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Artikel von: Sven Günther
18.04.2019

Zur Sache, Professor Patzelt

Der Politik-Professor Werner J. Patzelt spricht im WochenENDspiegel über Streitkultur, das abgesagte Stadtfest von Chemnitz, Fehler beim Flüchtlingsproblem und seine Mitarbeit am CDU-Wahlprogramm. Foto: TU Dresden

Professor Patzelt im WochenENDspiegel-Gespräch

Von Sven Günther
Er ist streitbarer Politik-Analytiker, war 27 Jahre bisher einziger Inhaber der Professur für politische Systeme und Systemvergleich an der TU Dresden. Prof. Dr. Werner J. Patzelt legt den Finger in die Wunden, spricht Wahrheiten aus, die andere schmerzen. Er kritisiert, dass die Bundestagsabgeordneten einen Bundestags-Vize der AfD verhinderten. Patzelt unterschrieb den Aufruf „Schluss mit dem Gender-Unfug“, macht die CDU für das Erstarken der AfD mitverantwortlich und arbeitet deshalb am Wahlprogramm der sächsischen Christdemokraten mit.

Dem WochenENDspiegel gab er nach einem Diskussionsabend mit CDU-Generalsekretär Alexander Dierks in Chemnitz, über die wir berichteten, folgendes Interview

WochenENDspiegel:
Jüngst wurde Robert Habeck von den GRÜNEN zum beliebtesten Politiker in Deutschland gekürt. Und dass, obwohl er auf Facebook und Twitter verzichtet. Wie schätzen Sie dieses Ergebnis und die Entwicklung dahin ein?
Prof. Patzelt:
Da ist eine persönliche Komponente: Habeck ist sympathisch, klug, beredt – und so gar kein keifender Ideologe wie manch anderer von den Grünen. Und da ist die allgemeinpolitische Komponente: Die Grünen präsentieren sich in Übereinstimmung mit dem Zeitgeist, bieten sich CDU und SPD gleichermaßen als Partner an – und werden im Gegenzug von niemandem wirklich angegriffen – außer der AfD. Gerade Letzteres aber adelt heutzutage.

WochenENDspiegel:
Sie sagen: Streit soll klüger machen. Könnten Sie das erläutern?
Prof. Patzelt:
Fruchtbarer Streit braucht – erstens – völlige Gewaltfreiheit, also auch den Verzicht auf demonstratives Nichtzuhören, Unterbrechen oder Schimpfen. Zweitens braucht es die Fähigkeit und Bereitschaft zum Perspektivenwechsel, also zum Bedenken eines Sachverhalts aus dem Blickwinkel des Gegners. Drittens braucht es das Ernstnehmen von Fakten, und zwar auch von unangenehmen, sowie Logik beim Argumentieren.

WochenENDspiegel:
In Chemnitz sagten Sie, dass Sie als ehemaliger Offizier haben Sie gelernt, dass der siegt, der das Gelände mit den Augen des Feindes sieht. Ist diese Weisheit, vielleicht durch den Geist der 68er, vielen Politikern ausgetrieben worden?
Prof. Patzelt:
Man siegt nicht einfach dadurch, dass man eine Gefechtsaufgabe aus der Warte des Gegners analysiert; doch man verliert womöglich ein Gefecht, wenn man das nicht tut. Den Blick des Gegners zu praktizieren, meint natürlich nicht, die Seiten zu wechseln! Doch diesbezüglich gehört zum Erbe der 68er die emotionale Selbstberauschung, also das Gefühl: Weil wir ohnehin Recht haben, müssen wir die Sichtweisen von anderen gar nicht erst verstehen; sondern es reicht, die Gegner sowohl zu beschimpfen als auch auszugrenzen! Hat ja auch lange genug funktioniert …

WochenENDspiegel:
In Chemnitz (Debatte mit CDU-Generalsekretär Alexander Dierks, wir berichteten) wurde über das abgesagte Stadtfest gesprochen. Für Sie ein Fehler. Zitat: “Weihnachtsmärkte finden ja auch noch statt”. Könnten Sie Ihre Position erläutern?
Prof. Patzelt:
Das öffentliche Leben in einer freien, offenen Gesellschaft ist nun einmal mit Risiken verbunden – vor allem dann, wenn man am guten Willen derer zu zweifeln beginnt, denen man im öffentlichen Raum begegnet. Dann kann man kneifen, also zuhause bleiben, oder öffentliche Feste absagen. Oder man geht trotz einer abstrakten Gefährdungslage zum – als Beispiel – Weihnachtsmarkt, um Haltung zu zeigen, ein Zeichen zu setzen und dadurch unsere Lebensart zu verteidigen.

WochenENDspiegel:
Noch ein Chemnitzer Zitat von Ihnen: “Im Sinne des im Asylrecht vorhandenen Rückführungsgedankens wäre es besser, Flüchtlinge nah an ihrem Land in ordentlichen Lagern unterzubringen.” Wie meinen Sie das?
Prof. Patzelt:
Wir könnten mit den verfügbaren Mitteln wesentlich mehr Geflüchteten helfen, wenn man sie nicht zu deutschen, sondern zu – beispielsweise – jordanischen oder türkischen Preisen beherbergte und verpflegte! Auch kehrt man leichter in sein Heimatland nach dem Wegfall kriegsbedingter Fluchtgründe zurück, wenn man nicht Tausende von Kilometern zu überwinden hat. Wir aber setzen Zufluchtgeben mit dem Einwandern gleich – oder verhalten uns jedenfalls so.

WochenENDspiegel:
Sie kritisieren, dass Fehler in der Flüchtlingsfrage gemacht wurden und werden? Welche?
Prof. Patzelt:
Kernfehler ist, dass man auch mit rein vorgeschobenen Gründen Leistungen unserer Solidargemeinschaft in Anspruch nehmen kann, es aber praktisch fast unmöglich ist, jemanden wider dessen Willen wieder dauerhaft aus dem Land zu bekommen. Das verletzt das Gerechtigkeitsgefühl von vielen und bläst unserer Willkommenskultur das Lebenslicht aus. Beides aber sollten wir nicht wollen.

WochenENDspiegel:
Wie verträgt sich die Kritik mit der Einstellung der CDU, an deren Programm Sie in Sachsen mitarbeiten?
Prof. Patzelt:
Viele in der CDU sehen das alles ebenso wie ich. Nur reicht das noch nicht, um die Fehler unserer Politik abzustellen. Dafür bräuchte es ein größeres Gewicht der CDU in den Parlamenten sowie eine andere Abstimmungsregel im Bundesrat als das ständige Erfordernis einer absoluten Mehrheit. Also muss man sich mit kleinen Schritten begnügen. Hauptsache ist, dass sie näher zum Ziel führen!

WochenENDspiegel:
Noch ein Thema, das in Chemnitz angerissen wurde. Die Ministerien beschäftigen in Größenordnungen Experten, zahlen dafür Millionen von Euro. In Chemnitz hatten Sie Helmut Schmidt zitiert, der nach ihren Worten sagte: “Experten sind wie Prostituierte. Wer am meisten bezahlt, bekommt seine Meinung.” Eine Erklärung?
Prof. Patzelt:
Es ist schon gut, Expertenwissen zu nutzen! Dieses darf aber nicht nach den Wünschen der Auftraggeber zu Gutachten geformt werden, sondern muss die Tatsachen wiedergeben! Es geht also nicht um Liebesdienste, sondern – sozusagen – um zutreffende Diagnosen und Therapien, auch wenn derlei so willkommen sein mag wie eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt!