Start Viele Berufsbilder verschwinden aus Chemnitz
Artikel von: Judith Hauße
17.06.2020

Viele Berufsbilder verschwinden aus Chemnitz

Die Tischlerausbildung in Chemnitz seit vielen Jahren einen guten Ruf. Nun soll sie raus aus der Stadt. Foto: pixabay

Seit März dieses Jahres liegt der Arbeitsentwurf des sächsischen Kultusministeriums (SMK) für eine neue Teilschulnetzplanung in Sachsen vor. Rund 49.000 Schüler nehmen in diesem Jahr an 61 Beruflichen Schulzentren an einer dualen Ausbildung teil. Dabei sind die Schülerzahlen im letzten Jahr um 0,7 Prozent gestiegen. Ein weiterer Anstieg ist in den kommenden Jahren zu erwarten.

Mit dem Entwurf des SMK werden neue Leitlinien definiert, die die Berufsschulen in ihrer Qualität stärken sollen, die zukunftsorientierte Ausrichtung der beruflichen Bildung sichern und auch das Schulnetz erhalten. Mit dem vorgelegten Plan sind hohe Erwartungen verbunden.

So sehen die Leitlinien des SMK im Detail aus:

++Verlässlichkeit eines stabilen Netzes der Beruflichen Schulzentren (BSZ)

++Landesweit aufeinander abgestimmte Verteilung der Ausbildungsgänge

++Erhalt einer qualitativ hochwertigen berufsbildenden Schullandschaft

++Etablierung und (Weiter)Entwicklung regionaler Kompetenzzentren

++Stabilisierung und Stärkung des Berufsschulnetzes im ländlichen Raum

++Zumutbare Erreichbarkeit bzw. Berücksichtigung von Unterbringungsmöglichkeiten

Die Kreishandwerkerschaft Chemnitz sieht die neue Ausrichtung und die damit verbundenen Leitlinien positiv. „Die duale Ausbildung ist ein hohes Gut, dessen Qualität wir schützen müssen.“ so Jürgen Kirsten, Kreishandwerksmeister. Bis Oktober wollen die Behörden nun in Dialog mit den einzelnen Akteuren treten, um den Entwurf zu schärfen. Hier setzt nun auch der Gesprächsbedarf in Chemnitz ein. Bereits 2011 war Chemnitz als „Geberkommune“ ein Schulstandort, der mehr Schüler an andere Bildungszentren abgeben musste. Und auch jetzt sieht die Planung vor, dass viele Berufsbilder im ländlichen Raum beschult werden sollen und damit aus Chemnitz weggehen. Dies trifft vor allem das Handwerk hart. „Wir sind sehr bestürzt“, reagiert Karsten Weise, Obermeister der Tischlerinnung Chemnitz. Die Ausbildung der Tischler besteht bereits seit 1912 in Chemnitz.

Viele Teilnehmer des Landesausscheids „Die gute Form“ kommen aus Chemnitz. Die Ausbildung hat einen durchweg positiven Ruf. In Verbindung mit der Modernisierung der Ausbildungswerkstätten der BSZ für Technik II – Handwerkerschule sowie der Werkstätten der Handwerkskammer Chemnitz sind die holzverarbeitenden Gewerke in Chemnitz bestens aufgestellt. Eine Verlagerung des Standorts nach Zschopau dient hier niemandem. Die Nähe zum Ausbildungsbetrieb und die guten Anfahrtswege nach Chemnitz sind von wesentlicher Bedeutung.

„An erster Stelle steht die Qualität der Ausbildung. Diese darf auch nicht aufgrund der Stärkung des ländlichen Raums aufgeweicht werden.“  In diesem Sinne befürwortet die Landesinnungsmeisterin des Sächsischen Fleischerfachverbands Nora Seitz den Weggang vom Standort Wilkau-Haßlau zugunsten eines Kompetenzzentrums im Nahrungsmittelbereich in Chemnitz gemeinsam mit den Bäckern und Konditoren. Unterstützt wird sie dabei vom Landeslehrlingswart des Landesinnungsverbands der Konditoren, Frank Seidel. „Jährlich stelle ich einen Antrag auf Ausnahmegenehmigung zur Beschulung meines Lehrlings“. Dieser müsste im ersten Lehrjahr von Stollberg nach Annaberg-Buchholz fahren. Dabei ist die Berufsschule in Chemnitz besser auf die Ausbildung von Konditoren eingestellt, denn dort wird die Ausbildung auch im zweiten und dritten Lehrjahr fortgeführt.

Auch Jürgen Kirsten sieht das so. Die Schüler benötigen eine stabile Planung und Bindung zur Schule, für die gesamte Lehrzeit ihre Berufsschulausbildung. Die Berücksichtigung der Beschulung über den kompletten Ausbildungszeitraum hinweg liegt ihm am Herzen. Aktuell werden Anlagenmechaniker SHK aufgrund der Wohnortnähe im 1. Lehrjahr in Chemnitz beschult und wechseln ab dem 2. Lehrjahr ans BSZ nach Oelsnitz. Diese Splittung könne man in der künftigen Netzplanung verhindern. Der Zusammenhalt innerhalb der Ausbildungsklassen, das gemeinsame Lernen und die langfristige Organisation der Schulwege bieten für die Auszubildenden und die ausbildenden Betriebe einen großen Vorteil. Nicht immer ist die dem Wohnort nächste Schule auch die Beste.

Die Erreichbarkeit der Schule muss ebenso gesichert sein, wie die Unterbringung während des Unterrichts. Hier geht das Azubi-Ticket nicht weit genug. Die Kosten für Fahrtwege und Internatsunterbringung sind für junge Lehrlinge ziemlich hoch. Zwar sind die Fördermittel der Landratsämter im vergangenen Jahr auch auf Betreiben der Handwerkskammer Chemnitz erhöht worden und seit 01.08.2019 gibt es das Azubi-Ticket – dies reiche aber bei Weitem noch nicht aus.

Jörn Lüdecke, Obermeister der Friseur- und Kosmetik-Innung Chemnitz informiert, dass auch die aktuellen Auswirkungen der Mindestausbildungsvergütung in der Schulnetzplanung berücksichtigt werden müssen. Es zeichnet sich ab, dass vor allem in der Friseurausbildung durch die hohen Lehrlingsentgelte weniger Betriebe Lehrverträge abschließen. Man kann sich die Ausbildung unter den aktuellen Bedingungen schlichtweg nicht mehr leisten.

Zusammenfassend zeigt sich, dass es noch verstärkten Redebedarf zum vorgelegten Entwurf gibt. Daher haben sich zu Beginn der Woche bereits die Innungsobermeister der Kreishandwerkerschaft Chemnitz mit Bürgermeister Ralph Burghart zusammengesetzt. Der Dialog bringt Einigkeit und Konsens. Die Beweggründe der Arbeitgeber als wichtiger Vertragspartner des Ausbildungsvertrags sollten vor dem Beschluss der neuen Teilschulnetzplanung gehört werden. Weitere Gespräche stehen zunächst für Chemnitz als Schulträger Ende Juni 2020 an.jh/pm