Start Erzgebirge Zwönitz: "Mit Covid, aber nicht an Covid gestorben...!"
Artikel von: Sven Günther
20.04.2020

Zwönitz: “Mit Covid, aber nicht an Covid gestorben…!”

Der Wochenendspiegel sprach mit Ruben Meyer, dem Vorstand des Diakonischen Werkes Aue/Schwarzenberg und Annaberg-Stollberg. Foto: DIAKONIE

Das Virus hat uns fest in der Hand

Von Sven Günther
Zwönitz. Die Zahl der Corona-Infizierten stieg am Wochenende im Erzgebirge auf 469. Ein 50-Jähriger Mann mit schweren Vorerkrankungen, der mit dem Virus infiziert war, starb. Die Zahl der Toten, die positiv auf Corona getestet worden waren, erhöhte sich auf 31. Ein Zentrum der Erkrankung ist Zwönitz und dort das Bethlehemsstift der Diakonie. Der Wochenendspiegel sprach mit Ruben Meyer, dem Vorstand des Diakonischen Werkes Aue/Schwarzenberg und Annaberg-Stollberg.

WOCHENENDSPIEGEL:
Die Bewohner Ihrer Einrichtungen zählen zu den Corona-Risikopatienten, das Personal ist besonders gefährdet. Fakten, die bekannt sind. Tatsachen, denen man mit bestmöglichen Schutzmaßnahmen begegnen kann.
Wie aber geht es den Betroffenen emotional? Wie gehen sie mit den Belastungen, den Ängsten um?

RUBEN MEYER:
Die fehlenden sozialen Kontakte zur Familie beeinträchtigen unsere Bewohner von Tag zu Tag mehr. Aufmunternde Worte, Zuversicht sowie Trost werden in persönlichen Gesprächen durch alle Mitarbeitenden gespendet. Diese Art der Zuwendung gibt unseren Bewohnern den nötigen Halt in dieser schwierigen Zeit.

Auch wenn unsere Mitarbeitenden alles dafür tun, den Alltag für unsere Bewohner wie gewohnt zu gestalten, hat das Virus uns fest in der Hand. Ein Großteil der zwischenmenschlichen Kommunikation findet über die Körpersprache statt. Durch die Schutzausrüstung fällt nahezu die komplette Mimik weg, die doch für die Bewohner neben der körperlichen Nähe so wichtig ist.
Des Weiteren haben wir für unsere 11 stationären Altenpflegeeinrichtungen der Diakonie Erzgebirge (Diakonische Werk Aue/Schwarzenberg e.V. und Diakonische Werk Annaberg-Stollberg e.V.) 30 Tablets angeschafft.
Im Laufe der Woche erfolgt die Inbetriebnahme in allen Altenpflegeeinrichtungen. Nun werden die Briefen und Telefonate auch mit bewegten Bildern komplettiert.

WOCHENENDSPIEGEL:
Ein Zentrum der Infektionen mit vielen Opfern ist Zwönitz. Gibt es einen Ihnen bekannten Grund, warum gerade diese Einrichtung betroffen ist?

RUBEN MEYER:
Es handelt sich um eine Pandemie, die sich in Deutschland – bei stetig steigenden Fallzahlen – weiterverbreitet. Wir können das Risiko der Ansteckung nur minimieren, nicht aber ausschließen.
Bereits seit 13. März 2020, eine Woche vor der Allgemeinverfügung, veranlasste das Diakonische Werk, dass alle stationären Einrichtungen für Besucher nicht mehr zugänglich sind. Ein werksinterner Krisenstab tagt seitdem täglich und filtert die ankommenden Informationen und arbeitet diese den Einrichtungen der Diakonie Erzgebirge mit zeitnah notwendigen Präventionsmaßen passgenau zu. Trotz zeitiger Schutzmaßnahmen durch den Krisenstab hat der COVID-19 heimtückisch in unserem Bethlehemstift Raum eingenommen.

WOCHENENDSPIEGEL:
Fühlt sich die Einrichtungsleitung oder das Personal in dieser Einrichtung besonders betroffen, ist der Umgang mit den Tatsachen hier besonders schwierig? Gibt es eine spezielle Betreuung?

RUBEN MEYER:
Die helfenden Hände stammen nicht ausschließlich aus dem Fachbereich der stationären und ambulanten Altenhilfe. Auch Mitarbeitende aus unseren Kindertagesstätten, den Beratungsdiensten und der Geschäftsstelle helfen aus. Diese große Solidarität berührt uns sehr. Hier zeigt sich die gelebte Dienstgemeinschaft entsprechend unseres Leitbildes „wir unterstützen einander in unserer täglichen Arbeit“.

Wir sind sehr dankbar für jeden einzelnen Mitarbeitenden, der jetzt in dieser schwierigen Lage in Zwönitz mit anpackt.
Wir haben ein Mitarbeitertelefon eingerichtet, Personalfragen in Bezug auf die Corona-Krise werden hier beantwortet. Seelsorge ist ein weiteres hilfreiches Angebot für unsere Mitarbeitenden in dieser kräftezehrenden Zeit. Viele fühlen sich getragen von der Fürbitte aus zahlreichen Gebetsgemeinschaften der umliegenden kirchlichen Gemeinden.

WOCHENENDSPIEGEL:
Der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel sagt “ntv”, die von ihm untersuchten Todesopfer hätten so schwere Vorerkrankungen gehabt, dass sie im Verlauf des Jahres gestorben wären. Können Sie diese Sicht aus Ihrer Erfahrung teilen, trifft sie auch auf die Fälle in Zwönitz zu?

RUBEN MEYER:
Es ist davon auszugehen, dass viele Bewohner mit Covid und nicht an Covid verstorben sind.
Folgende Diagnosen der Verstorbenen die mit Corona gestorben sind, sind uns bekannt: insulinbedürftiger Diabetes mell. Typ 2; Arterielle Hypertonie; Demenz; chronische Nierenkrankheit; Aortenklappeninsuffizienz; chronische obstruktive Lungenkrankheit; Herzinsuffizienz; obstruktives Schlafapnoe-Syndrom.
Sie waren multimorbid erkrankt (von vielen Erkrankungen gleichzeitig betroffen).

WOCHENENDSPIEGEL
Eine allgemeine Frage: Experten fordern immer öfter, die Kontaktverbote mit Risikogruppen zu verschärfen und im Gegenzug die für NICHT-Risikogruppen aufzuheben. Ist das ein geeigneter Weg oder spaltet das die Gesellschaft?

RUBEN MEYER:
Wir sind keine Experten für den richtigen Umgang mit einer solchen Pandemie.
Das Leitbild der Diakonie steht allerdings für eine gegenseitige Solidarität und nicht für die Spaltung von Personengruppen oder der Gesellschaft.
Insofern plädieren wir für die solidarische Einhaltung der länder- bzw. bundesspezifischen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Entsprechend der Pressemitteilung des SMS (16. April 2020; Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt) unter dem Titel Covid-19: Staatsregierung wird Beschränkungen im öffentlichen Leben teilweise lockern
bleiben die strengen Besuchsverbote von Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen, ambulant betreuten Wohngemeinschaften und Wohngruppen mit Menschen mit Behinderungen zum Schutz von besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen bestehen.