandel betroffenen ländlichen Regionen große Entwicklungsmöglichkeiten: Standortnachteile und lange Wege können ausgeglichen – Leben und Arbeiten auf dem Land dank Digitalisierung attraktiver werden.
Beim Thema Breitbandausbau hat das Wirtschaftsministerium seit Beginn der Legislatur das Tempo massiv erhöht. Das macht sich bemerkbar, denn Sachsen holt auf.
Aber es muss schneller gehen, wir müssen die Kommunen mehr unterstützen – personell bei der Beratung und finanziell bei der Umsetzung. Darüber verhandeln wir gerade mit unserem Koalitionspartner, der inzwischen die Probleme ebenfalls sieht. Doch die Verantwortung  für die Breitbandversorgung liegt primär bei den Telekommunikationsunternehmen – sie verdienen schließlich später ihr Geld damit.
Und wir müssen unseren Kommunen mehr Freiheiten und Eigenverantwortung zurückgeben. Auch darüber will unser Koalitionspartner endlich mit uns reden. Denn viele Kommunen fühlen sich – oft auch zu Recht – am Gängelband aus Dresden. Wir setzen uns für größere Freiheiten etwa bei der Ausgabe von Geldern ein, befürworten Pauschaulen. So können Kommunen vor Ort selbst entscheiden, was wie am Sinnvollsten verwendet werden kann. In meinem Ministerium haben die etwa die Straßen Ausbau- und Erhaltungsstrategie auf den Weg gebracht – dadurch werden viele wichtige Entscheidungen für das Staatsstraßennetz nun vor Ort in den Kreisen und Kommunen getroffen. Dies stärkt die Regionen, hilft den Menschen vor Ort und erhöht so das Vertrauen in die Politik generell.

Um Menschen wieder in die Heimat zu locken, ist auch eine funktionierende Infrastruktur (Straße/Internet/ÖPNV) wichtig. Wie plant die Landesregierung in diesem Punkt Defizite auszugleichen?

Sachsen kann in seinen drei großen Zentren einen hochmodernen, leistungsfähigen und bezahlbaren Öffentlichen Personennahverkehr anbieten. Mit dem S-Bahn-Netz in Dresden, dem Mitteldeutschen S-Bahn-Netz in Leipzig und dem Chemnitzer Modell werden Stadt-Umland-Beziehungen geschaffen, die den ländlichen Raum erreichen und für die Menschen sehr attraktiv sind.
Durch die erfolgreichen Verhandlungen mit dem Bund über die Regionalisierungsmittel haben wir dafür gesorgt, dass der ÖPNV bis zum Jahr 2030 ein langfristig hohes planbares Budget erhält, das jährlich noch ansteigt. Im ÖPNV diskutieren wir mit den Zweckverbänden über Lösungen, wie bei zurückgehender Bevölkerung auf dem Land und damit einhergehender sinkender Nachfrage, trotzdem flächendeckend eine gute Versorgung gesichert werden kann. Dabei helfen kleinere Fahrzeuge, Anruflinientaxen, aber auch die Digitalisierung, wie künftig vielleicht autonom fahrende Mini-Pendelbusse.
Es gibt in vielen Orten wirklich gute, innovative Ideen. Die unsere Unterstützung verdienen und haben.