Start Erzgebirge Zwei Seelentröster von Wendt&Kühn
Artikel von: Sven Günther
28.05.2021

Zwei Seelentröster von Wendt&Kühn

Erika Thiele mit den beiden Figuren, die sie 1949 von Grete Wendt geschenkt bekam. Foto: Privat

Grete Wendt und ihre “Gebrauchsanweisung” für die Liebe

Von Heidi Diehl*

Vorsichtig hält die alte Dame die beiden Figuren aus dem Haus „Wendt&Kühn“ in den Händen, zeigt sie gerührt in die Kamera. Dann beginnt sie, ihre Geschichte zu erzählen, die Geschichte von Günter und Erika Thiele, die sich in der Nachkriegszeit ineinander verliebten und schon bald von zwei „Seelentröstern“ aus dem Haus „Wendt&Kühn“ begleitet wurden.

Die heute 96-Jährige erinnert sich: „Weihnachten 1948 hatte ich mich mit meinem Günter verlobt. Leider sahen wir uns viel zu selten, denn er arbeitete in Magdeburg und ich in Chemnitz. So oft es möglich war, besuchten wir uns am Wochenende.
Im Frühjahr 1949 nutzte ich auf der Rückreise von Magdeburg nach Chemnitz die Gelegenheit, Grete Wendt auf der Leipziger Messe zu besuchen, wo sie, wie in jedem Jahr, ihre neuesten Produkte ausstellte.“
Erika Thiele und die Unternehmerin aus dem Erzgebirge. Eine Bekannschaft, die sich über Jahre entwickelt hatte. „Als junge Kunsterziehungslehrerin hatte ich sie mehrfach mit meinen Schülerinnen zum praktischen Anschauungsunterricht in Grünhainichen besucht“, sagt Erika Thiele. „Dabei nahm sie sich immer viel Zeit für unsere Fragen und hatte auch offene Ohren für private Dinge. Im Laufe der Zeit wurde sie mir so etwas wie eine mütterliche Freundin.“

Als die Frauen sich auf der Messe trafen, erzählte die junge Lehrerin ihr, dass sie traurig sei, weil sie ihren Günter nur so selten sehen kann.
Die Unternehmerin lächelte, nahm zwei Figuren – einen jungen Mann und ein junges Mädchen – aus ihrem Figurensortiment und reichte sie Erika Thiele mit folgender „Gebrauchsanweisung“: „Der Junge kommt zu Dir, das Mädchen zu Günter. Jeder achtet auf seine Figur bis zur Hochzeit. Von da ab sollen sie, so wie Ihr beide, für immer glücklich vereint sein.“

Genau so kam es: Erika und Günter heirateten im Sommer 1950, die beiden Glücksfiguren fanden zueinander und haben sich seitdem nie wieder getrennt. Erika Thiele: „Günter und ich bekamen drei Kinder, die uns Jahrzehnte später zu vierfachen Großeltern machten. 52 glückliche Jahre verbrachten wir bis zum Tod meines Mannes miteinander. Inzwischen bin ich fast 97 und sechsfache Urgroßmutter.“
Und die beiden Glücksfiguren? Erika Thiele schaut den jungen Mann und die junge Frau in ihren Händen an, sagt dann leise: „Sie haben, genau wie ich, in den vergangenen 72 Jahren etwas ‚Patina‘ angesetzt. Aber sie stehen nach wie vor zusammen und erinnern mich an eine Zeit, als Günter und ich voller Vorfreude und Hoffnung in eine gemeinsame Zukunft schauten. Und sie erinnern mich immer auch an Grete Wendt, die uns mit den beiden ‚Seelentröstern‘ half, die Zeit der Trennung zu erleichtern.“

*Heidi Diehl ist die Tochter von Erika Thiele, arbeitet als Reise-Journalistin (Die ReiseDIEHLer) und ist im Vorstand und Geschäftsführerin der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten.